Björk „Biophilia“ (One Little Indian)
Auch wenn Frau Gudmundsdottir mit der New Yorker Indieband Cymbals Eat Guitars kaum Berührungspunkte haben dürfte, so läßt sich deren eigentümlicher Name gut für die Vita der Isländerin verwenden. Ursprünglich entstammt die Bezeichnung ja einer Antwort von Lou Reed auf die Frage, wie denn der Sound von Velvet Underground bitteschön erklärt werden könne – im vorliegenden Falle umschreibt sie ziemlich genau die Wandlung Björks von der quirligen Frontfrau der Sugarcubes hin zum schillernden Gesamtkunstwerk – einzige Ergänzung: Die Gitarren sind schon seit längerer Zeit rückstandslos verdaut.
Aus dem eher unscheinbaren, koboldhaften Mädchen ist ja bekanntlich im Laufe der Jahre eine öffentlich mehrdimensional in Erscheinung tretende Persönlichkeit geworden – man kennt sie nicht mehr nur als Sängerin, sondern auch durch Filmschauspiel, Performance, als Modemuse, Gattin von Experimentalfilmer Matthew Barney und nicht zuletzt als politische Aktivistin. In gleichem Maße, wie ihr die Musik von einer Haupt- zum gleichwertigen Nebenbeschäftigung wurde und die dafür erzeugte Klangwelt zunehmend enigmatischer und entrückter geriet, schmolz jedoch die Zahl derer, die ihr zu folgen bereit sind. Als Künstlerin kann oder muss ihr das egal sein, allein für eine Musikerin ist es zumindest fragwürdig.
Kann man denn nun das neueste Opus „Biophilia“ ohne allen crossmedialen Schnickschnack auf einer herkömmlichen CD überhaupt noch anhören? Braucht man dazu ein Wörterbuch, ein Programmheft, eine Gebrauchsanweisung, einen Facebookaccount? Diese Fragen sind heutzutage ja nicht so ganz aus der Luft gegriffen und mancher reagiert, wie kürzlich in einer Kurzreplik der Süddeutschen zu lesen war, darauf schon fast allergisch und im leicht genervten Pofalla-Duktus. Fest steht jedenfalls: Ja, man kann sich „Biophilia“ auf herkömmliche Weise erschließen, und: Nein, es tut gar nicht so weh.
Sicher, es sind schon einige Prüfungen für den bereitwilligen Zuhörer enthalten – man fühlt sich ein wenig an die schwer konsumierbare Darwin-Oper „Tomorrow, In A Year“ des schwedischen Geschwisterpärchens The Knife erinnert – das Hauchen und Wimmern beispielsweise, welches das dumpfe Dröhnen von „Dark Matter“ begleitet, oder aber das tiefe Gurgeln der Orgelpfeifen bei „Hollow“, das urplötzlich in einen verstörenden, flirrenden Beat wechselt. Es ist aber nicht so, dass sich Björk endgültig von Melodie und Harmonie verabschiedet hätte, sie versteckt sie nur besser. Die beiden ersten Auskopplungen „Crystalline“ und „Virus“ sind bei aller Frickelei vergleichsweise stringente Stücke, ersteres mit knackigen Breakbeats als Outro und das andere sogar mit Anleihen an die Schmachtfetzen der Westernwelt von Sergio Leone.
Gleichwohl sind Konzentration und Mühe für diese Platte unerläßlich, sie bleibt schwere Kost und taugt zu keiner Zeit als wohltemperierte Kulisse. Wer sich aber darauf einläßt, darf als Lohn einige Überraschungen erwarten – etwa den derben Technoschwenk in „Mutual Core“, das Klanggewitter von „Sacrifice“ oder die anrührende Nähe von „Cosmogony“. Vielleicht kein Album, was man zur Zerstreuung auf Dauerschleife laufen läßt, faszinierend bleibt der Kosmos und seine Deutung dieser so eigenwilligen wie unbeirrbaren Frau allemal.
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