Coming home: Wir Bleiben Alle!

Coming home: Wir Bleiben Alle!Fast auf den Tag genau 20 Jahre nach den letzten großen Mietprotesten in der Stadt rufen über 30 Initiativen wieder zu einer Wir-Bleiben-Alle-Demonstration in Berlin auf. Am 09. September 1992 versammelten sich etwa 20.000 Ostberliner Mieter/innen vor dem Roten Rathaus und protestierten gegen die steigenden Mieten und eine drohende Verdrängung aus der Innenstadt.

Am kommenden Sonnabend (23. September) um 16 Uhr am U-Eberswalder Straße (Prenzlauer Berg) wird zur Demonstration “Wir bleiben alle! – Mittendrin statt außen vor” aufgerufen.

Angeführt wird die Demonstration von der besetzten Seniorenbegegnungsstätte Stille Straße 10 zusammen mit den Mieterinitiativen Kotti & Co und den „Palisaden Panthern“ aus der Palisadenstraße. Sie werden die Demonstration um 16:00 feierlich eröffnen.

Coming home: Wir Bleiben Alle!

Wir-Bleiben-Alle-Demonstration im September 1992 vor dem Roten Rathaus (Quelle: Umbruch Bildarchiv)

Damals wie heute ging es den Initiator/innen darum, die Verdrängungsprozesse aus der Innenstadt zu stoppen und eine Gentrifizierung (die wir damals noch Umstrukturierung nannten) zu verhindern. Damals wie heute geht es um die Grundkonflikte einer marktwirtschaftlich organisierten Wohnungsversorgung und eine völlig verfehlte Wohnungspolitk. Und damals wie heute erheben vor allem jene ihre Stimmen, die in den politischen und öffentlichen Diskursen sonst nichts zu sagen haben.

20 Jahre  ”Wir Bleiben Alle!”

Der Trend zum Revival ist ja eigentlich eine schreckliche Mode und sollte uns auch im Kontext politischer Mobilisierungen skeptisch machen. Doch die Wiederkehr der Wir-Bleiben-Alle-Schilder und Mietproteste ist die Konsequenz aus einer durchaus vergleichbaren Situation.

Gesellschaftliche Verankerung: Als eine spezifische Qualität der WBA-Proteste von 1992 wurde immer wieder die gesellschaftliche Breite der Mobilisierung beschrieben. Im Vergleich zu den damals zentralen Protestthemen  Antifa- und Häuserkampf kamen zur Wir-Bleiben-Alle-Demonstration all jene Nachbar/innen, die sonst höchstens aus den Fenstern sahen. Wir Bleiben Alle! war keine Szene-Mobilisierung und keine Parteipolitik, sondern ein echter Basisprotest, der seine soziale Breite einer allgemeinen Betroffenheit verdankte. Die damals vom Bundestag beschlossene Mietenanpassung der Ostmieten an das Westniveau (Mieteüberleitungsgesetz, MÜG) wurde lange Zeit als mietenpolitische Ausnahmesituation beschrieben. Flächendeckende und gleichzeitige Mieterhöhungen wurden als zentraler Grund angesehen, warum die sonst in Wohnungsfragen üblichen Individualisierungstendenzen aufgebrochen werden konnten.

Doch die flächendeckenden Mietsteigerungen in Berlin, die Erwartung der nächsten Mietspiegelerhöhung und der Umstand, dass selbst im Sozialen Wohnungsbau die Mieten steigen, haben 2012 eine vergleichbare Ausgangssituation geschaffen. Mieten und Wohnungsfragen sind keine private Angelegenheit mehr, sondern Dauerthemen in Alltagsgesprächen und der Lokalberichterstattung. Das Wohnungsthema hat sich erneut ins Zentrum der Alltagserfahrungen von vielen geschlichen und kann als Gravitationspunk der sozialen Frage angesehen werden. Auch wenn es am Samstag keine 20.000 sein werden, die illustre Liste der aufrufenden Initiativen steht für das relativ breite Spektrum der von Mieterhöhungen Betroffenen. Hier kommen Punks aus subkulturellen Freiräumen wie der KvU mit Sozialmieter/innen im Rentenalter zusammen, hier treffen Hausgemeinschaften die sich in verschiedenen Bezirken mit ihren Hausverwaltungen und Eigentümer/innen herumschlagen auf das Bündnis gegen Lager, die die menschenverachtende Unterbringung von Flüchtlingen in Sammelunterkünften anprangern und hier werden türkische Sozialmieter/innen aus Kreuzberg mit  räumungsbedrohten Clubs vom Spreeufer gemeinsam demonstrieren.

Parteienunabhängige Selbstorganisation: Ein zweites Merkmal der Wir-Bleiben-Alle-Proteste Anfang der 1990er Jahre war der Charakter einer politischen Basisbewegung. Organisiert von Aktiven aus den Stadtteilen war die Mobilisierung trotz klarer politischer Forderungen (Rücknahme der administrativen Mieterhöhungen!) unabhängig von parteipolitischer Einflussnahme. Parteienvertreter/innen durften als Privatpersonen an den Vorbereitungstreffen teilnehmen, eine formale Kooperation wurde abglehnt. Kontakt zur Politik, so das damalige Selbstverständnis, sollte zu den selbst definierten Konditionen stattfinden. Als z.B. als Kundgebung vor dem Roten Rathaus, als öffentliche Diskussionsveranstaltung mit dem damaligen Bauminister Töpfer in der vollbesetzten Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg oder als Busfahrt von Ostberliner Rentner/innen zum Bundesbauministerium nach Bonn.

Wie vor 20 Jahren ist auch die aktuelle Mietprotestbewegung ein Ergebnis von verfehlter Politik und der Großteil der aufrufenden Gruppen setzt wenig Hoffnung in die politischen Akteuere und Verfahren. Wir Bleiben Alle! versteht sich wie vor 20 Jahren als ein Akt der Selbstermächtigung – als Demonstration auf der Straße, als Hausgemeinschaft in konkreten Auseinandersetzungen und als ungefragtes Eindringen in die politische Arena. Wie schon Anfang der 1990er Jahre werden die aktuellen Proteste von Basisinitiativen getragen und nicht einmal die institutionalisierten Mieterorganisationen spielen eine Rolle bei der Organisation und Ausgestaltung der Proteste.

Moralische Ökonomie: Der Mobilisierungerfolg von Wir Bleiben Alle! Anfang der 1990er Jahre hatte viel mit der Selbstverständlichkeit zu tun, mit der die Wohnungsversorgung in der DDR gesehen wurde. Wohnungsprobleme gab es beim Zugang zu einer Wohnung oder Umzugswünschen – die Vorstellung jedoch, dass eine so existentielle Angelegenheit wie das Wohnen von ökonomischen Kriterien bestimmt werden könnte, war schlicht außerhalb der Vorstellungskraft von vielen. Die  tief verankerte Normalität des Wohnens als Teil einer sozialen Infrastruktur in Ostdeutschland wurde durch den Anschluss mit den Marktrealitäten des Westens konfrontiert. Die von der Regierung im fernen Bonn beschlossenen Mieterhöhungen wurden als Bruch dieser sozialen Selbstverständlichkeit wahrgenommen.

Auch die aktuellen Proteste entwickeln ihre Schärfe insbesondere vor dem Hintergrund einer Empörung über eine bisher kaum vorstellbare Infragestellung von Selbstverständlichkeiten. Ganz unabhängig, ob es um Freiräume in Prenzlauer Berg geht, um Klubs am Spreeufer oder um Mieter/innen im Sozialen Wohnungsbau – alle konnten sich in den vergangenen Jahren als selbstverständlicher Teil der Innenstadt fühlen. Der Anschluss des Berliner Wohnungsmarktes an die internationalen Normalität von Immbolien-Verwertungs-Strategien stellt nichts weniger in Frage als den Stadtentwicklungsmodus der vergangenen 20 Jahre. Mit Ausnahme der Ostberliner Sanierungsgebiete gab es bis zur Jahrtausendwende in Berlin faktisch keine Mieterhöhungen und trotz kontinuierlicher Räumungen von ehemals besetzten Häusern konnten sich Subkultur und Hausprojekte als fester Bestandteil der Berliner Innenstadt etablieren. Diese Aufkündigung von bisherigen Selbstverständlichkeiten trifft auch die Mieter/innen in den Sozialwohnungen. Gerade hier hatten sich die Bewohner/innen auf eine dauerhaft soziale Mietentwicklung eingestellt, die mit den Mietsteigerungen und dem Kostenmietwahnsinn nun fundamental in Frage gestellt ist. Vergleichbar mit dem Anschluss-Schock Anfang der 1990er Jahre werden die angeblich normalen marktwirtschaftlichen Mechanismen von vielen eben nicht als Normalität akzeptiert.

Das Selbstverständnis, dass eine Stadt anders als über Marktmechanismen organisiert sein sollte, war damals und ist heute die Quelle des Protestes und der wohl beste Grund am Samstag auf die Straße zu gehen.



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