„Black Messiah“
(RCA)
Na toll. Die Jahreslisten über kurz und lang sind gemacht und dann kommt zu einem Zeitpunkt, wo man sich gemeinhin nur noch mit dem wiedergekäuten Süßstoff der Weihnachtsindustrie herumärgern muss, dieses tatsächlich herausragende Album daher und wirft alle Polls und Rückblicke einfach über den Haufen. Nun gut, man muss jetzt nicht in hysterische Hektik verfallen, sondern tut besser so, als wäre D’Angelos drittes Album für Mitte Januar 2015 geplant – was ja auch stimmt. Nur hat der traurige Lauf der Dinge im Mittleren Westen Amerikas, namentlich die Erschießung des achtzehnjährigen Michael Brown in Ferguson und der darauf folgende Freispruch des Todesschützen, Michael Archer wie viele andere derart aufgewühlt, dass er sich – auch zur Überraschung seines eigenen Labels – dazu entschloss, die Platte mittels mehrerer Nachschichten vorfristig fertigzustellen und quasi als Statement (auch als optisches) schon jetzt zu verkaufen. “The one way I do speak out is through music,” soll D’Angelo seinem Manager gesagt haben, “I want to speak out.”
Und läßt man jetzt mal alle Nebengeräusche und meinetwegen auch das wirtschaftliche Kalkül beiseite, dann wird recht schnell klar, dass dieses Album, ganze vierzehn Jahre nach dem Grammy-Gewinner “Voodoo”, hätte erscheinen können wann es wollte – jeder Zeitpunkt wäre für Songs dieser Klasse der richtige gewesen. Das beginnt mit der Auswahl eines formidablen Kreises an Studiomusikern, neben D’Angelos Begleitband The Vanguard zeichnen auch noch A Tribe Called Quest’s Q-Tip, The-Roots-Drummer Questlove, Kendra Foster aus George Clintons Funk-AG Parliament-Funkadelic und Bassist Pino Palladino im Impressum verantwortlich. Sie alle und Ausnahme-Soulist D’Angelo erschaffen über die zwölf Stücke einen schwarzen Messisas, der weit organischer, menschlicher und auch dringlicher daherkommt als das hochgezüchtete Hologramm des „Black Yeezus“ von Kanye West.
Es ist nicht nur allerfeinster (Neo-)Soul, der einen hier in den Bann zieht, der mal an den Philli-Sound der Delfonics und an anderer Stelle an den Prince früher Tage denken läßt. Archer bringt eine Vielschichtigkeit in die Songs, die einen desöfteren staunen macht. Wie nach dem klassischen Intro „It Ain’t Easy“ das gewaltig wummernde Drone-Stück „1000 Deaths“ hereinbricht und trotz seiner Wucht klug verzwirbelten Jazztunes die Ehre erweist, später gefolgt vom grandiosen Pluckerbeat des „Sugah Daddy“ (nahe bei Gil Scott-Heron und Richard Russell), bevor kurz darauf zarte Streicher und lateinamerikanische Saitenklänge „Really Love“ einleiten – das ist schon irre gut gemacht. Dazu die zahlreichen Gitarrensoli, gekonnt platziertes Bläserblech („Betray My Heart“) und Handclaps, die wie Peitschenhiebe schnalzen („Prayer“), des Erstaunlichen ließe sich vieles mehr aufzählen. Ganz zum Schluss bei „Another Life“ geht Archer mit seinem Falsett derart himmelwärts, dass einem fast die Luft wegbleibt. So borgt man sich die Schlußpointe nicht bei den Decemberists („The Wrong Year“), sondern besser bei Martin Luther King: „The time is always right to do what's right.”