Claudia Gray – Ten Thousand Skies Above You

Von Elli @xWortmagiex

Vor ihrer Karriere als Schriftstellerin war Claudia Gray Anwältin. Sie investierte Jahre in ihre Ausbildung, verließ diesen Berufsweg jedoch, um erst für Magazine zu schreiben und sich später der Literatur zu widmen. Sie sagt, sie wird oft gefragt, wieso sie die Rechtsvertretung aufgab, um Bücher zu schreiben - aber niemals von Anwält_innen. Mit ihrem Jobwechsel konnte sie sich gleich zwei Kindheitsträume erfüllen: Die Schriftstellerei und den Wunsch, sich selbst einen Namen zu geben. Claudia Gray ist ein Pseudonym, durch das sie ihr Privatleben emotional wie professionell besser abgrenzen kann. Mit zunehmendem Erfolg, der spätestens 2015 einsetzte, als auch der zweite Band der „Firebird"-Trilogie, „Ten Thousand Skies Above You", erschien, sicher keine schlechte Idee.

Pauls Seele wurde in Stücke gerissen. Er reiste mit dem Firebird in das Triadverse, um dort nach einem Heilmittel für Theo zu suchen, der durch die Droge Nightthief in Lebensgefahr schwebt. Als er nach den vereinbarten 24 Stunden nicht zurückkehrte, weiß Marguerite, dass ihm etwas zugestoßen sein muss. Sie folgt Pauls Koordinaten und findet ihn, aber als sie die Erinnerungsfunktion des Firebirds auslöst, wacht er nicht auf. Stattdessen trifft sie auf Wyatt Conley. Genüsslich erklärt er ihr, dass er Pauls Seele absichtlich zersplitterte, um sie zu erpressen. Er verspricht ihr, ihr die Koordinaten von Pauls Splittern und das Heilmittel für Theo zu geben - wenn sie in einigen Dimensionen die Forschung ihrer Eltern am Firebird sabotiert. Marguerite hat kaum eine andere Wahl, als sein Angebot anzunehmen. Will sie Paul und Theo retten, muss sie Conley irgendwie überlisten. Doch in den anderen Dimensionen begegnet sie neuen Versionen von sich selbst und Paul, die nicht sind, was sie erwartete und schon bald zweifelt sie: Ist ihre Liebe tatsächlich Schicksal?

„Ten Thousand Skies Above You" ist Claudia Grays Version der ewigen Diskussion von Nature versus Nurture. Die Wissenschaft wird nie müde, darüber zu streiten, ob die Eigenschaften einer Person nun das Ergebnis genetischer Faktoren oder gesammelter Erfahrungen sind. Eine einfache Antwort gibt es nicht, meist läuft es auf ein komplexes Zusammenspiel beider Einflüsse hinaus. Im Kontext der Dimensionsreisen in der „Firebird"-Trilogie ergibt es meiner Meinung nach durchaus Sinn, dieser Frage nachzuspüren, denn schließlich basieren diese auf der Viele-Welten-Theorie, laut der jede größere Entscheidung zu der Erschaffung eines parallelen Universums bzw. einer parallelen Dimension führt. Leider geht Gray dabei jedoch ziemlich unbeholfen vor. Im ersten Band „A Thousand Pieces of You" lehrte sie ihre Protagonistin Marguerite, dass ihre Liebe zu Paul in ihren Genen kodiert und somit Schicksal in jeder Dimension ist. In „Ten Thousand Skies Above You" revidiert sie diese Lektion, was für Marguerite verständlicherweise schwer zu schlucken ist. Sie möchte nicht wahrhaben, dass Paul nicht in jeder Dimension ihre große Liebe personifiziert und wiederholt gebetsmühlenartig das Mantra der Bestimmung, was meine Kitschsirene bedrohlich schrill aufheulen ließ. Ich kann zwar nachvollziehen, dass Marguerite in einem Alter ist, in dem ihre Selbstsicherheit angreifbar ist und sie die Wiederlegung der mathematischen Legitimation ihrer Beziehung aus dem Gleichgewicht bringt, doch die aufdringliche Konzentration auf ihre Romanze zerrte hart an meiner Schmalztoleranz. Ich wurde es schnell leid, Marguerites Gedankenkreisen zu folgen, weil sie sich lange weigert, zu begreifen, dass „die anderen Pauls" weit mehr als dieselbe Person mit variierendem Haarschnitt sind. Die endlosen hochemotionalen Gespräche, die sie führt und die ihre Mission, Pauls Seelensplitter zu finden, reichlich zäh gestalten, ermüdeten mich, wodurch ich die Handlung von „Ten Thousand Skies Above You" längst nicht so spannend fand wie den ersten Band. Die Fortsetzung wirkte auch weniger überzeugend auf mich, denn ich hatte das Gefühl, dass Claudia Gray bei der Formulierung der Regeln für das Dimensionsreisen irgendwo vom Weg abkam. Sie präsentiert fantastisch anmutende Ideen, ohne sie fundiert zu etablieren. Ich habe noch immer nicht verstanden, was mit dem Körper passiert, während das Bewusstsein reist, inwiefern das „Zersplittern" das Bewusstsein angreift oder wie Conley das bei Paul fertigbrachte. Gray behauptet so einiges, auf Erklärungen verzichtet sie meist. Mir erschien das alles doch arg an den Haaren herbeigezogen. Es gefiel mir hingegen, dass sie das moralische Dilemma des Reisens weiter ausführt und Marguerite mit den Konsequenzen ihrer Besuche konfrontiert. Nachdem ich an ihrer Seite erfuhr, was ihre Anwesenheit für „die anderen Marguerites" bedeutet und welche Folgen ihre Entscheidungen für sie hatten, muss ich ihr ganz klar zustimmen: Am besten reist man einfach gar nicht durch die Dimensionen. Nur, weil man etwas kann, heißt das nicht, dass man es auch tun muss.

In der Rezension zum ersten Band der „Firebird"-Trilogie schrieb ich, dass ich mich erstaunlich gut auf den Romanzencharakter der Geschichte einlassen konnte. Das gelang mir in „Ten Thousand Skies Above You" nicht mehr. Ich war sehr versucht, die Fortsetzung mit zwei Sternen abzustrafen, weil mir die Frage, wie schicksalhaft Marguerites Liebe zu Paul ist, definitiv zu viel Schnulz und Herzschmerz beinhaltete, die ich aushalten musste, ohne mit einem ernstzunehmenden Erkenntniszuwachs belohnt zu werden. Ich hätte mir mehr Abwechslung gewünscht, die all das Drama etwas auflockert; beispielsweise hätte ich es spannend gefunden, wenn völlig neue Figuren aufgetaucht wären oder diejenigen in der Peripherie mehr Spielraum erhalten hätten. Das Zünglein an der Waage für meine Bewertung von „Ten Thousand Skies Above You" war am Ende tatsächlich Grays moralische Einordnung. Wollen wir hoffen, dass es beim Finale „A Million Worlds With You" keine ähnlich knappe Kiste wird.