© X-Verleih/Warner Bros./ Doona Bae als Klone in einer fernen Zukunft
Tom Hanks ist in sechs Rollen zu sehen, ebenso wie Halle Berry, Hugo Weaving, Jim Sturgess und Hugh Grant, dicht gefolgt von Jim Broadbent und Ben Whishaw. Es erscheint wie ein Wettspiel, so zahlreich nehmen die Darsteller in „Cloud Atlas“ ihre Rolle entgegen. Mal als unzivilisierte Stammesmenschen in einer weit entfernten Zukunft, dann wieder ganz normale Persönlichkeiten in der Gegenwart. Es wird hin und her gewechselt, ein Großaufgebot an filmischer Erzählkraft: So oder so ähnlich haben es sich Tom Tykwer, deutscher Filmemacher mit internationalen Erfolgen („Lola Rennt“, „Das Parfüm“) und seine Regie-Kollegen Lana und Andy Wachowski (“Matrix”-Trilogie, “Speed Racer”) gedacht. Basierend auf dem gleichnamigen Roman von David Mitchell hat man sich damit aber wohl ein wenig übernommen.
Wie sollte man das auch alles vernünftig in einen Film bekommen? Im Jahre 1849 lernt ein junger amerikanischer Anwalt (Jim Sturgess) auf hoher See den Schrecken des Sklavenhandels kennen, fast ein Jahrhundert später, 1936, versucht ein alterndes Genie (Jim Broadbent) mit der Hilfe eines Komponisten (Ben Whishaw) zu ewigen Ruhm zu gelangen. Anfang der 1970er Jahre enthüllt eine Journalistin (Halle Berry) eine Atom-Intrige in einer Ölfirma, in der Gegenwart von 2012 erkennt ein ehemaliger Verleger (wieder Jim Broadbent) in einem Altersheim, was Freiheit wirklich bedeutet. In der Zukunft von 2144 verändert eine geklonte Kellnerin (Doona Bae) ihre Wirklichkeit und 200 Jahre später stellt sich ein Sonderling (Tom Hanks) in einer postapokalyptischen Welt gegen übernatürliche Kräfte. Und „alles ist verbunden“.
Tom Hanks und Halle Berry
Damit haben sich die drei Filmemacher selbst die Bürde eines Mammutprojekts auferlegt. Sowohl Autorenfilmer Tykwer wie auch die Blockbuster-Geschwister Lana und Andy Wachowski bewahren die Zuschauer nicht davor, hier einem lang gezogenen Episodenfilm erlegen zu sein, bei dem jede Geschichte ein wenig zu kurz kommt, zugleich aber auch das Gefühl von unnötiger Länge vermittelt wird. Diese Ambivalenz – man möchte gerne mehr erfahren, hofft aber ebenso, dass es bald vorbei ist – ist die wohl größte Errungenschaft dieses Genreübergreifenden Films. Irgendwie ist für jeden Geschmack etwas dabei, jeder Geschmack kann aber umso mehr auch enttäuscht werden. So wundert man sich in einer postapokalyptischen Welt über die Kommunikation zwischen Tom Hanks und Halle Berry, die mit zurückentwickelter Sprache, nur Versatzstückhaft und doch irgendwie höchst Umgangssprachlich, coolen Straßenslang beherrschen. Das wirkt ebenso unwirklich wie manches Gesichtskostüm. Zugegebenermaßen haben die Maskenbilder in vielen Fällen gute Arbeit geleistet, aber Darsteller Hugo Weaving als Frau oder ein Alterungsprozess bei Hugh Grant erzeugen dann das Gefühl eines rein künstlichen Films, reißen den Zuschauer aus der suggerierten Realität hinaus.
Ambivalenz ist das Wort, das für „Cloud Atlas“ am ehesten in Frage kommt. Obgleich der Werbespruch „Alles hängt zusammen“ dem Zuschauer eine große Geschichte suggerieren möchte, so wirkt doch manches eher Verzichtbar, anderes wie ein interessanter Ansatz, nichts aber will wirklich komplett erzählt erscheinen. Wenn Jim Broatbent mit seiner Rentner-Clique aus einem Altersheim ausbricht, darf gerne der Wunsch eines kompletten Films um dieses Ereignis geäußert werden, tritt hier doch in „Cloud Atlas“ am deutlichsten die Komödie hervor. Auch das Zukunftsszenario hält Bildgewalten der Wachowskis bereit, erzählt eine makabere Klongeschichte und erschafft ein Interesse, wie sie für einen ganzen Film ausgereicht hätte, hier aber nur stellenweise zum Einsatz kommen darf. Und zu guter Letzt sind auch Halle Berrys investigativen Bemühungen gegen einen Öl-Konzern, geleitet von Hugh Grant, ein spannender Krimithriller, aus dem man als Zuschauer allerdings viel zu oft heraus gerissen wird.
Jim Broadbent und Ben Whishaw
Das erzeugt im großen und ganzen eine Menge Langeweile, eine gestreckte Handlung, ein künstlerischer Versuch diese Erzählung aufzuwerten. Ein Vergleich mag mit Christopher Nolans „Memento“ aufgestellt werden, zwar nicht in unterschiedlichen Kleinsterzählungen untergliedert, aber mit einem filmischen Kunstgriff rückwärts erzählt, in der Handlung eingebettet, durch den ständigen Gedächtnisschwund des Hauptprotagonisten. Hier nun wurde einfach etwas ausprobiert, was nicht einmal mit der Romanvorlage konform läuft. Der „Wolkenatlas“ in gedruckter Form nimmt nur in seiner Mitte einen Perspektivenwechsel vor, erzählt die Geschichten recht linear. Das Experiment ist nicht unbedingt geglückt, wirken doch gerade die Übergänge zwischen den einzelnen Geschichten zu konstruiert. Meistens ist es der Dialog, der eine Episode in die Nächste überleitet: ist in einer Szene ein Gespräch zu verfolgen, wird dieses Gespräch in der nächsten Szene auf der Bildebene wieder aufgegriffen. Sicherlich eine sinnvolle Vorgehensweise, nicht aber wenn ein drei Stunden langer Film, gegliedert in sechs unterschiedliche Handlungen, eingeteilt in sich immer abwechselnde Episoden, dies bei jedem einzelnen Übergang praktiziert.
Wer weiß was aus „Cloud Atlas“ geworden wäre, hätte Tom Tykwer die alleinige Kontrolle gehabt. Dann hätte er sich vielleicht noch etwas länger als die nun auf dem Papier stehenden vier Jahre diesem Projekt widmen müssen, hätte aber vielleicht auch wirklich den Epos erschaffen, der der Film nun bloß versucht zu sein. Die Wirkung der Wachowski-Geschwister ist zu arg zu spüren, sie leben hier erneut die nicht nachvollziehbare Komplexität der „Matrix“-Nachfolger aus, die in den Augen vieler gar nicht existent sein dürften. Und so hängt hier tatsächlich vieles zusammen: „Matrix“ mit dem „Cloud Atlas“, eine komprimierte und doch zu lange Trilogie in einem Film, ein Film der Größe zeigen möchte, dabei aber nur sehr klein in Erinnerung bleibt.
Denis Sasse
“Cloud Atlas“
Originaltitel: Cloud Atlas
Altersfreigabe: ab 12 Jahren
Produktionsland, Jahr: USA / D, 2012
Länge: ca. 172 Minuten
Regie: Tom Tykwer, Andy Wachowski & Lana Wachowski
Darsteller: Tom Hanks, Halle Berry, Jim Broadbent, Hugo Weaving, Jim Sturgess, Ben Whishaw, Doona Bae, Keith David, James D’Arcy, Xun Zhou, David Gyasi, Susan Sarandon, Hugh Grant, Götz Otto
Deutschlandstart: 15. November 2012
Offizielle Homepage: cloudatlas-derfilm.de