CYNAMON.
Kapitel I.
Bevor ich die Schokolade in den Mund nehme, muss ich atmen.
Das Zimmer flackert vor Verlangen nach Dunkelheit.
Ein paar Kerzen staksen auf der Stelle, drau?en ein kaltes Feuerwerk.
Die anderen sind auch drau?en.
Ich hasse Silvester, den Kopf auf einen Atemzug Papier geklemmt. Tanzende Tomaten, mit dem Blut zweier Schnittwunden zu einem Salat vermengt, halb übers Buffet ergossen, Encrucijada Fandangos, Asche rieselt aus der Arche in meinem Mundwinkel.
Ich spüre mit einem Zeh Rauhfaserteppich unter den Fü?en, bei?end, farblos, blau, schmeckt nach Scherben. Fade Gestalten wanken, ich kann meinen Blick nicht auf etwas heften, alles verschwimmt.
Art is to change what you expect from me.
Sie werden lauter, rauschend, Brei. Einheitssuppe, aus der eine dieser tiefen Stimmen, nicht mehr als heisres Flüstern, sich vor der Luft aufbauen, aufbäumen, zusammenschäumen.
Atmen, ich will atmen, ich hauche aus.
Bald werde ich im Zug nach Paris sitzen und mich auf etwas freuen, von dem ich nicht wei?, dass es existiert.
Der Boden zieht sich zusammen, zuckt und hat Krämpfe.
Sie sind betrunken.
Vor der Verandatür hält sich eine Menschentraube an Gläsern und Kippen fest.
Das Schachbrett lehnt leer und stumm an einer Bettkante, die nicht meine ist. Die Figuren sind eingeschlafen, das Spiel trägt stumme Lieder.
Bass dröhnt aus den Boxen.
Die Kissen haben sich wieder angeschnallt.
Countdown zählen.
In die Arme fallen.
Bechern.
Ruhe.
In den Gin haben sie irgendwas mit reingemischt.
Was Neues.
Aus London.
Soll wahnsinnig modisch sein.
Designerpillen.
Pulver.
Spritzen.
All die Schei?e, die hier rumfliegt.
Ein Schatten huscht vorbei, Rattenschwanz, keine Augen drumherum.
Ein Brennen streift meine Geschmacksnerven.
Neben meiner immer noch heulenden Freundin und mir schmei?t sich irgendein Idiot auf die Couch und fragt mit vorgestreckter Hand, raushängender Zunge und ohne sich vorzustellen, was ich denn heut noch vorhätte.
Offensichtlich blind und taub, der Arsch, Stück Schei?e.
Ich lasse die heulende Freundin sitzen und hoffe darauf, dass das Herz des Schwätzers heute Nacht ausreichend sein wird für ihr kleines Ego.
Mir ist ganz flau im Magen, meine Beine kitzeln, die Fü?e kribbeln, ich möchte fallen und kann es nicht.
„Ihre Fahrkarte, bitte.“
Ich schaue verständnislos auf.
Idiot, denke ich.
„Hier“, sage ich und drücke ihm einen Fetzen Papier in die gierig ausgestreckte Hand. Hab in die Luft gebissen, jetzt blutet sie, Tropfen schwirren lautlos darin herum, du kannst sie auffangen.
Kleine Elefanten wanken, behebig wie Federn auf Speed, sie haben Zähne und lecken ihre Lefzen der spanischen Abendsonne entgegen.
Haut verwelkt, rosa, sie kriegen Flecken, ein Kuss fällt darauf.
Ich lehne mich zurück, strecke mich, das Abteil ist ganz leer.
Habe mich ausgebreitet, die Stiefel ausgezogen, die Beine angewinkelt.
Vor mir, aufgeschlagen, ein falsches Moleskine, neben mir in einem Pappbecher erkalteter Bahnhofskakao, Kulli und Bleistift.
Der Fahrtwind fegt Glastropfen über das neblige Fenster, auf dem Tagträume vorbeifliegen wie Burtons Knetmännchen im Weihnachtsfieber.
Meine Ohren lassen sich von Obi Best oder Pink Floyd beschallen, während meine Hände sich über das Papier tasten, auf dem ein 2B ungelenk seine Bahnen kreist.
Ich schäle eine Mandarine und lasse mein Herz auf ein Tabula Rasa gleiten.
Der sü?e Vogel Vernunft hat mir dieses Studium aufgezwungen.
Ich bin kurz davor, von innen heraus zu platzen.
Bin ich das, will ich das, wollte ich was, wozu, woher, was ist das, es schmeckt nicht, wer ist das, das, der mir da gegenübersteht, wie hei?t der Mensch, der mich, ich frage ihn, ich sage nichts, er schaut mich an, ich sehe ihn nicht, er hat sich aufgelöst, wir sind Staub und zu Erde zerfallen, du hast mir unter deinem Zug den Verstand geraubt.
„Es gibt diese Augenblicke zwischendurch, wei?t du.“ Klopfen auf Parkett, ich höre Gitarrenmusik, leise, Flamenco, andalusischer Gipsy, Stimme zwischen Hauch und Rauch. Etwas, worin man sich fallenlassen kann. Eingeklemmt ist, windiger Halt, Schrauben zugedreht, Paketmarke drauf, in den Wind geschossen.
Die Couch wirkt ausgefranst und bieder. Zwei Gestalten darauf, beide betrunken, schlaftrunken, nicht zueinander passend, doch in eine Situation gewürfelt, die sie in eine Einheit zwingt.
Ein Gespräch.
Ein Kuss.
Nur ein flüchtiger Blick.
Ich rühre mich auch dann noch nicht, als leere teerhaltige Versprechen sich in mein Ohr schleichen.
Ein Blick über die Schulter entlockt mir ein genervtes Seufzen. Einer dieser Möchtegernphilosophen, Weltverbesserer und Berufsoptionalisten, die sich durch höfliche Ignoranz nicht abschütteln und von einem geschmacklosen Contra nur zu weiteren Diskussionen anregen lassen.
Zu sensibel zum Reden und zu betrunken zum Ficken.
Ich lehne mich an den Rahmen der Badezimmertür und habe keine Ahnung, wovon dieser weltverbesserische Mensch da spricht, dessen Lippen sich wie das sabbernde Maul eines Walfischs bewegen, es interessiert mich nicht, bin gereizt, soll verschwinden, ich schlage in die Luft, Wirklichkeit erbricht sich über mich.
Er setzt sich auf den Boden und zieht mich zu sich runter.
Der bei?ende Geruch von Erbrochenem steigt mir in die Nase.
Ich sehe an mir herab, ich bin es nicht.
Im Hintergrund leitet Roísín Murphy uns von einem Trip in den nächsten.
Ich schnippe die aus dem Nirgendwo rieselnde Asche immer wieder von meinem Bein und male mir aus, wie es wäre, wenn wir einfach tanzen gegangen wären. Jetzt liege ich hier, in einem Berg voll Kotze, Asche und lächelnder Stummfilmbewegungen, abgehackt, Krümel im Bild.
Muss hier raus, wer bin ich, was bin ich darin.
„Ich hab Hunger“, sage ich und er stockt, verwirrt, aus seiner Faszination hermeneutischer Dialektik gerissen, meine Stimme heiser, kein Räuspern, nur bei?ender Rauch.
„Was ?“
„Komm gleich wieder.“ Stehe auf und bin wütend. Warum, wei? ich nicht.
Ich remple zwei dieser Gestalten an, die eine lacht, die andere pisst mich ungelenk an.
Mit den Augen taste ich die einzelnen WG-Zimmer ab, bleibe an einem ehemaligen Mitschüler, der sich seit unseren Abifeten als zuverlässiger Fahrer entpuppt hat, hängen und zwinge ihm die Heulerin auf.
Ich schlendere in die Diele, greife aus einem Klamottenberg meinen Mantel und lasse die Tür hinter mir ins Schloss fallen.
Schnappschloss, könnte ich auch gebrauchen.
Auf dem Weg zu meiner Wohnung, einer Bushaltestelle oder einem Taxistand unterwerfe ich meinen Kopf einer Flut innerer Vorwürfe.
Die Gereiztheit und den Drang, am liebsten sofort jemandem die Seele aus dem Leib zu kratzen, schreibe ich den Drogen zu, die sich wie Parasiten durch meinen Körper fressen und den Asphalt mit Mond, Abgasen und Zäunen verschwimmen lassen.
Es kommt mir wie Minuten vor, als ich unerwartet vor meiner Haustür stehe und nichts mit mir anzufangen wei?.
Ich bleibe auf der Treppe sitzen und warte.
Pule Nagellack von meinen Fingern.
Roísín Murphy noch immer in den Ohren und irgendeinen zusammengeknüllten Zettel mit einer blauen Nummer noch immer in der Hand.
Fühle mich, als drehte ich mich wie verrückt im Kreis, tu ich das ?
Den Kopf an die Wand, den Körper mitten vor den Eingang gebettet, nicke ich ein, bis es hell ist und mich ein sanftes Rütteln mit barscher Stimme weckt.
Sie reden Französisch.
Ich verstehe nicht.
Gähne hinter vorgehaltener Hand und raffe meine Beine zusammen, um ein paar Schritte in Richtung Bett zu unternehmen.
Der Schlüssel hängt innen in meinem kaputten Briefkasten, ich brauche mehrere Anläufe, bis ich ihn zu fassen kriege.
Der Mann, der mich so lieblos geweckt hat, rammt mir nun seine Gehhilfe in die Rippen und beschimpft mich auf seiner Zaubersprache.
Ich hüpfe alle vier Stockwerke Wendeltreppe im Eiltempo hinauf und brauche ewig, den Schlüssel in die Tür zu bekommen, die ich ohnehin nicht abgeschlossen habe.
Im neuen Jahr ein Schnappschloss, notiere ich in meinem Kopf und stolpere meinen unbeheizten vier Wänden entgegen, finde mein Bett und lasse mich mit Schuhen und Mantel in ein lichtverhangenes Meer aus neurotischen Alpträumen fallen.
Kapitel II.
Als ich aufwache, versuche ich, mich aus dem Moment zu winden und schubse Postkarten und Fotos, auf die ich mich gelegt habe, auf den Fu?boden. Eine ?lfarbtube ist neben meinem Kissen ausgelaufen, sattes Braun frisst sich in meine Finger, darin gebadet, zusammengewühlt, trocknet ein.
Eine Bewegung, vielleicht zwei, dann liege ich auf dem Rücken, die Nase zur Wand.
Mit gro?en Augen starre ich gegen die blaue Decke.
Der Vormieter hat ihr diesen Anstrich verpasst, ich hätte mir die Mühe nicht gemacht.
Auch die Möbel sind vom Vormieter, nur das Bett habe ich mir gekauft, darin ist er nämlich gestorben.
Das Telefon klingelt.
Einmal, zweimal.
Dreimal.
Dann hört es auf.
Ich möchte Zeit in ein Glas sperren und zusehen, wie sie darin um Hilfe schreit.
Das Fenster steht weit geöffnet, und obwohl es zieht, habe ich keine Lust aufzustehen und es zu schlie?en.
Schneeflocken krabbeln schwerfällig ins Haus und warten auf der Spitze der Heizung auf den Höhepunkt ihres Lebens, sie keuchen, wie kleine Tierchen mit Nasen und Husten.
Darunter stehen noch deine Schuhe, die Schnürsenkel verknotet, auf Zeitungspapier, längst getrocknet.
Ich hätte sie zur Seite räumen können, habe es nicht getan.
Deine Jacke hängt noch am Spiegel und verdeckt mein Gesicht, wenn ich hineinschaue.
Wei? nicht, wer ich bin.
Sand knirscht unter jedem Schritt, Erde ist es nicht.
Ich entscheide mich für einen Brief in meiner Rucksacktasche.
Gelb und nur halb zugeklebt.
Als warte er nur darauf, hektisch aufgerissen zu werden.
Das Papier fühlt sich zerbrechlich an. Als schimpfe es, so lange ignoriert worden und nun der Vergänglichkeit zum Opfer gefallen zu sein.
Klagend starren mir die Buchstaben einer fremden Handschrift entgegen. Falsches Z, rollendes R, lese ich heraus.
Ich überfliege ihn, im Hinterkopf hallt ein Echo der Stimme seiner Verfasserin, die ich nicht kenne.
Dann lege ich ihn zur Seite, schiebe einen klapprigen Holzstuhl auf den Balkon und fange sofort an zu frösteln, als sich die Kälte seiner Sitzfläche in meine Glieder strampelt.
Mein Moleskine auf den angewinkelten Beinen, die Finger erliegen einer Ohnmacht des Januars, ihnen fehlt die Kraft zu schreiben.
Die Wörter, die im Kopf wohnen, lassen sich nicht zu Papier bringen.
Ich pfeffere das Buch in die Ecke, nichts liest sich daraus. Ich bin wütend, schlage gegen die Wand, bekomme Nasenbluten, blanke Faust, purer Hass.
Ein paarmal, Wei? platzt auf, mein Tshirt schon rot, kleine Narben schieben sich zur Seite, noch immer darunter ein roter Stern.
Kapitel III.
Tatsachen fliegen durch den Raum und brechen dem Genick die Beine.
Sie versuchen zu begreifen, dass etwas ganz Schlimmes passiert ist. Es geht nicht in ihre Köpfe. Sie weinen.
Ich schlie?e die Augen und wei゚ plötzlich nicht mehr, wie Sprache schmeckt.
Der Boden wankt und die Farben rauschen.
Betäubt.
Die Sohlen unter meinen Fü゚en suchen Halt.
Im Haus liegt ein Schweigen, das selbst das Surren der Fliegen verschluckt. Der Hund traut sich nicht zu schnarchen.
Wir atmen leise.
Lungen, die um Hilfe brüllen. Sie schweigen, ich fahre mit dem Finger Leberflecken durch den Raum.
Es schmeckt wie Staub auf der Zunge, ganz anders als die laute Welt.
In Watte gesteckt, Zuckerwatte, klebrig, blutig verkrustet auf der Haut, wie eine Hülle, die man abziehen kann.
Wirr, alles ist durcheinander.
Ein Klavier spielt polnischen Jazz aus der Ecke, eine Strähne hängt ins Gesicht, unwirklich, Licht fahl.
Augenblicke klopfen leise an und verschwinden in Momenten, schütteln ihre Köpfe im Vorübergehen.
Sie seufzen, tragen Schildchen mit sich herum, hinauf, niedergeschlagen.
Man hört sie nicht, Beschwichtigung kommt durch die Mikrophone, hallt, ohne Inhalt prallen sie von den Wänden ab.
Ein Echo, kein Gelächter. Wir kümmern uns, man sollte nicht, lassen Sie, man hat bereits, stumm, Buchstaben der Wartenden verdreht, verdrängt, werden von unten verschluckt.
Ich sitze auf dem Gästebett, aufrecht. Karierte Fotografien, glänzend zwischen meinen Fingern.
Ich halte die Luft an.
Als könnte ich damit ein bisschen Leben von der Au゚enwelt aufschnappen, nichts schwappt herüber.
Die Sonne verliert Farbe und der Tag ist grau in grau. Lhasa de Sela. Lachen kann so einfach sein.
Ich wei゚nicht, was dann passiert ist.
Denke zurück.
Treppenabsatz, wir sitzen darauf, es ist spät, Grillen zirpen, du sagst, er ginge immer so früh schlafen, das sei normal, was ist normal, denke ich.
Du zeigst auf Fledermäuse, Spätsommer, sie irren kreischend durch die Nacht. Die Bäume im Wald schlafen, und du sagst, als ihr hergezogen seid, hättest du Angst gehabt.
Angst davor, nachts die Wäsche aus dem Wald zu holen, zwischen ersten, grauen Fassadenbäumen die Netze gespannt.
Wenns hell ist, habt ihr keine Angst.
Du hast uns zum Meer gefahren, die kleine Chinesin, deine Kinder, dich, und mich, es war leise. Der Mond ging auf, die Wellen waren so leise, dass wir flüstern konnten. Die Fü゚e krabbelten durch warmen Sand.
Du hättest sie heruntergerupft und seist zurück ins Haus gerannt. Als klemmte sich ein Schatten an dein Bein, als folgte dir ein Stück Dunkelheit mit ins Haus.
Die Kinder schlafen, nur wir drei sitzen noch vor dem Haus.
Rrrrring.
Wie ein grässlicher Schrei bellt das Telefon, ich schrecke zusammen.
Nehme den Hörer ab, lege auf.
Er fällt neben die Drehscheibe.
„Wer war das ?“
Diese einzige Frage schneidet den Raum.
Ich kann nicht mehr, muss Koffer packen, ich huste Blut, ich lasse mich auf den Boden fallen, ich darf nicht, muss mich daran festhalten.
Baila, baila para mi, ich keuche, huste, Rot auf Fliesen, ein Griff aus dem Handgelenk, als könnte man Flüssigkeit aufheben, festhalten.
Ziehe mich hoch, Wasserhahn, es dampft, ich spüre die Wärme nicht, sie rinnt mitten durch mich hindurch, nur meine Finger lösen sich darin auf, färben sich, butterrot.
Ihre Mäuler beginnen zu triefen, sie spucken Fetzen in die Luft, kein Atemzug. Wer. Bin. Ich. Darin. Möchte raus, muss atmen, die Tür zugesperrt, der Hund im Weg, ich kriege die Klinke nicht auf.
Sie bewegt sich denn doch, ohne mich, im Taumel, ich wanke, meine Beine schlagen sich eins vor das andere, nach vorn gebeugt, gekippt, ich falle nicht.
Sockfu゚stehe ich auf einmal vor dem Haus, Schneeflocken schaukeln mir in den Rippen.
Das Haus leise hinter mir, dicke Teppiche verschlucken den Raum, Buchstaben, mit uns darin.
Wir bewegen uns, es ist zeitlos, es klammert sich, es hat sich festgebissen.
Tief ins Fleisch.
Von unten.
Unter die Haut.
Drückt.
Bewegt sich nicht.
Es ist jemand gestorben, es ist jemand gestorben, auf Zehenspitzen. Und ich verstehe das nicht.
Kapitel IV.
Und jetzt soll ich dir die Nase zuhalten. Ich löse den Handschuh, er lockert sich nicht, hinterlässt ein rauhes Gefühl auf der Haut.
Das ist Zuhause, frage ich mich.
Hinterher darf man immer keine Fragen stellen, eine Ausstellung, sie zittern ein wenig.
Es ist aber nicht kalt.
Ist das Berlin ?
Dass man irgendwo nachts aufwacht, aus der Zeit, aus dem Moment rausgepresst und eingeschrumpelt wie eine Zitronenschale, dass bei einem plötzlich die Polizei vor der Tür steht und einen über einen Freund ausfragt, dass man sich, ohne Regung, schon in einer einzigen Stra?e verlieren kann ?
Dass man mit Wodka und verschmiertem Lippenstift Gassen entlangstreift, um billige Fotos zu schie?en.
Dass man mitten auf der Stra?e kleine britische Künstlerinnen aufgabelt, die Bilder von dir malen.
Dass die Zeit verschwindet, wenn man in irgendeiner türkischen Bar, in der noch Schallplatten aufgelegt werden, bis in irgendein Morgengrauen sich aus dieser Stadt heraustanzt, unsichtbar wird, dass man durch fremde Betten wankt, obwohl man wei?, dass da jemand ist, dem man nicht egal ist, verschwindet, bevor man sich auflöst, morgens und abends eine ganz andere Stadt.
Die Leute laufen an einem vorbei, durch einen hindurch, man sieht sie nicht mehr, die Menschen werden unsichtbar, man guckt einfach nur noch durch sie hindurch und sie durch dich.
Du lachst, du trinkst, bewegst dich in irgendeinem luftleeren Raum, du erwartest eine Form von Anerkennung, die von keiner Bedeutung ist, weil dir die Menschen einfach egal sind.
Legst dich mit Gitarre und Freundin irgendwo ans Wasser, wie ein herausgelöstes Puzzleteil, das nicht wiedergefunden werden will.
Wenns bei einem nicht funktioniert, wird der ersetzt, wenn man sich mit einem nicht anfreunden will, nimmt man halt jemand anderes, wenn die eine abends nicht mitwill, nimmt man halt ne andere, wenn . Verschroben, wozu eigentlich ..
Wackelt ein bisschen. Hab gedacht, wenigstens du würdest dich an ihn erinnern, aber ist auch nicht von Bedeutung.
Leute, Menschen, die persönliche Fragen stellen, und einsilbige Antworten nicht verstehen, die darauf warten, dass jemand nach Hause kommt, und sich mit ihnen unterhält, als ob sie kein eigenes Leben hätten.
Wozu ?
Ich meine, wozu ?
Wenn mich jemand nicht interessiert, wieso dann umgekehrt, und eigentlich nichtmal das, mehr ein Zeittotschlagen oder eine Form des Gesehenwerdens, was macht das für einen Unterschied.
Und jetzt schneits und irgendwie ist das schön, dabei hasse ich Winter, nichts mehr als blanker Hass.
Dinge verlieren ihren Wert, zeitlos, lustlos. Bin optimistisch und dafür, dass das Karussell jetzt mit Marionetten läuft, die Fäden sich verheddern, du nicht mehr aufspringen kannst, viel zu gut drauf .
Mir ist langweilig, erwarte mehr vom Leben.
Gott spielen auf Fotopapier, Mozart schreit: ‘Ich kann es aber durch Töne’ und kann es nicht. Mit Grammophon auf Sofa tanzen, vom Balkon kotzen und alles und sich überall stehen und liegen lassen. Luftballons mit Farbe füllen und gegen die Wände klatschen.
Bis Sommer.
Einmal im Leben.
Miss Joplin sein.
Konzerte, hat sie gesagt. Jazz, mehr braucht sie nicht.
Damit kann sie atmen, kann sie schmecken, fühlt sie, wie das wei?e Papier immer dunkler wird.
Kapitel V.
Ich streue die restliche Packung Würfelzucker auf die Terrasse.
Ein Iglu.
Ein Haus.
Eine Festung ohne Maus.
Deine Gitarre liegt noch im Garten, jemand hat sie vergessen.
Ich lasse das Iglu Iglu, den Würfelzucker Würfelzucker sein, ich frage mich, Warum gerade dich, ich frage mich und ich frage mich, warum eigentlich ich.
Ich liege auf Parkett, will tanzen, du neben mir, wir liegen im Bett, kalte Decke, stickig, eine Spinne seilt sich von der Decke herab, fragst mich: „Und ?“.
Ich sage, Nein.
Du fragst, Warum ?
Ich sage, Geht nicht.
Du fragst, Was ist denn ?
Ich sage, Du nervst.
Du grinst, Ja, vielleicht will ich das doch auch.
Ich antworte, Du hörst mir nicht zu.
Die Spinne hat das Bett erreicht, ich schnippe sie davon, du bemerkst sie nicht einmal.
Du fragst, Was ist denn das jetzt für dich ?
Ich antworte, Ich ziehe Montag nach Berlin.
Du lächelst wieder, sagst, dass ich mich doch sowieso nie entscheiden kann. Du grinst. Du bleckst deine Zähne, dein kaltes Raubtiergebiss, rei?t das Fleisch heraus, so leichte Beute.
Ich winde mich, drehe mich zum Fenster.
Auf Kipp.
Die Stra?e schwappt herein, die Sonne krabbelt über die Dächer, unter die Wolken.
Ich drehe und drehe und sag nichts.
Du fasst mit deinem Arm nach mir, du sagst nichts.
Ich drehe mein Gesicht zu dir hin, du fragst nichts.
Gleichgültigkeit, Erwartung darin.
Ich sage, Nein, das geht nicht.
Dein Blick nicht enttäuscht.
Ich sage, Berlin oder Hildesheim.
Du lächelst, diesmal sehr stumm, die Lippen den Abend verschluckt.
Ich setze mich hin, ziehe meine Beine an mich heran und suche mein Feuerzeug.
Gardinen einen Vorwand hinauf, geöffnet und drauf, ich ziehe, ich sag nichts, du lächelst, ich ziehe und du atmest.
Und dann sagst du etwas, das ich nicht vergessen kann.
Du sagst es.
Ich taste nach Papier.
Du fragst es.
Ich balle eine Faust, nichts darin.
Du lächelst und sagst es.
Und ich drehe und drehe und frag mich, warum eigentlich hier, wer bin eigentlich ich, ich drehe und drehe und frag mich, warum du mir hier, warum du jetzt hier, was das jetzt hier, und wer wir beide eigentlich sind.
Aufgewärmte Herzschei?e.
Aufgewärmt und unsichtbar.
Scheinlos.
Scheinfrei.
Dunkelheit, die Sonne kommt rein.
Ich drehe und drehe und frag dich, Wirst du mich wieder vermissen ?
Ich drehe und drehe und sag nichts.
Du ziehst an der Decke, du setzt dich hin, ziehst eine Feder heraus, dort, wo grad die Spinne wie ein Kind, dort, wo gerad die Spinne wie ein Wind, und ich drehe und drehe und sag nichts.
Wer bin ICH darin ?
„Ich vermisse dich nicht“, sage ich und es stimmt.
Das Iglu auf der Decke, der Zimt in der Ecke, das Iglu im Kreis, eine Lücke darin, das Iglu brennt wei?, brennt lichterloh unsere Träume hinaus.
Es schwemmt.
Es regnet.
Es atmet.
Zu viel Zucker, so viel Zucker, zu viel Zucker auf Papier.
Ich vermisse dich nicht, und wei?, dass es stimmt.
Ich sage, Baby, I’m off my way.
Ich zögere.
Ich sage, muss gehn.
Du liegst da, ich frage, alles okay ?
Du atmest, ich küsse dich auf die Stirn, du ziehst, ich sinke zu dir herunter, ich sage, Nein, ich meine Ja, ich will das nicht, es bedeutet mir nichts.
Du ziehst, ich frage, ist dir egal ..?
Du sagst, Du kommst sowieso zu mir zurück, ich muss gehn.
Du gähnst nicht, ich steh auf der Stra?e, du winkst nicht, ich frage, ich frag mich, ein Mann, ein Goldfisch in der Tüte, du gähnst nicht, ich frag ihn:
Seit wann kommen Schaufensterpuppen aus ihren Käfigen heraus ?
Der Mann antwortet, ich versteh nicht, er antwortet, eine Minute, sie bewegen sich nicht.
Puppen an der Ampel, erstarrt.
Puppen auf Parkett, glasklar.
Puppen im Mondlicht, ihr Schatten wirft Schatten, die unteren bewegen sich mit.
Kalt, bieder, zynisch, feurig, adrett.
Ich zücke mein Feuerzeug, kleine Kippe, ich steh auf der Kippe, weg von deinem Haus.
Ich steh im Dunkeln, im Mondlicht, die Sonne verdorrt nicht, Fleisch mürbe, ich kippe, ich kippe alles aus mir heraus.
Du stehst nicht, ich frage, du stehst vor dem Haus.
Ich schaue und sag nichts, du guckst nur, ich frag nichts.
Wir drehen uns.
Eine Weile.
Ich muss hier raus.
„Tschuldigung“, sagt er, ich höre ihn nicht.
„TSCHULDIGUNG ?“, schreit er.
Tschuldigung, FICKEN, Tschuldigung, ficken, mein Haus.
Ich sage, Tschuldigung, BITTE !?
Ich stiere, ich frage, ich stampfe auf.
Kapitel VI.
Du musst dich zusammenrei?en. Du musst stark sein, du musst die Augen zusammenkneifen, wissen, was zu tun ist.
Du musst den Kopf hochhalten, um dich schauen, du musst die Zähne zusammenbei?en, die Lippen zusammenpressen, ein Lächeln zustande bringen. Du musst nachdenken, musst begreifen, was passiert, du musst die Augen aufrei?en, du musst dich aufrecht halten, du darfst nicht zittern, du musst selbstbewusst sein.
Du musst trösten können, du musst helfen.
Du darfst dich einmal kurz am Geländer festhalten. Du machst einen Witz, lachst, du drehst dich herum, denkst dir ein tolles Kostüm aus, du fährst vor den Spiegel, damit er sich sehen kann.
Du musst stark sein, da ist eine Krankheit, die du nicht besiegen kannst.
Du willst, du kannst über hundert Bücher in deinen Kopf pressen, du kannst etwas suchen, du sitzt, du hängst über den Zeilen, du kannst dich nicht bewegen, du musst dich mehr anstrengen.
Du musst etwas finden. Du fragst dich, wie du etwas finden sollst zwischen all den Zeilen, die schon so viele altneu zusammengeflochten, durcheinandergebracht, auf den Kopf gestellt haben.
Du musst akzeptieren.
Du musst begreifen.
Du musst dich zusammenrei?en.
Du musst, du kannst es und es gibt nichts anderes, du musst, weil das Leben einfach so ist, du hast keine Wahl, so sehr du es auch willst.
Letztes Kapitel
Ich bin ein bisschen aufgewacht, versuche aus dem Schlafsack zu krabbeln und frage mich, ob ich in einer Wohnung, in der ich so lange nicht geschlafen hab, eigentlich noch zu Hause bin.
Oder ob jemand, der zweimal im Jahr umzieht, eigentlich ein Zuhause hat.
Wei? nicht.
Das Frühstück krame ich mir aus der WG-Küche, einer Box und dem Schreibtisch zusammen, baue alles vor mir auf und starre dann doch lieber aus dem Fenster.
Die Zeit zurückgedreht, war das mal alles meins.
Es ist ein komisches Gefühl.
Aber ein bisschen bin ich auch zurückgekehrt.
Neben meinem provisorischen und meinem vor zwei Jahren richtigen Bett liegen Zeitungen, ein paar Sachen, alte Fotos und viele Gedanken im Staub.
Ich denke mir Glassplitter zwischen die Fenster.
Die Wände leuchten im Wei? der Sonne.
Das hier ist ein Karussell – alles ist an derselben Stelle, aber es dreht sich viel schneller als das letzte Mal, als ich hier sa?.
Kurz vor meinem Aufbruch, Umbruch.
Weswegen ich noch gleich geweint habe ..?
Hier, an dieser Stelle, sa? ich, bevor ich in den Flieger stieg – und habe in den Nächten die berstenden Tage weggeschrieben.
Sitze auf demselben Stuhl.
Und doch ist das alles ganz anders.
Das Licht, die Töne haben sich geändert.
Die Vorhänge flattern ein bisschen.
Ich muss lächeln, obwohl ich noch ganz schlaftrunken bin.
Wo ist Zuhause, frage ich mich.
Ich muss mal frühstücken und ein bisschen nachdenken.
Hab vergessen, wer ich bin.
Manchmal passiert das.
Nachts.
Und ohne dass man traurig ist.
Der Kopf stellt ganz viele Fragen, auf die das Herz keine Antworten mehr wei?
Am Kakao hab ich mir die Zunge verbrannt.