Come, walk with me: Im Reich der Erlen

Als ich mein Telefon vom Küchentisch nehme, fällt mir auf, dass sich meine Stimmung in den letzten Tagen merklich erhellt hat. Das beklemmende Gefühl der Ohmacht ist verschwunden und einem neuen Aufbruchswillen gewichen. Vielleicht liegt es daran, dass ich nur noch ein Mal am Tag die Nachrichten lese. Auf meinem Display leuchten auch jetzt die neuesten Schlagzeilen auf. Schreckensmeldungen, die einfach nicht abreißen wollen. Die Welt hat sich aus ihrer Verankerung gelöst und unser Alltag ist in fragile Segmente zerlegt. Mit dem Finger wische ich die Meldungen weg. Ich wünschte, sie ließen sich so einfach auslöschen.

Für den Moment muss es reichen, die Dinge im Kleinen zurechtzurücken. Ich überrede meinen müde wirkenden Engländer zu einem Spaziergang und bin überrascht, dass es mir ohne größere Widerstände gelingt.

Bevor wir losziehen, werfe ich noch schnell einen Blick auf die Karte. Rund um unser Haus erstreckt sich ein rot schraffiertes Geflecht aus Fußwegen, die kreuz und quer über Felder, Wiesen und durch bewaldete Täler führen. Die meisten kenne ich bereits, doch jedes Mal fühlt es sich an, als würde ich neue Pfade betreten. Nicht nur das Wetter und die Jahreszeiten verändern den Boden unter meinen Füßen, auch der Zustand meines Gemütes und meine Gedanken spiegeln sich in der Landschaft, die ich durchstreife. Ich falte die Karte zusammen und lasse sie auf dem Küchentisch liegen, denn ich habe die Route längst gewählt:

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Noch mehr England-Lektüre gefällig? Dann lege ich dir mein Buch ans Herz: „Kopflos auf dem Pennine Way – Eine Berlinerin in der englischen Wildnis“. Als E-Book, Hardcover oder Taschenbuch hier erhältlich:

„Kopflos auf dem Pennine Way – Eine Berlinerin in der englischen Wildnis“

Und hier folgt unser Spaziergang zum Nachlesen:

Am Ende unserer Straße biegen wir in einen schmalen Fußweg ein. Die pinkfarbenen Blütentrauben wilder Johannisbeersträucher setzen sich kontrastreich gegen den wolkengrauen Himmel ab. Die hoch aufragenden Ziergewächse stammen ursprünglich aus Nordamerika und sind seit König Edward VII. ein beliebtes Dekorelement der englischen Gartenbaukunst. Im Sommer tragen sie dunkelblaue Früchte, die zwar essbar sind, aber keinen Geschmack haben. Umso mehr freuen sich zahlreiche Vögel daran. Ein wenig erinnern sie mich an Kirschblüten. Sie begleiten den Frühling auf seinen ersten Streifzügen über das Land, verdecken die kahlen Spuren des Winters.

An den Zweigen von Pappeln, Erlen, Haseln und Weiden haben sich flauschige Kätzchen gebildet. Die zarten, mit Blüten bestückten Kolben schwingen leicht im Wind. Bienen laben sich surrend an ihrem Nektar, verteilen ihre Pollen weiter. Die Bestäubung der Bäume folgt einem rein zufälligen Muster und wirkt doch so perfekt inszeniert. Auf der gegenüberliegenden Seite des Tals rattert ein Zug über das Viadukt, dessen steinerne Bögen sich wie die Fenster einer gigantischen Kathedrale zu einer anderen Zeit hin öffnen. Dahinter verteilen sich Wohnhäuser und vereinzelte Bauerngehöfte in weiträumigen Abständen über tiefgrüne Hügelketten. Überall hat sich Feuchtigkeit tief ins Gemäuer und in den Boden gesogen. Die englische Landschaft ist vom Regen eingefärbt. Regen, der bis in die Grundmauern vordringt, die Sandsteinfassaden verdunkelt und das Gras der umgebenden Weideflächen mit kräftigen Tönen übertüncht. Selbst an düsteren Tagen strahlt der grüne, gräserne Pelz der Hügel aus allem hervor, wie ein smaragdener Teppich, der die Welt bis zum Horizont hin erhellt.

Wir steigen hügelabwärts und laufen durch eine kleine Neubausiedlung, die zum Teil noch unbewohnt ist. In den lose aufeinandergestapelten Steinreihen der Trockenmauer, die am Straßenrand aufgetürmt ist, entdecke ich eine Kletterpflanze mit kleeblattförmigen Blättern. Ich bleibe stehen und verliere mich in ihrer feinen Anatomie. Wie ein lose miteinander verknüpftes Maschenwerk quoll Stengel um Stengel aus den Ritzen hervor. Mein Herzschlag synchronisiert sich mit dem Rhythmus ihres Wuchses und ich begreife, dass das Leben auch in den schwärzesten Stunden immer wieder einen Weg an die Oberfläche fand.

Durch ein Holztor führt unser Weg hinein in ein parkähnliches Waldstück, das am Hang eines Hügels oberhalb des Kanals verläuft. Hohe Erlen säumen den ebenen Pfad. Ihre Kronen sind noch unbelaubt. Im Gegensatz zu ihren Verwandten, den wankenden Silberbirken, stehen sie aufrecht und stolz da, recken ihre Äste wie knöcherne Finger gen Himmel, so als würden sie danach trachten, dass sich die Wolken darin verfangen. Was unter ihnen geschieht, scheint sie nicht weiter zu stören. Ich lege meine Hände an einen jungen Stamm, der noch keine schuppige Rinde ausgebildet hat. Überall da, wo seine Oberfläche nicht von Moos bedeckt ist, ist sie vollkommen glatt und reflektiert die Wärme meiner Haut. In der Berührung eines Baumes liegt eine beruhigende, entschleunigende Kraft. Ich frage mich, ob das der Grund sein könnte, warum ich mich in hektischen Zeiten oft nach den Wäldern sehne.

Wir nehmen eine steile Treppe, die uns zum Kanal hinunterführt. Gelächter und Kinderstimmen dringen von der anderen Seite zu uns herüber. Es tut gut, zu sehen, dass die Menschen noch immer Gelegenheiten nutzen, die sie fröhlich stimmen. Hier in England spielt der Humor in diesen Tagen eine besonders große Rolle. Das hat allerdings  nichts damit zu tun, dass die Menschen in diesem Land die Situation nicht ernst nehmen würden oder sich darüber lustig machen. Humor ist eine Verarbeitungsstrategie, ein Ventil, um das Unfassbare erträglicher zu machen. Ich finde das sehr legitim und habe mir vorgenommen, mir mindestens ein Mal am Tag auch einen Scherz zu erlauben und mein Lachen auf keinen Fall zu verlieren.

Die Natur ist an dieser Stelle wieder wild und ungezügelt. Wir steigen über buckliges Wurzelwerk und umgefallene Stämme. Trockene Äste knacken und knirschen unter unseren Füßen. Mir gefallen die unaufgeräumten Wälder, in denen nichts nur für sich allein wächst, sondern alles miteinander verwoben ist und ich meiner eigenen Route durchs Unterholz folgen kann. Ich liebe die unbezwungene Landschaft, die mich nicht entmündigt, indem sie mir einen zurechtgetrampelten Pfad vor die Füße setzt. Die mir Freiräume lässt, die ich selbst mit Bedeutung füllen kann.

An der Schleuse legen wir eine kurze Pause ein und überlegen, wo wir unseren Spaziergang fortsetzen wollen. Der Wasserstand ist noch immer hoch, obwohl die letzten heftigen Regenfälle bereits ein paar Wochen zurückliegen. Im Sommer treiben schmale, bunt bemalte Hausboote den Kanal entlang. Doch jetzt liegen die Kähne still und werden vermutlich für eine lange Zeit ihre Motoren nicht starten können.

Wir laufen ein Stück am Ufer des Kanals entlang und biegen durch eine Öffnung in der Steinmauer erneut in ein Waldstück ein, durch dessen Mitte ein kleiner Fluss rauscht. Die Bäume stehen hier weit auseinander und kosten ihren Platz vollständig aus. Ihre Äste haben sich in kunstvollen Formen in alle Richtungen hin entfaltet. Da wo sie nahe am Ufer stehen, haben sich ihre moosbewachsenen Stämme weit zur Wasseroberfläche hinabgebeugt. So als würden sie sich darin spiegeln wollen. Mit ihren gespaltenen Stämmen und ihren verdrehten Gliedern wirken sie wie Spukgestalten, die in mondhellen Nächten umherirren und am Tag zu reglosen Wesen erstarren. Sie gleichen einander in der Statur wie Soldaten einer abgestellten Armee. Stumm wachen sie über ihr Land, über den Fluß, die Felsen, den sandigen Pfad. Ich wünschte, ich könnte ihre Stille in meine Welt hineintragen und den Lärm unserer Tage damit ausweißen.

Als Flachlandbewohnerin waren die Hügel meiner neuen englischen Heimat noch vor wenigen Jahren eine körperliche Herausforderung. Soweit es ging, bin ich ihnen ausgewichen. Inzwischen habe ich mich an sie gewöhnt und die Aufstiege sind weitaus weniger mühsam. Jetzt freue ich mich sogar, wann immer ein Gipfel vor mir aufragt, denn ich weiß, dass sie mich mit kostbaren Aussichten belohnen. Ich habe die Hügel lieben gelernt und ich glaube, ein klein wenig lieben sie auch mich.

Wir steigen also wieder bergan. Auf halber Höhe betreten wir einen ausgeschilderten Wanderweg, der mitten durch einen privaten Garten führt. Ganz wohl ist uns nicht dabei, mitten in einer Pandemie bei fremden Leuten über den Hof zu spazieren. Und ich rechne damit, dass wir jeden Moment des Grundstücks verwiesen werden. Wir beeilen uns und erreichen das rettende Tor in die Freiheit, bevor irgendjemand auf uns aufmerksam wird.

Wenig später treffen wir auf einen Farmer, der dabei ist, die Brombeerhecken zurückzuschneiden, die den Fußweg überwuchern. Wir grüßen ihn höflich, aber er grummelt uns nur etwas Unverständliches entgegen und lässt uns passieren. Vielleicht ist es doch eine schlechte Idee, gerade jetzt über fremden Boden zu staksen.

Wieder legen wir einen Zahn zu und gelangen schließlich über einen wackligen, von Stacheldraht umgebenen Zaun hinwegkletternd auf eine Landstraße. Wir sind erleichtert, aber auch etwas bedrückt. Das Wandern hat sich schon mal unbeschwerter angefühlt. Doch ich will diesem Gefühl nicht nachgeben. Solange die Wege offenstehen, will ich hinausgehen in die Landschaft und mir bewahren, was ich mir um nichts in der Welt nehmen lasse. Meine Liebe zum Draußensein und meine Lust aufs Umherstreifen in der freien Natur.


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