Come walk with me: Die Anmut der Kühe

Von Feder

Der heutige Spaziergang führt uns auf einer meiner Lieblingsrouten hügelaufwärts auf ein windzerzaustes Plateau. Wir steigen gemächlich hinauf, begegnen anmutigen Kühen und kecken Rotkehlchen, während sich das englische Landleben ringsherum entfaltet. Dabei lauschen wir den sanften Klängen eines ganz besonderen Klavierstücks, das mein talentierter Freund und Musiker Mike Harper eigens für meinen kleinen Spaziergang komponiert hat. Weitere zauberhafte Musikkreationen findet ihr auf Mikes SoundCloud-Seite: https://soundcloud.com/mcharper-1/tracks. 

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„Kopflos auf dem Pennine Way – Eine Berlinerin in der englischen Wildnis“

Und hier folgt unser Spaziergang zum Nachlesen:

An sonnigen Tagen, wenn sich das Licht warm und sanft auf die Landschaft senkt und das Tau an Gräsern und Blättern zu glitzern beginnt, steige ich gern hügelaufwärts. Hier oben auf den Plateaus verschwimmen die Dimensionen und die Welt um mich herum umgibt mich wie ein schützender Kokon. Mein Blick wandert über Zäune und Weiden hinweg, gleitet über das wellenförmige Land und erstreckt sich bis an die Ränder des Sichtbaren.

Wie eine Kamera streifen meine Augen umher und lichten alles ab, was ich erfassen kann, zoomen an Winziges heran um sich erneut in der Weite zu verlieren. Ich folge den von stachligen Hecken eingefassten Kurven einer einsamen Landstraße. Die tiefgrünen, dornigen Zweige des Stechginsters haben sich durch Gräser und Büsche gedrängt und ragen bedrohlich weit über den Weg. Ihre Hülsen locken mit leicht geöffneten Mäulern, so als würden sie verführerisch flüstern: „Komm, trink von meinem Saft.“ Im Sommer blüht der Ginster in einem kräftigen Gelb, doch seine Schönheit ist gepaart mit tödlicher Kraft. Seine Zweige und Früchte sind angereichert mit einem gefährlichen Gift.

Ich werfe einen Blick zurück ins Tal, wo Häuserreihen und Straßenzüge zu Miniaturen geschrumpft sind und vergewissere mich, dass die gewohnte Welt noch immer existiert. Alles ist an seinem Platz und doch viel stiller als sonst. Ab und zu strampelt ein Radfahrer an mir vorbei oder ich passiere vereinzelte Wanderer, die auf verwitterten Holzbänken rasten. Ansonsten bleibe ich mit mir allein.

Auf einer Wiese grast eine Herde massiger Kühe. Ihr Fell ist flauschig, ein dichtbehaarter Überzug aus rostbraunen und cremefarbenen Flicken. Ihr aufgebauschter Haarkranz schimmert seidig in der Sonne. Ein besonders hübsches Tier ruht nah am Zaun und beobachtet mich aus dunklen, blinzelnden Augen. Als ich an ihm vorbeilaufe, treffen sich unsere Blicke und ich spüre eine instinktive Zuneigung zu diesem eleganten Wesen, dessen Persönlichkeit und Eigenart aus der Herde heraussticht. Hier draußen auf dem freien Feld kann sich die Kuh aus der Gemeinschaft herausbewegen und wieder zum Einzeltier werden. Ähnlich wie der Mensch in einer gleichförmigen Masse verschwinden würde, so ist auch die Kuh in einer Großmast zu einem unsichtbaren Schicksal verdammt und ihr Charakter verkümmert. Charakterlose Wesen aber lassen sich leichter zur Schlachtbank führen. Später treffe ich auf eine weitere Kuh mit tiefschwarzem, samtigem Fell. Ihre großen, dunklen Augen füllen sich mit skeptischer Neugier, als ich stehenbleibe und sie betrachte. Sie zögert kurz, dann entschließt sie sich, den Zaungast näher zu beleuchten. Ihr Körper ist muskulös und bewegt sich mit einer Anmut, die mich sprachlos macht. Wir blicken uns eine Weile lang an wie zwei Fremde, die etwas Vertrautes ineinander erkennen. Dann lasse ich sie weiter grasen und setzte meinen Spaziergang fort.

Je höher ich hügelaufwärts steige, desto kühler wird die Luft. Doch meine Haut glüht und ich habe meine Jacke lässig um die Hüften gebunden. Ein Fauxpas in der Modewelt, aber für Wanderer eine praktische Angelegenheit. An einigen Stellen ist der Straßenbelag aufgesprungen und in kleinere Bröckchen zerfallen. Auf den unebenen Flächen finden meine Füße besseren Halt. Der Kontakt zum Boden fühlt sich rauer und irgendwie echter an. Überhaupt ist mein Gang ein anderer als zum Beispiel in der Stadt. Ich laufe aufrechter, weniger geduckt, meine Schultern sind entspannt, mein Kopf bewegt sich geschmeidig in alle Richtungen und meine Wirbelsäule federt jede Bewegung unbeschwert ab. Meine Atemzüge sind länger, tiefer und voller. Meine Füße setzen kaum auf. Ich gleite mit den Schwalben durch die Landschaft und habe keine Angst zu fallen.

Auf der letzten Etappe vor dem Gipfel wird die Vegetation allmählich spärlicher. Bäume und Sträucher verteilen sich in größeren Abständen am Wegrand. Die eisigen Winterwinde haben ihren Wuchs abgeschrägt. Zwischen den Ästen rascheln Rotkehlchen und Stieglitze umher. Ihr Zwitschern und Trällern verstummt kurz, als ich im Schatten einer mächtigen Ulme stehenbleibe, um mich abzukühlen.

Auf dem Plateau des Hügels erblicke ich die zwei Funkmasten, die mir auf meinen zurückliegenden Wanderungen zuverlässig signalisierten, dass ich heimatlichen Boden erreicht habe. Sie übertragen das Programm regionaler Radiosender, aber für mich persönlich sind sie bedeutsame Erkennungsmerkmale, die mich schon so oft aus der Ferne getröstet haben, wenn ich mich in den Sümpfen der Pennines verlaufen habe. Mag sein, dass sie ein wenig die Ästhetik der sie umgebenden Landschaft stören, aber ich laufe gern den sandigen Weg ab, der in einem Viereck um sie herumführt.

Ich mag es, wenn die Grenzmauern, die das besiedelte Land umgeben und abschirmen, von der wildwuchernden Natur durchstoßen werden, wenn sich von Menschenhand Erschaffenes mit natürlich Gewachsenem vermengt. Wenn nicht mehr klar ist, wo Zivilisation endet und wo Natur beginnt, wo nur noch Welt ist und weder das eine noch das andere eine Rolle spielt.