Crashkurs: Wohnungsökonomie

Von Andrejholm

Gestern war ich zu einer Veranstaltung der Diakonie Hamburg „Hamburg wächst – alle dabei?“ eingeladen und durfte als Veranstaltungsinput einen kleinen Rundumschlag zur Ökonomie und Politik der Wohnungsversorgung vortragen.

Der Fragekatalog der Veranstalter hätten sicher für ein komplettes Seminarprogramm gereicht:

  • Nach welchen ökonomischen Regeln funktionieren Wohnungsmärkte in unserer Gesellschaft?
  • Wie unterscheiden sich Wohnungsmärkten von anderen Märkten?
  • Welche Akteure spielen auf den Wohnungsmärkten welche Rolle? (Grundbesitz, Investoren, Eigentümer, Wohnungsbaugesellschaften, Staat, Städte, Mieter)
  • Welche Gruppen von Wohnungssuchenden werden aufgrund der Funktionsweise der Wohnungsmärkte systematisch benachteiligt
  • Welche politischen Handlungsmöglichkeiten gibt es (insbesondere Handlungsspielräume für Kommunen), um diese Benachteiligungen abzufedern? (Rolle von Bund, Land, Stadt, Interessensverbände, Soziale Bewegungen)
  • Lässt sich die Wohnungsversorgung anders als über den Markt lösen?

Letztendlich sind es 25 kompakte Minuten geworden. Für alle, die sich einen Überblick über die Themenbereiche verschaffen wollen, gibt es hier mein Vortragsmanuskript.

Anmerkungen zur Ökonomie und Politik der Wohnungsversorgung

Vortragsmanuskript von Andrej Holm für die Veranstaltung Hamburg! Gerechte Stadt. | Hamburg wächst – alle dabei? am 21.09.2010 in Hamburg (centro sociale)

Der weit verbreitete Begriff des Wohnungsmarktes deutet auf eine Organisation der Wohnungsversorgung unter den Bedingungen der kapitalistischen Ökonomie. Wie andere Waren unterliegt der Wohnungsbau und die Wohnungsbewirtschaftung damit makro- und mikroökonomischen Rationalitäten. Daraus können einige grundsätzliche Überlegungen abgeleitet werden.

1. Wohnungen haben einen Doppelcharakter als Gebrauchs- und Tauschwerte

Der Doppelcharakter von Waren zugleich Träger von Gebrauchs- und Tauschwerten zu sein, trifft auch für die Wohnungsversorgung zu. Während der Gebrauchswert („Die Nützlichkeit eines Dings macht es zum Gebrauchswert“) Aspekte wie die Größe, Qualität und Ausstattung einer Wohnung umfasst – drückt sich der Tauschwert über den Verkaufspreis bzw. die Gewinnspannen der Wohnungsvermietung bestimmt.

Anders als in den Annahmen zur Warenproduktion bestimmt sich der Wert einer Immobilie nicht über den Produktionspreis der zu ihrer Erstellung „gesellschaftlich notwendigen Arbeit“ (MEW 23: 53), sondern wesentlich über externe Bewertungsfaktoren wie der Lage, dem Wohnungsmarktsegment oder der Knappheit des Angebots. Steigende Mietkosten ohne Aussattungsverbesserungen etwa werden von vielen Bewohner/innen als auseinanderklaffende Schere zwischen Gebrauchswert und Tauschwert empfunden. Während Mieter/innen vor allem an einer Verbesserung der Gebrauchsqualitäten ihrer Wohnungen interessiert sind, orientieren sich ökonomisch rational handelnde Eigentümer/innen an der Maximierung der Mieteinnahmen bzw. Verkaufspreisen.

Diese Konstellation kann als grundlegendes Widerspruchsverhältnis zwischen Mieter/innen und Eigentümer/innen interpretiert werden. Dieser Antagonismus wird durch eine Reihe von gesetzlichen und adminisitrativen Rahmenbedingungen (Mietrecht, Baurecht, Wohngeld etc.) reguliert aber nicht aufgehoben.

2. Wohnungen sind zinstragende Kapitalanlage

Aus einer ökonomischen Perspektive stellen sich Immobilien als zinstragendes Kapital – vergleichbar mit einer Finanzanlage – dar (Brede/Kohaupt/Kujath 1975:24 ff.). Wegen der hohen Erstellungskosten von Wohnungen oder auch Bürogebäuden zirkuliert der Wert von Immobilien „in eigentümlicher Weise“ (MEW 24: 160). Anders als beim Verkauf eines Autos oder einer Waschmaschine wird der Wert nicht auf einmal und vollständig, sondern „allmählich und bruchweise“ übertragen. Dadurch bleibt das investierte Kapital über lange Zeit in den gebauten Strukturen fixiert – und kann dadurch eben nicht sofort wieder investiert werden. Diese zeitliche Verzögerung des Kapitalumschlags wird durch Zinsen ausgeglichen.

Diese Ökonomie des Wohnungsmarktes hat enorme Folgen Denn ein solcherart organisierter Wohnungsbau konkurriert immer mit anderen Anlageoptionen (Sparbuch, Aktion, Schiffscontainer) und erst wenn die durchschnittliche Verzinsung höher als in anderen Bereichen ist, lohnt sich eine Investition in den Wohnungsmarkt. Auber auch innerhalb des Wohnungsmarktes weisen verschiedene Teilmärkte unterschiedliche Gewinnaussichten auf, so dass in der Tendenz v.a. in die profitablen Bereiche der Wohnungsversorgung investiert wird. Preiswerte Mietwohnungsbestände gehören in der Regel nicht dazu. Aus der ökonomischen Struktur der Grundrenten heraus kann erklärt werden, warum es einen systematischen Mangel an preiswerten Wohnungsgelegenheiten gibt.

Die Struktur des Immobilienökonomie als zinstragendes Kapital führt aktuell zu dem (nur) scheinbaren Paradox, dass auf dem Höhepunkt der Finanzkrise verstärkt in den Immobilienmarkt investiert wurde (weil die Anlagen ins sogenannte Beton-Gold als relativ sicher galten). Auch das wohnungswirtschaftliche Geheimnis der Gentrification lässt sich mit dem Zinscharakter der Wohnungswirtschaft erklären: Investitionen in Modernisierungsmaßnahmen versprechen eben dort die höchsten Gewinne, wo die Ertragslücken am höchsten sind – also in den Gebieten, die aus wohnungswirtschaftlicher Sicht die geringsten Restnutzwerte aufweisen (und damit i.d.R. Die niedrigsten Mietpreise). Verdrängung wird dann nicht zu einem ungewollten Nebeneffekt der Investition, sondern zur Voraussetzung der Investitionsstrategie.

3. Wohnungsmärkte sind ‘unvollkommene Märkte’


Wohnungsmärkte weisen neben den langen Reinvestitionzyklen einige weitere Besonderheiten auf, die zu eingeschränkten Allokationseffekte führen (Krätke 1995: 194 ff.): Insbesondere die Immobilität des Wirtschaftsgutes ‘Wohnung’, die beschränkte Reproduzierbarkeit (Wohnung als knappes Gut) und die externen Preisbildungsfaktoren (z.B. Preise weniger von den wohnungsbezogenen Qualitätskriterien, als von Lagemerkmalen bestimmt) weisen den Wohnungsmarkt als ‘unvollkommen Markt’ aus.

Im Verglich zu idealtypischen Marktmodellen sind Wohnungsmärkte durch

  • mangelnde Transparenz (Aufspaltung in Teilmärkte erschwert vollständige Marktübersicht und führt zu Monopolstellungen),
  • geringe Anpassungselastizität (lange Produktionsdauer und Restnutzungsdauern verzögern die Anpassung an veränderte Nachfragestrukturen)
  • Vorhandensein persönlicher Präferenzen (Benachteiligung/Bevorzugung entlang außerökonomischer Kriterien)
  • fehlende sachliche Gleichartigkeit der Güter (Aufspaltung in regionale, sachliche, mietrechtliche Teilmärkte)

Die oft betonten Verteilungsfunktionen des Marktes wirken im Bereich der Wohnungsversorgung nur sehr eingeschränkt – deshalb die Rede vom ‘unvollkommen Markt’ bzw. vom ‘systematischen Marktversagen’.
Darüber hinaus würden aber auch funktionstüchtige Verteilungsfunktionen des Wohnungsmarktes das Problem der ‘sozialen Blindheit’ nicht überwinden. Denn auf Märkten zählen nicht Bedürfnisse und Bedarf sondern die Nachfrage – Obdachlosigkeit wäre dann keine Versorgungslücke im ökonomischen Sinn, weil es ja keine zahlungskräftige Nachfrage gibt.

4. Die Wohnungsversorgung ist in der Hand von Immobilien-Verwertungs-Koalitionen

Doch der Wohnungsmarkt wirkt nicht einfach aus seiner ökonomischen Logik heraus, sondern wird auch ‘gemacht’. Das Wohnungswesen ist ein hochkomplexes System, dass nur im Zusammenspiel verschiedener Akteure funktioniert. So setzt ein städtischer Wohnungsmarkt die Kooperation von Grundeigentümern, finanzierenden Banken, Architekten und Stadtplaner/innen, der Bauwirtschaft und i.d.R. der Stadtverwaltungen voraus. Politische und administrative Rahmenbedingungen wie etwa die Steuergesetzgebung, das Bau- und Mietrecht, Denkmalschutzbestimmungen und Förderprogramme haben einen wesentlichen Einfluss auf die Investitionsaktivitäten.

All die benannten Akteursgruppen haben ein gemeinsames Interesse an der Bodenverwertung der Stadt und müssen sich auf ein gemeinsam geteiltes Programm des Wohnungsbaus einigen. Die dominierende Orientierung auf die Errichtung von Eigenheimen an den Stadträndern in den 1960er und 1970er Jahren steht ebenso wie die Hinwendung zu Stadterneuerungsprogrammen in den 1980er und 1990er Jahren für die Konstitution solcher „Interessenblöcke“ (siehe Bodenschatz 1987: 10). Aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive können wir in Anlehnung an die städtischen Wachstumskoalitionen (Logan/Molotch 1987) von lokalen Immobilien-Verwertungs-Koalitionen sprechen. Während das Interesse von Eigentümer/innen, Banken und der Bauwirtschaft v.a. wirtschaftlich begründet werden kann, ist die aktive Rolle von Stadtregierungen vor allem über Strukturen der Klientelpolitik und eine zunehmend unternehmerische Orientierung von Stadtpolitiken (Harvey 1989; Brenner/Theodore 2002) zu erklären. Gerade in Zeiten der internationalen Standortkonkurrenz gibt es wohl keinen schlimmeren Vorwurf an die lokale Politik als ‘investitionsfeindlich’ zu sein. Die naive Hoffnung auf nach unten durch sickernde Wohlstandeffekte eines Wirtschaftswachstums ist bis weit in sozialdemokratischen, grüne und linke Politikauffassungen verbreitet.

Im Rückgriff auf den beschriebenen Doppelcharakter der Ware Wohnung kann in den Städten ein Interessengegensatz zwischen der an den Tauschwerten orientierten Immobilien-Verwertungs-Koalition und den an Gebrauchswerten orientierten Bewohner/innen angenommen werden. Ein Beispiel: während Bauherren, Banken und Bauwirtschaft von steigenden Bodenpreisen und Wohnkosten profitieren, sind Mietsteigerungen bei der Mehrheit der Bewohner/innen eher unbeliebt.
Doch die hier beschriebene Interessenkonstallation ist von einer enormen Ungleichverteilung von Macht geprägt. Währen die eine Seite institutionell vernetzt ist und über wesentliche ökonomische, fachliche und politische Ressourcen verfügt, ist die gemeinsame Artikulation von Interessen der Bewohner/innen erheblich schwieriger.

5. Systematische Benachteiligung auf Wohnungsmärkten

Die Folgen dieser ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen der Wohnungsversorgung bewirken eine zunehmende soziale und räumliche Polarisierung in den Städten. Insbesondere der Zugang und die Qualität der Wohnungsversorgung wird einer Abhängigkeit der ökonomischen Ressourcen der Bewohner/innen unterworfen.

So führen freifinanzierte Neubauten und Modernisierung regelmäßig dazu, dass die besseren (neuen) Wohnungen den höchsten Preis haben und ärmere Haushalte an die älteren, meist preiswerteren und oft schlechteren Wohnungsbestände verwiesen werden. Auch unabhängig von den sozialen und emotionalen Kosten einer Verdrängung aus angestammten Nachbarschaften führt diese Struktur zu der Herausbildung eines Zweiklassenwohnens: Reiche wohnen wo sie wollen – Arme wo sie müssen.

Der durch den Markt systematisch hervorgerufenen Mangel an preiswerten Mietwohnungen verschärft sich durch die wachsende Konkurrenz in diesem Teilsegment des Wohnungsmarktes. So hat beispielsweise in vielen Städten durch die demografischen Veränderungen (Zunahme der Kleinsthaushalte) die Nachfrage nach kleinen Wohnungen erheblich zugenommen. Effekt dieser erhöhten Nachfrage sind die deutliche steigenden Mieten bei den Neuvermietungen.

Im Zusammenhang mit systematischen Benachteiligungen beim Zugang zur Wohnungsversorgung sind auch diskriminierende Praktiken von Wohnungsverwaltungen und Eigentümer/innen bei der Wohnungsvergabe zu nennen. So zeigen Studien aus verschiedenen Städten, dass nicht-deutsche Wohnungsbewerber/innen in einigen Stadtteilen (unabhängig von ihren Einkommenssitutionen) bei der Wohnungsvergabe benachteiligt werden. Auch Hartz-IV-Haushalte sind durch die beschränkte Übernahme der Unterkunftskosten und die zeitlichen Verzögerungen bei den Wohnungsbewerbungen durch die Zustimmungspflicht der Jobcenter gegenüber anderen Wohnungsbewerber/innen benachteiligt. Auch im privaten (Unter)Vermietungsgeschäft sind ärmere Haushalte etwa durch das Angebot von teilweise üppigen Vermittlungsprämien einem ungleichen Wettbewerb ausgesetzt.

6. Sozialorientierte Stadtpolitik heißt Dekommodifizierung und Vergesellschaftung

Welche Schlussfolgerungen sind aus diesen Bedingungen der Wohnungsversorgung zu ziehen – welche Voraussetzungen hat eine soziale Stadtpolitik?
Ganz allgemein lässt sich das Programm einer sozialen Organisation der Wohnungsversorgung als Dekommodifizierung und Vergesellschaftung beschreiben.

Dekommodifizierung also das Herauslösen der Wohnungsversorgung aus den Marktlogiken kann dabei als Ziel und Maßstab für die Bewertung wohnungspolitischer Programme und Regelungen verstanden werden. Ganz grundsätzlich lassen sich drei zentrale Steuerungsmedien für einen staatlichen bzw. kommunalen Eingriff in die Wohnungsversorgung benennen:

  • Geld (z.B. Förderprogramme, die langfristig preiswerte Wohnungen sicherstellen oder Belegungsbindungen aus den Wohnungsmärkten herauslösen. Notwendig wäre meines Erachtens eine Diskussion über einen Neuen Sozialen Wohnungsbau)
  • Recht (Mietrecht, Baurecht, Städtebaurecht können durch Auflagen und Genehmigungsvorbehalte auch soziale Ziele fixieren – in der Praxis wird jedoch meist eine Liberalisierung der gesetzlichen Regulationsinstrumente durchgesetzt)
  • Eigentum (Eigentum an Grundstücken z.B. für einen preiswerten (Miet)Wohnungsbau nutzen; kommunale Wohnungsbestände für eine soziale Wohnungsversorgung benachteiligter Haushalte nutzen – auch hier weist die Praxis der Privatisierung und Ökonomisierung leider ins Gegenteil einer sozialen Stadtpolitik)

Als zweiten Aspekt einer sozialorientierten Stadtpolitik hatte ich das Stichwort der Vergesellschaftung benannt. Gemeint ist damit zunächst vor allem die Entmachtung der beschriebenen Immobilien-Verwertungs-Koalitionen und eine Re-Politisierung der Stadtpolitik im Sinne einer gemeinsamen und öffentlichen Debatte und Entscheidung über gemeinsame und öffentliche Belange.

In einer weitergehenden Perspektive kann Vergesellschaftung auch als die Übernahme der Verfügungsgewalt von Wohnungen in eine Bewohnerselbstverwaltung verstanden werden. Modelle für solche Selbstverwaltungsstrukturen gibt es bisher nur in den gesellschaftlichen Nischen von Wohnprojekten (wie z.B. dem Mietshäusersyndikat) die durch ein hohes Maß an kultureller und sozialer Exklusivität gekennzeichnet sind. Hier gilt es verallgemeinerbare Perspektiven zu entwickeln.

In der Praxis einer sozial orientierten Stadtpolitik werden Dekommodifizierung und Vergesellschaftung nicht auf einen Schlag durchsetzbar sein. Als Maßstab des eigenen Handelns bieten sie jedoch eine sinnvolle Orientierung bei der Formulierung von Forderungen und Vorschlägen und Programmen.