Wie es sich für eine "Debatte" hierzulande gehört, müssen die Ärmsten der geistig Armen auch bei der Steuersenkungsdiskussion mit neuen Texten gefüttert werden, die man so lange wiederholt, bis sie auswendig vorgetragen werden können. "Vier Beine gut, zwei Beine schlecht" ist ein Klassiker, "Vier Beine gut, zwei Beine besser" wäre ein weiterer, oder eben auch.... moment...
Linder: Ungerecht, dass der Staat mehr vom Aufschwung hat als die Bürger
fdp.de
Vergessen Sie, dass Sie kein Bürger sind, wenn Sie keine Steuern zahlen, und vergessen Sie auch, dass Sie der Staat sind. Vergessen Sie, wie Ihre Bürgersteige aussehen, wie Ihre Straßen aussehen, wie Ihre Schulen aussehen, wie Ihre Theater und Museen und Bibliotheken aussehen, vergessen Sie den Zustand öffentlicher Gebäude und den Zustand der Infrastruktur.
Vergessen Sie, wie haargenau die gleichen Leute, auch wenn einige von ihnen die Ämter getauscht haben, noch vor einem Jahr auf Sparschweinen durchs Dorf ritten und uns ein "Rekord-Sparpaket" verabreichten, dass durch ähnliche Pirouetten längst in seine Bestandteile zerfallen ist.
Sie haben sonst keinen Platz mehr auf Ihrer politischen Festplatte, und Sie müssen ein paar neue Begriffe lernen, zum Beispiel "Kalte Progression" und "Mittelstandsbauch". Und die müssen Sie dann emotional, wenn auch nicht geistig, kombinieren mit "böse". Oder, da vor allem emotional,
"Mittelstandsbauch" ist hier auf diesem Blog sehr schön erklärt. Und jede andere Gelegenheit, bei der Sie mit sehr wissenschaftlich aussehenden Kurven fürchterliche Mißstände beklagen können. Der Witz in diesem konkreten Fall ist, dass Sie das eigentliche "Problem" garnicht durch Steuersenkungen bekämpfen können, es sei denn, Sie suchen nach einem Vorwand, durch den somit eintretenden Automatismus hohe Einkommen überdurchschnittlich zu entlasten. Sie müssten staatdessen dafür sorgen, dass aus der nominellen linearen Progression eine reale wird. Das würde dann übrigens mindestens 26 Milliarden Euro kosten, wenn Sie vermeiden, dabei irgendwen zusätzlich zu belasten. Aber das vergessen Sie jetzt besser gleich wieder alles, und speichern stattdessen
"Kalte Progression" ist das Zusammenwirken von Lohnerhöhungen und statischen Eckwerten für Steuersätze. Wenn Sie über Jahrzehnte einen festen Betrag als Einkommen festsetzen, ab dem der Spitzensteuersatz zu bezahlen ist, dann landen selbst dann früher oder später Leute über diesem Betrag, die über Jahrzehnte nur Lohnerhöhungen bekommen haben, die gerade mal so den Inflationsausgleich schaffen oder sogar dahinter zurückbleiben. Das heißt: Diese Menschen haben keinen realen Kaufkraftgewinn durch ihre Lohnerhöhungen, müssen aber mehr von ihrem Einkommen an Steuern zahlen, verlieren also real an Einkommen. Und das ist in der Tat nicht nur emotional schlecht.
Hier kann man mit Steuersenkungen arbeiten; macht man auch regelmäßig. Wenn Sie zum Beispiel tatsächlich den Spitzensteuersatz zahlen müssen, weil Sie genug dafür verdienen - mein Mitleid haben Sie - sank Ihr Steuersatz in den letzten 30 Jahren von 55 Prozent auf 42 Prozent, Kohl und Schröder sei Dank. Das hat aber nichts an der "Kalten Progression" geändert, weil man an dem eigentlichen Mechanismus nicht geschraubt hat - also zum Beispiel die Eckwerte automatisch inflationsbereinigt, sprich, um die jeweilige Inflationsrate steigen läßt. Das wäre exakt der einzige Weg.
So entlastet man, vor allem langfristig, wiederum nur die hohen Einkommen, und die sind in den letzten Jahren eben nachweislich nicht nur um die Inflationsrate gewachsen. Auf der anderen Seite sind die niedrigen Einkommen meist nicht mal annähernd so stark gestiegen, dass sie mit der Inflation mithalten konnten; deren Problem ist nicht kalte Progression, sondern eine miese Lohnentwicklung. Aber das müssen Sie jetzt alles wieder von Ihrer Festplatte löschen und ersetzen durch
Und jetzt alle im Chor:
Mittelstandbauch böse, kalte Progression auch böse, Staat böse, FDP gut.
Wetter besser.
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