Kendrick Lamar – Good Kid, m.A.A.d City
VÖ: 23.10.2012 – Aftermath / Interscope
Rapper sind Geschichtenerzähler. Geschichten vom Leben und von Kämpfen, von Sex und Tod, Selbstreflexion und gesellschaftlicher Verortung. Wer einmal ein Booklet eines Nas oder Common Albums gelesen hat, der weiß ob deren lyrischem Wert. Und ja, das gros der Mainstreamplastikaffen zerstört dieses Bild. Umso erstaunlicher ist es, dass mit Kendrick Lamar ein Rapper in den Aufmerksamkeitsradius der Öffentlichkeit tritt, der tatsächlich etwas zu erzählen hat und dabei einen Fick auf die Verhaltensmuster der Industrie zu geben scheint. Ein Song mit Lady Gaga? Aufgenommen, ja, aber passt eben nicht ins Albumkonzept. Feature mit Dr. Dre und Mary J. Blige? Werden aus dem selben Grund lediglich als Bonus Tracks an das Album angehängt. Trotzdem verkaufte er in den USA in der ersten Woche bereits 241.000 Platten. Kendrick scheint tatsächlich einen Traum zu haben. Einen Traum von einer Welt, in der sich Qualität bezahlt macht.
Gerade hat das Black Hippy-Mitglied mit „Good Kid, m.A.A.d City“ ein sehr gutes Album auf seine ebensolchen Mixtapes folgen lassen.
Das Album, untertitelt mit „A short film by Kendrick Lamar“, ist sowohl was die Soundästhetik als auch den Geschichtenaufbau in drei Akten angeht, sehr klassisch. Die Beats flirten zwar etwas mit den Subbässen und dem minimalen Sound der Gegenwart, jedoch ohne diesen zum Diktat zu erheben. Im Gegensatz zu Tyler, The Creator ist Lamar kein weiterer Skateboard-Hipster mit Anarcho-Attitude sondern ein wortgewandter Traditionalist, der die Geschichte weitererzählen möchte, die von Kollegen wie Dr. Dre oder MC Eiht – beide werden auf dem Album gefeatured und scheinen Kendrick ihren Segen gegeben zu haben – in den ausgehenden Achzigern und frühen Neunzigern aus Compton, Los Angeles, erzählt wurden. Gleichzeitig sampelt auch er sich querbeet durch die neuere und neueste Musikgeschichte, von Kool and The Gang über Kayne West bis zu Janet Jackson, Twin Sister und Beach House!.
Kendrick beginnt das Album als pupertierender Heisssporn, der nur ein Ziel vor Augen hat: Pussys. Bevor damit jedoch auch die Probleme beginnen ruft ihn seine Mutter via Mailbox an, da sie das Auto zum einkaufen benötigt. So unspektakulär kann das Leben im Ghetto eben auch sein. „The Art Of Peer Pressure“ erzählt Dumme-Jungen Geschichten und verfolgt mit seinen Anleihen an G-Funk und dem Topos der Rosecrans Ave. die Geister von West Coast Gangster-Rap. Der einzige In-Your-Face-Track, „Backseat Freestyle“ mit der Hookline „I pray my dick gets as big as the Eiffel Tower, so I can fuck the world for 72 hours“ erweist sich lediglich als Beispiel für frühe, klischeeverliebte Rapversuche des jungen Kendricks auf der Autorückbank eines Freundes. Natürlich ist das Album nicht frei von Gewalt- und Sexphantasien und Erlebnissen, aber letztlich hat es der Hörer mit einem zurückhaltenden, reflexiven, genau beobachtenden Erzähler zu tun der nicht weniger real ist als seine Original-Gangsta-Kollegen. Oder wie Lamars Vater es seinem Sohn am Bett erklärt: „Any nigga can kill a man. That don’t make you a real nigga. Real is responsibility. Real is taking care of your motherfucking family.“
Kendrick Lamar online.
Autor: Johannes Hertwig