Clemens Fritz: «Die Verunsicherung in Bremen war groß»
Telefonate mit Fußballprofis sind oft eine Lotterie. Mal melden sich die schwerbeschäftigten Kicker gar nicht zum verabredeten Zeitpunkt, mal rufen Sie Stunden später als vereinbart an. Clemens Fritz dagegen, seit dem Weggang von Per Mertesacker Kapitän von Nordklub Werder Bremen, klingelte ganz untypisch eine Viertelstunde vor dem Termin in der news.de-Redaktion durch.
Herr Fritz, wir sind überrascht. Sie sind offenbar ein sehr pünktlicher Mensch.
Clemens Fritz: Gerade in einer größeren Gruppe muss prinzipiell Disziplin und Ordnung herrschen. Pünktlichkeit ist da das A und O. Wenn jemand zu spät zum Training kommt, behindert das die gesamte Mannschaft. Daher ist es natürlich Voraussetzung, dass alle Spieler zu Trainingsbeginn da sind. Zu spät gekommen bin ich erst ein einziges Mal.
Sind Sie vor dem Training noch früher in der Kabine, seitdem Sie Kapitän sind?
Fritz: Nein, ich bin prinzipiell immer etwas früher da. Ich mag es nicht, auf den letzten Drücker zu kommen und mich dann gehetzt auf das Training vorzubereiten. Ich bin auch nicht mehr der Jüngste und muss meinen Körper entsprechend mit Behandlungen oder Stabilisationsübungen besonders pflegen.
Klingt, als wären Sie prädestiniert für den Job als Wart der Mannschaftskasse.
Fritz: Das habe ich tatsächlich bisher gemacht, habe das aber gerade an Sebastian Prödl abgegeben. Der unterstützt mich da.
Am kommenden Montag haben Sie beim Mannschaftsabend auf dem Bremer Freimarkt Gelegenheit, die Kasse auf den Kopf zu hauen.
Fritz: Wir gehen mit der Mannschaft im sogenannten Bayernzelt kurz auf die Bühne, werden ein, zwei Getränke zu uns nehmen, gemeinsam essen und das war’s dann auch schon.
Mit einem Sieg in Augsburg feiert es sich sicher besser.
Fritz: Wir wollen am Freitag in Augsburg drei Punkte holen, um wieder in die richtige Spur zu kommen. Nach zwei Niederlagen ist das besonders wichtig. Für die Fans wird der Auftritt auf dem Freimarkt ‘ne tolle Sache. Wir wollen da auch Nähe zu unseren Anhängern demonstrieren.
Das Publikum in Bremen gilt ja im Vergleich zu vielen anderen Bundesliga-Standorten als eher gemütlich. Bitte beschreiben Sie uns dieses besondere Bremer Klima näher.
Fritz: In Bremen herrscht einfach eine angenehme Atmosphäre. Gerade in Zeiten wie in der letzten Saison, in denen es nicht gut lief, ist es nie passiert, dass ich von der Seite angepöbelt wurde oder Schlimmeres. Es war immer positiv, die Fans haben mir Mut zugesprochen und damit bewiesen, wie sehr sie hinter uns stehen.
In der Bundesliga ist das keine Selbstverständlichkeit …
Fritz: Ein gutes Beispiel ist die Situation nach der 0:4-Niederlage im vergangenen Jahr beim Hamburger SV. Als wir zurückkamen, standen die Fans an der Rampe und wollten die Mannschaft sehen. Wir sind dann aus dem Bus ausgestiegen, und es war ein sehr kommunikativer Umgang mit den Fans. Da ist keiner ausfällig geworden oder hat negative Dinge gesagt. Das war ein sehr gutes Gespräch. Wir haben uns gemeinsam mit unseren Fans aus der sportlichen Misere der Vorsaison herausgezogen.
Wie konnte es aus Ihrer Sicht passieren, dass in der vergangenen Spielzeit plötzlich die gesamte Mannschaft ihre Sicherheit verloren hat?
Fritz: Wir sind schlecht in die Saison gestartet, hatten wirklich Probleme, viele Verletzungssorgen. Und dann steht man auf einmal da unten drin und findet sich im Abstiegskampf wieder. Das war für uns eine völlig neue Situation; in den vergangenen Jahren hatten wir immer um die internationalen Plätze gespielt. Wir hatten viele junge Spieler dabei, und wir alten Spieler haben auch nicht zu unseren Leistungen gefunden. Die Verunsicherung war groß, die Sicherheit, die Leichtigkeit – gerade in den Offensivaktionen, die uns immer ausgezeichnet haben -, hat einfach gefehlt. Dinge, die normalerweise selbstverständlich sind, fallen plötzlich schwer.
Und dann bröckelte der Teamgeist.
Fritz: Jeder köchelte sein eigenes Süppchen. Wir sind nicht wie ein richtiges Team aufgetreten. Erst als wir kapiert haben, dass wir uns nur über Einsatz und Kampf retten können, haben wir uns da wieder rausgezogen.
Wem gebührt dabei der größere Verdienst? Trainer Thomas Schaaf? Oder hat sich die Mannschaft selbst zusammengerauft?
Fritz: Das war die Gemeinschaft. Es war für uns als Spieler unheimlich wichtig, dass der gesamte Verein hundertprozentig hinter Thomas Schaaf stand. Er hat das Vertrauen bekommen und konnte das auch zurückzahlen. In einer solchen Situation kommt in vielen anderen Verein zusätzlich Unruhe durch eine Trainerdiskussion auf. So konnte Thomas Schaaf noch akribischer mit uns arbeiten, als er es ohnehin immer tut.
Seite 2: Clemens Fritz über seine Chancen im DFB-Team und seinen auslaufenden Vertrag
Nach außen wirkt Thomas Schaaf sehr knurrig, manchmal bärbeißig, immer auch humorvoll. Wie nehmen Sie ihn wahr?
Fritz: Er ist sehr, sehr akribisch in all dem, was er tut. Er gibt uns viel mit auf den Weg, erklärt viel, was hinter den einzelnen Trainingseinheiten steckt. In schwierigen Zeiten kann es auch mal lauter werden, wenn bestimmte Dinge angesprochen werden müssen. Aber er macht auch seine Späße.
Zu Beginn der Saison hat Schaaf Sie von der Position als rechter Verteidiger ins Mittelfeld beordert. Wie kam er auf die Idee?
Fritz: Ich habe in den letzten Jahren immer wieder mal im Mittelfeld ausgeholfen. Da wir in der Abwehr ganz gut aufgestellt sind und Thomas Schaaf zum Saisonstart wohl eher im Mittelfeld ein paar Probleme gesehen hat, spiele ich jetzt dort. Das war keine große Umstellung.
Als neuer Kapitän können Sie so mehr Einfluss auf das Spiel nehmen, als als Rechtsverteidiger.
Fritz: Das ist der Punkt. Man ist präsenter und ich fühle mich auf dieser sehr laufintensiven Position wirklich sehr, sehr wohl.
In der Nationalmannschaft wird noch ein Experte als Rechtsverteidiger gesucht. Ist das für Sie noch ein Thema?
Fritz: Nein, da mache ich mir nichts vor. Ich habe seit 2008 kein Länderspiel mehr gemacht und werde ja auch nicht jünger. Wir haben beim DFB wirklich sehr viele gute junge Spieler, die Nationalmannschaft ist hervorragend aufgestellt. Und zu Jogi Löw habe ich auch gar keinen Kontakt mehr.
Kürzlich haben Sie gesagt, später auch mal im Ausland spielen zu wollen. Ihr Vertrag läuft am Saisonende aus …
Fritz: Ich fühle mich unheimlich wohl in Bremen und möchte noch ein paar Jahre spielen. Zum Ende meiner Karriere kann ich mir vorstellen, ein, zwei Jahre im Ausland zu spielen. Zum Beispiel in Amerika – so wie Torsten Frings das gemacht hat. Eine Zeit im Ausland bringt einem in der persönlichen Entwicklung unheimlich viel.
Gab es wegen der Vertragsverlängerung bereits Gespräch mit den Bremer Verantwortlichen?
Fritz: Bislang noch nicht. Die Verträge von Thomas Schaaf und Klaus Allofs laufen ja auch aus, und wir werden uns in den nächsten Wochen mal in Ruhe zusammensetzen. Ich bin da völlig entspannt.
Was dürfen wir in dieser Saison noch von Werder Bremen erwarten?
Fritz: Wir tun gut daran, nach der schwierigen vergangenen Saison zunächst mal kleine Brötchen zu backen. Durch zwei Niederlagen wurde der gute Start schon wieder relativiert. Wir müssen bei den Auswärtsspielen gegen Augsburg und Mainz wieder die Sicherheit zu unserem Spiel finden. Aber da wir als Mannschaft wieder gefestigt sind, bin ich da ganz optimistisch. Der Anspruch ist natürlich klar: Jeder einzelne hier will international spielen. Ich bin jetzt hier im sechsten Jahr und wir waren bis auf diese Saison immer europäisch dabei. Da wollen wir wieder hin.
Clemens Fritz (30) spielt im sechsten Jahr bei Werder Bremen und stieg nun zum Kapitän der Grün-Weißen auf. Zu Beginn seiner Profikarriere spielte der gebürtige Erfurter für seinen Heimatverein Rot-Weiß und den VfB Leipzig. 2001 wechselte er zum Karlsruher SC, 2003 zu Bayer Leverkusen. Seit 2006 beackert der 22-malige Nationalspieler die rechte Abwehrseite bei Werder Bremen. Derzeit agiert Clemens Fritz im Mittelfeld. Fritz’ größte Erfolge sind der DFB-Pokalsieg 2009 und der zweite Platz bei der Europameisterschaft 2008. Gemeinsam mit seinem Ex-Kollegen Marco Enghelhardt betreibt Fritz in Karlsruhe eine Bar.
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