Córdoba (V)

Ich schlurfe zum Bad, stoße mich am Kopf, der erklingt wie ein leerer Karton. Nein, das Wort, dass geschrieben werden will, wird heute mein größter Widersacher. Ein banger Blick in den Spiegel: Sonntag, endlich. Wieder eine Woche, ein Wochenende überlebt – körperlich.

Dennoch, mir scheint die Sonne aus dem Arsch. Ich bin guter Laune und lade Dani zum Frühstück ein. Es ist das bisher beste in Argentinien: Wir bestellen uns geröstetes Toast mit Käse, Schinken sowie Gemüse, Kaffee und Frucht-Shakes. Üblicherweise isst man in Argentinien zum Frühstück wenig, aber dass was man dazu isst, reicht eigentlich für den ganzen Tag: Ein typisches Frühstück besteht aus einem Kaffee, gesüßt und ohne Milch sowie Croissants – ›media lunas‹ heißen sie hier. Alternativ greift man zu Weißbrot, das mit Marmelade oder ›dulce de leche‹ – einer Creme aus Milch, Zucker und Vanille – bestrichen wird. So bescheiden das Frühstück, so üppig ist das Mittagessen, dem sich eine Siesta anschließt. Und obwohl Argentiniens Küche für mich aus nur zwei Zutaten zu bestehen scheint – Zucker und Fleisch – sieht man den Menschen das nicht an, in keinster Weise.

Aus der Situation heraus und weil ich endlich mit einem Einheimischen zusammen bin, möchte ich mehr über die Essgewohnheiten erfahren. So ist der Grund des sehr späten Abendessens – Dani selbst isst nie vor 22 Uhr – nicht nur das extrem heiße Klima in Nord- und Zentralargentinien, sondern auch die Tatsache, dass viele Familien erst zur späten Stunde zusammenfinden, denn viele haben neben ihrem Beruf weitere Jobs, um über die Runden zu kommen, oder sich etwas zu leisten. Das Essen ist ein zu wichtiger Ritus, um es nicht in Gesellschaft einzunehmen. Dani engagiert sich neben ihrer Vollzeitstelle als Grafik-Designerin und Web-Entwicklerin, am Feierabend noch als Freiberuflerin. Mehrfach in der Woche zudem nimmt sie an Kursen in der Universität teil. Ohne das Geld aus ihrer freiberuflichen Tätigkeit könnte sich sich all die Dinge, die das Lebens erst schön machen, nicht leisten, und das, obwohl ihr Vater ihre – zugegeben große, aber einfache – Wohnung subventioniert. In ihrer Wohnung hat sie einst mit ihrer Schwester gelebt, aber diese sei in ihrer Persönlichkeit ein schwer umgänglicher Mensch. Ich frage sie warum sie nicht mit jemandem zusammenzieht, in Deutschland zum Beispiel sind Wohngemeinschaften populär. Sie entgegnet, dass es hier nicht vorstellbar ist, entweder man zieht mit Familienangehörigen zusammen, oder guten Freunden, aber Fremden, das würde niemand hier machen. Das überrascht mich, denn mir scheinen die Menschen Argentiniens, im Kontrast zu meinen Erfahrungen aus Deutschland, spürbar aufgeschlossener, hilfsbereiter, offenherziger – lebensbejahender. Dani gibt zu, dass ihre erste Zeit in Córdoba dunkel war. Sie schlief viel, denn nach der Arbeit war niemand da. Sie fühlte sich einsam. Denn nach dem Studium, zu dem sie von San Luis mit Freunden hergezogen war, gingen die meisten ihrer Freunde wieder zurück. Sie litt an dem, was die Menschen in fluktuierenden Großstädten leider auch charakterisiert: Schnelllebigkeit, Desinteresse, Oberflächlichkeit. Ich dachte an mein erstes Jahr in Berlin, dass durch einsame grimmige Spaziergänge in der Nacht gekennzeichnet war, und ich, ich bin damals mehr als glücklich nach Berlin gegangen.

Wir kommen zurück zum Thema Essen, und ich möchte wissen, wie das späte Abendessen denn mit dem Rhythmus von Kindern vereinbar ist, vor allem zu Weihnachten. Dani berichtet aus ihrer Familie und erzählt, dass sie damals immer ins Bett geschickt und zum Abendessen wieder aufgeweckt wurden, und manchmal gab es die Bescherung vorher. Weihnachten: Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben ein Weihnachten ohne dem gehabt, das Weihnachten zu dem macht, was es ist: Kurze, kalte Tage, Schnee, kahle Wälder, rote Wangen, taube Füße, Glühwein und heißer Kakao. Aber Dani findet meine Assoziationen absurd.

An der Ecke stehen Uniformierte: Blaues Camouflage, Barette, Gewehre. Aber das versteht auch Dani nicht. Córdoba sei nur in der Nacht gefährlich. Es wird viel geraubt und gestohlen, was zur Folge hat, dass selbst Zehn-Pesos-Salamis im Supermarkt oder Halbe-Liter-Flaschen Fernet Branca (wesentlich teurere Alkoholika jedoch nicht) mit einem Pieper abgesichert ist. Aber ihr Distrikt sei insgesamt sicher, nur die Peripherie, die ironischer Weise als ›Villen-Hügel‹ bezeichnet wird, sollte man meiden.

Wir sind müde vom Wochenende. Aber Dani hat einen ausgezeichneten Filmgeschmack. Wir schauen Polanskis ›der Pianist‹, einen brillanten, aber durch seine Gewaltszenen ungemein verstörenden, Film über das Schicksal des jüdischen Pianisten Szpielmann im Warschauer Ghetto. Ein Gedanke begleitet mich die gesamte Zeit über: Es war schon zynisch, wie sehr die Menschen am Leben festhielten. So unmenschlich die Situation, so aussichtslos die verrinnenden Sekunden waren, so sehr bemühten sich die Unglücklichen ihnen Leben abzugewinnen und es – koste es was es wolle – zu verlängern. Dani vergießt Tränen, sie generiert sich: ›Ich bin halt eine Frau‹ entschuldigt sie. Männer weinen auch, man sieht ihre Tränen nur nicht immer, sage ich im Stillen. Der Film bewegt uns so sehr, dass wir anschließend über die Geschichte Europas reden. Dani weiß mich durch profundes Wissen zu überraschen. Anschließend schauen wir Woody Allens ›Zelig‹, eine Komödie, die lediglich von wüsten Beschimpfungen draußen unterbrochen wird: ›Puta, hijo de puta!‹ wird immer wieder in die Nacht gebrüllt, gedonnert oder krakeelt. Und wem die Worten fehlen, der schreit einfach Zeter und Mordio. ›Fußball?‹. Dani nickt lächelnd.

Danach sagen wir uns auf argentinisch ›gute Nacht‹, eine Umarmung und Kuss auf die Wange. Und wieder dieser Blick. Meine Gedanken wanken. Ich bin verwirrt durch den Unterton ihrer Fragen im Laufe des Tages. Sie verlässt das Zimmer. Ich drehe mein Kopf hinterher. ›Dani!‹ deute ich an. Sie dreht sich um.


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