Cohibas drehen und Shakespeare hören!

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Wenn Odalys Lara vorliest, hören immer mehr als 300 Menschen zu. Ihr Arbeitsplatz ist eine Fabrikhalle in Kuba, ihr Publikum sind Zigarrendreher. Die Bücher wählen die Chefs aus. So steht mal Shakespeare auf dem Programm, mal die Parteizeitung.

In der Halle ist es schwül, an den Wänden rattern alte Ventilatoren, der Geruch von frischem Tabak liegt in der Luft. In der Zigarrenfabrik “La Corona” in Havanna beginnt für 360 Arbeiter die Schicht. Eine Frau sticht aus der Masse hervor: Sie trägt Bücher und Zeitungen unter dem Arm.

Odalys Lara, 47, ist Vorleserin. Ihr Arbeitsplatz ist ein Pult auf einem Podest im Vorraum der Halle. Während der Acht-Stunden-Schicht wird sie dreimal ans Mikrofon treten und jeweils für eine halbe Stunde aus dem Roman eines kubanischen Autors mit dem Titel “Stadt in Panik” vorlesen. Das Buch hat der Betrieb ausgewählt. So soll wohl sichergestellt werden, dass keine sozialismuskritischen Autoren ihren Weg zum Publikum finden.
Im sozialistischen Kuba ist Vorleser ein richtiger Beruf, “lectora de tabaquería” ist die offizielle Bezeichnung. Seit Dezember 2012 ist der Job sogar als nationales Kulturerbe anerkannt. Alles begann 1865, so ist es überliefert, als ein engagierter Fabrikarbeiter damit begann, seinen Kollegen während der Arbeit aus einer neuen, proletarischen Zeitung vorzulesen. Seither sollen die Vorleser zur Bildung der Arbeiterklasse beitragen. “Es ist ein Mittel, um das kulturelle Niveau der Tabakarbeiter zu verbessern”, heißt es in der kubanischen alternativen Online-Enzyklopädie Ecured.

Inzwischen gibt es mehr als hundert “Lectores” auf der Karibikinsel. Sie lesen zum Beispiel Shakespeares “Romeo und Julia” vor, Romane des kolumbianischen Nobelpreisträgers Gabriel García Márquez oder ausgewählte Artikel aus der sozialistischen Parteizeitung “Granma”. Die erste Vorleserunde beginnt jeweils mit Anweisungen der Betriebsleitung.
Lara trägt manchmal auch einfache Lebensweisheiten vor. Wenn die Arbeiter private Sorgen haben, suchen sie Rat bei ihr. Sie sei eine Art Seelsorgerin, erzählt sie.

Die meisten Arbeiter kennt sie schon seit vielen Jahren, so auch Yamilé Piz, 40. Sie arbeitet seit 20 Jahren als “torcedora”, als Zigarrendreherin. Seit 18 Jahren lauscht sie bei der Arbeit Odalys Lara. “Wenn es sie nicht gäbe, wären wir nicht informiert”, sagt Piz.

Eine spezielle Ausbildung ist nicht Voraussetzung für den Job als Vorleser. Lara ist eigentlich studierte Diplomtechnikerin. In der Fabrik sind gerade Krimis besonders beliebt, erzählt sie. Aber auch lange, anspruchsvolle Werke würden dankbare Zuhörer finden. Sie habe zum Beispiel schon “Paradiso”, das Meisterwerk von Nationaldichter José Lezama Lima, vorgelesen. Der Schmöker habe mehr als 600 Seiten, erinnert sie sich. “Das dauerte fast fünf Monate.”


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