Raglan ist einer der vielen Surferorte auf der Nordinsel Neuseelands, liegt aber ausnahmsweise an der rauheren Westküste. Gleich als wir ankamen, ereilte uns dieses Gefühl: Alles ist locker, leicht und cool. Die Leute sehen aus, als würden sie grad vom Surfkatalogshooting kommen, ausgebleichte blonde Haare, gleichmäßig sonnengebräunte Haut, Modelfigur und gewinnendes Lächeln. Das wollten wir dann auch gleich genauer wissen und fuhren hinunter zum Strand. Und tatsächlich waren über 30 Surfer auf dem kurzen Abschnitt im Wasser, der Rettungsschwimmerturm voll besetzt, ein Rettungsschwimmer am Wasser mit wachsamen Augen aufs Meer gerichtet und roter Schwimmboje in der Hand. Wie in Baywatch. Das ganze sah so verlockend aus, dass wir uns für den nächsten Tag vornahmen, ein Bodyboard (oberkörpergroßes Styroporbrett) auszuleihen und auch einmal ein bisschen im Wasser rumzupaddeln. Wir übernachteten auf einem großen Campingplatz, der tatsächlich mal viele Camper beherbergte. Leider prasselte als wir aufwachten der Regen auf unser Autodach, so dass unsere Boarderfahrung bis zum nächsten Traumstrand warten muss, also sicher nicht sehr lange.
Da es in Raglan tatsächlich mal geregnet hat, packten wir unsere Sachen zügig zusammen und fuhren quer durchs Land an die Ostküste. Auf dem Weg passierten wir Hamilton, in dem wir nur kurz verweilten, um Weihnachtskarten zu schreiben. Ansonsten fanden wir die Stadt nicht besonders sehenswert. Unser nächster Stopp war in Waiti, einem winzigen Ort, der jedoch eine Besonderheit hat: Seine Goldmine. Geht man die Hauptstraße entlang, sieht man erst einmal nichts, außer als ein eigentümliches hohes schmales Betonhaus, das eine Ruine zu sein schien. Wir gingen den kurzen Weg hinauf und erfuhren, dass dies das Pumphaus der Mine war. Ein paar Schritte weiter über den Hügel an der Hauptstraße erschlägt es einen dann fast: Plötzlich standen wir vor einem riesigen, wirklich megagroßen Loch in der Erde. Durch seine rote Sandfarben und Steinschichten und den grünen Rändern wirkte es wie eine mächtige Fleischwunde in der Erde. Noch heute wird in der Mine Gold gefördert, jedoch nicht mehr so viel (6g pro Tonne Gestein) und die Tage der Mine sind gezählt. Die Stadt hat jedoch bereits reagiert und sieht die Situation ganz realistisch: Sie müssen eine neue Einnahme- und Beschäftigungsquelle finden. Hierfür hat sie scheinbar eine Organisation ins Leben gerufen, die darüber beratschlagt, was aus der Mine werden soll: Die aktuellen Pläne sind am Zaun auf einem Plakat bereits umrissen. So konzentriert die Stadt sich logischerweise auf den Tourismus und will die Mine zu einem Entdeckungsort umbauen.
Wir fuhren dann noch ein bisschen weiter, nach Whangamata, das direkt am Meer liegt. Hohe Wellen und weißer Sandstrand ließen uns wieder unser Badeklamotten anziehen und auf ging es ins Wasser. Mit kurzem Schlüsselverlust und -Suche am Strand fanden wir etwas außerhalb einen großen DOC-Campingplatz, der erste mit Campingplatzverwalter vor Ort und relativ „teuer“ (9,00 Dollar/Person). Nicht im Preis inbegriffen waren die heißen Duschen, auf die wir uns schon sehr freuten. Doch auch bei Münzeinwurf wurde eine Dusche gar nicht warm und die andere dafür kochend heiß. Naja, Camping macht hart. In der Nacht hatten wir dann auch noch eine 30-Mücken-Tötaktion und am nächsten Morgen regnete es wieder, so dass wir Camping nicht mehr so romantisch fanden und uns für die nächsten zwei Nächte eine Auszeit davon gönnten.
Zuvor standen für den Tag aber noch zwei Sehenswürdigkeiten auf der Strecke an: Erster Halt war der berühmte Hot Water Beach, eine weitere Möglichkeit für Lowbudget-Touristen kostenlos ein heißes Bad aufgrund von vulkanischen Aktivitäten zu nehmen. Dieses mal geht das sogar direkt am Meer. Bereits auf dem Weg dort hin bieten verschiedene Läden Spaten zum Ausleihen an und der „Touristenstrom“ kam uns in Campervans entgegen. Da fiel uns das erste Mal ein, dass wir gar nicht wissen, wie die Gezeiten sind und dass wir eventuell die Ebbe, die das Baden erst möglich macht, genau verpassen. Am Parkplatz angekommen, bestätigte sich unsere Ahnung: Die meisten waren bereits am Abreisen und das Meer stand schon relativ hoch am Strand. Dumm gelaufen. Trotzdem gingen wir ein Stück am Strand entlang zu der Stelle, an dem normalerweise ein Loch von 30 cm ausreicht, um an die Erdwärme zu gelangen. Hier graben täglich Touristen Löcher in den Strand und setzen sich in das badewannenwarme Wasser. Einige versuchten es immernoch, als wir ankamen, aber die Wellen machten die Löcher gleich wieder zunichte. An einem schmalen Streifen konnte man jedoch genau sehen, wie der Sand anfing zu blubbern, wenn grad keine Welle ankam. Hier brauchte man nur ein wenig die Füße in die Erde graben und verbrannte sich fast die Sohle, so heiß war es bereits 5 cm unter der Oberfläche.
Weiter auf der Fahrt hielten wir an der Cathedral Cove, einer Höhle bzw. einem Bogen am Strand. Wir sahen sie nur von oben und entschieden uns gegen den Abstieg, da wir in dem Touristenansturm sowieso keinen Parkplatz finden konnten und für den schönen Ausblick auf die kleinen Inselchen im Halteverbot standen. Die Wasserfarbe, ein sattes Türkis, und die schwarzen Inselketten waren wieder eine ganz andere Landschaft. Wir fuhren jedoch noch ein Stück weiter bis nach Coromandel Town (die ganze Halbinsel heißt auch Coromandel). Der Name klingt bei weitem größer, als das kleine Dorf tatsächlich ist. Wieder spielt sich das Leben hauptsächlich an der einen Hauptstraße ab und gegen Abend um acht ist es wie ausgestorben, wären da nicht die überdurchschnittlichen guten Restaurants, die die Gäste anziehen. Wir hatten ja nun schon eine Weile von Dosenessen gelebt, so dass wir uns ein Abendessen in dieser kulinarischen Gegend gönnten. Die Portionen in dem Café mit schönen Außentischen, von denen aus man die ganze Straße beobachten kann, waren wirklich sehr edel (klein), aber überdurchschnittlich lecker. Jere hatte ein Rindersteak mit vier halben Kartöffelchen und ich hatte ein Lamm mit je zwei Scheiben Karotten und Kumara (Süßkartoffel). Dazu gab es Salat. Erstaunlicherweise wurden wir fast satt davon. Trotzdem teilten wir uns noch einen Nachtisch, der jeden Cent wert war: Es hieß zwar anders, aber später im Internet fanden wir die Bezeichnung „Lavacake“ dafür: Eine Tasse mit einer Art feuchtem Schokokuchen drin, der in der Mitte noch richtig heiß und flüssig war. Lecker!
Um wieder ein wenig Tempo aus unserer Reise zu nehmen und die Eindrücke verarbeiten zu können, blieben wir zwei Tage in Coromandel. Ein urgemütliches Hostel, das „Lions Den“, ließ uns wieder für einen reduzierten Preis im Van übernachten und Küche, Bäder und Aufenthaltsräume mitbenutzen. Das Lions Den war für mich das gemütlichste Hostel in ganz Neuseeland. Alles ist afrikanisch eingerichtet, das Haus ist klein und verwinkelt, hat nur wenige Betten und eine große Veranda, die z.T. noch einmal nach außen hin verglast ist. Hier kann man sich auf der „Fensterbank“ auf die große Kissen legen und in den Urwaldgarten schauen. Die Besitzerin war sehr freundlich und lief die meiste Zeit nur mit einem Hippi-Tuch umwickelt herum.
An unserem reisefreien Tag machten wir fast nichts. Mittags spazierten wir zur „Hauptstraße“, um zu sehen, was so los ist im Dorf. Und tatsächlich erwischten wir wohl den spannendsten Tag im Jahr: Schon in unserer Nebenstraße wimmelte es von Kindern und „Paradewagen“: Es war wieder „Santa Parade“, die wir schon in mehreren Städten gesehen hatten. Diesmal waren wir jedoch mitten drin und Coromandel Town hat sich einiges einfallen lassen! Jeres Lieblings“wagen“ war eine Gruppe von Rentnern, die in ihren elektrischen Rollstühlen bunt geschmückt wie Weihnachtsbäume in der Parade mitfuhren. Alle Bewohner des kleinen Ortes standen auf der Straße und winkten den Wägen zu. Am meisten freuten sich alle wohl über die vielen Bonbons, die in die kleine Menge geworfen wurden. Wir liefen ein Stück mit der Parade mit und nahmen dieses ganz andere Weihnachtsgefühl wahr. Für die Neuseeländer bedeutet Weihnachten eher: Sommerferien und BBQ, surfen, sonnen und entspannen. Am Abend schauten wir uns noch einen gewaltig bunten Sonnenuntergang an.
Um weiter in den Norden von Neuseeland zu gelangen, genauer gesagt ins Northland, muss man durch das Nadelöhr Auckland hindurch, die größte Stadt Neuseelands, in dessen Ballungsraum eine Millionen Menschen wohnen, also ein Viertel der neuseeländischen Bevölkerung. Alle bisherigen Bekanntschaften, die Auckland bereits erlebt hatten, rieten uns, möglichst nicht viel Zeit hier zu verbringen. Unser erster Eindruck: Gar nicht mal so schlimm. Die Straße bis nach Auckland an der Westküste Coromandels entlang wirkte bereits wie eine Küstenstraße in Griechenland: Die Vegetation war nun deutlich trockener, an den Straßenrändern standen Bäume mit leuchtend roten Igel-Blüten und das Meer wurde immer türkiser.
Auckland selbst hat chaotische Straßenverläufe, was vielleicht weniger erfahrene Fahrer abschreckt. Jere fuhr jedoch, als wir unsere Werbezettel für den Van im allen BBH-Hosteln aufhängten, wie ein erfahrener LKW-Fahrer über die dreispurigen Kreuzungen und verwinkelten Einbahnstraßen, als wäre er in der Großstadt aufgewachsen. Nach ungefähr der Hälfte der Strecke erhielt ich eine SMS von Laura, die mit mir zusammen im Bug Hostel in Nelson geputzt und auch in der Pizza Bar gearbeitet hatte. Zufällig ist sie auch noch ehemalige Schülerin von Jeres Vater, die Welt ist so klein. Sie habe uns gerade an ihrem Hostel vorbei fahren sehen. Wir unterbrachen also unsere Tour und tranken mit Laura und ihrem Freund Daniel einen Tee. Die beiden erzählten uns von ihren Abendteuern auf den zwei Inseln. Daniel hat unter anderem mit seiner deutschen Firma, die hier auf Betriebsausflug war (edel edel!) eine Heliraftingtour gemacht. Sie wurden mit dem Hubschrauber an irgendeinen Punkt eines wilden Flusses gebracht, an dem man sonst nicht rankommt und dann haben sie sich den Fluss hinunter gestürzt. Leider hatte sich der Anbieter vorher nicht richtig informiert und so haben war nicht genug Wasser im Fluss, so dass sie einen großen Teil der Strecke laufen mussten. Ganz schön ärgerlich bei den übertriebenen Preisen.
Einen guten Tipp bekamen wir von den zweien auch noch mit auf den Weg, bevor sie am nächsten Tag nach Deutschland abreisen:
In der Nähe von Auckland liegt Piha Beach, wo es einen günstigen (11 Dollar/Person) und schönen Campingplatz mitten in dem kleinen Ort gibt. Der Betreiber nutzt die öffentlichen Toiletten mit, was aber nicht bedeutet, dass sie dadurch irgendwie verdreckt wären. Vielmehr sind sie durch diese Strategie der Stadt ständig beaufsichtigt. Warme Duschen gab es auch. Piha Beach an sich ist auch einen Besuch wert. Es liegt wie viele Orte auf der Nordinsel in einer Bucht, umringt von Bergen. Wenn man hinunter fährt, sieht man jedoch gleich die Sehenswürdigkeit schlecht hin: Mitten in diesem Kessel mit Meeranschluss steht noch mal ein schmaler hoher Berg, der Lion’s Rock, und teilt die Bucht in zwei Strände auf. Der Berg sieht aus, als wäre er dort hin gesetzt worden. Und das alles in der Nähe von Auckland. Jetzt, wenn ich diesen Bericht gerade schreibe, sind Jere und ich auch wieder in der Nähe von Auckland, weil wir bei einer Familie wwoofen, und mir wird klar, wie schnell man vergisst, dass man immernoch in diesem wunderbaren Land ist und alles gar nicht so weit weg. Es reichen 3 Tage arbeiten und schon ist man in einer anderen Welt und vergisst, wie schön alles rundherum ist. Sehr eigenartig! Ich denke, so müssen sich die Neusseländer fühlen: Sie wissen gar nicht, dass sie nur eine Stunde fahren müssen, um im Urlaub zu sein.