Was tun?
Was tun, wenn man angefragt wird eine (bzw. zwei) Platten zu besprechen, die weit ausserhalb der eigentlichen stilistischen Heimat liegen und bei denen man trotz aller Mühe keinen gemeinsamen Stallgeruch feststellen kann? Ich wusste zunächst nicht, ob ich mir bei Genosse Uljanow Inspiration holen sollte ... aber das Cover der ersten Platte riet mir dann doch von diesem Vorhaben ab, von dieser theoretischen Bevormundung ... denn eigenes Denken ist eigenes Schreiben.
Also machen ich mich daran das Einzige zu tun, was sich für qualitätsorientierten Journalismus gehört, man umrundet die Tonträger (und deren Botschaften) per annähernden Essay. Bei diesen beiden dichtgepackten Anspielungsorgien in D(iskord)-Moll ist dies aber nicht immer ganz einfach.
Zum ersten Mal bin ich über Classless Kulla (und seinen Beatsschmied Istari Lasterfahrer, den ihr euch bitte als mitlaufenden Subtext vergegenwärtigt) gestolpert, als ich mir die alljährliche Mobilisierung der nationalen Geschichtsbeschöniger in Dresden anschaute, ich war damals öfters mal in dieser doch schönen Stadt und entsprechend sensibilisiert. Mit gefiel der schön rotzige und durchaus auch kontroverse Song "Dresden Calling" schon sehr gut, insbesondere als ich mir überlegte, welche Zornesröte man manch einem dieser Sonnenkreuzanbeter damit ins hassverzerrte Gesicht pinseln konnte.
Aber mehr als diesen Ausschnitt der Platte kannte ich nicht, daher war ich beim ersten Hören von dem überharten & chaotischen Electropunkgeballer aka Breakcore doch etwas überrascht, denn mit der durchaus eingängigen Nummer, von der ich eben sprach hatte dies nichts zu tun. Was mich aber nach der ersten Verwirrung überzeugte waren die komplexen, nicht immer widerspruchsfreien Texte, die in ihrer augenzwinkernden Radikalität und ihrer offenherzigen Komplexität aus der Masse linksradikaler Liedermacher herausstechen. Hier wollte jemand nicht missionieren!
Wahrscheinlich würden die Zitronen oder die Neubauten heutzutage ähnlich Gepolter produzieren, ständen sie am Anfang ihres Treibens und diese mit den unnachahmlichen Texten die sich populär & unverzichtbar gemacht haben, versehen. Classless Kulla steht meines Erachtens genau in dieser Tradition des spöttischen, herausfordernden zerbrochenen Diskurspops, der sich einfachen Zuschreibungen verweigert & der die allgemeinen Konsense gerne mal in Gift & Galle badet.
Ob man diesen Ausführungen nun folgen kann oder mag ist natürlich jedermensch selbst überlassen, Fakt ist die provokanten Texte reizen zum Widerspruch, zur Zustimmung, zur Ablehnung und zur Affirmation gleichermaßen. Keine Forderung wird hegemonial, sondern jede aufgestellte Regel wird sofort wieder unterlaufen.
Der ausgewiesene Diskordianer Kulla verschenkt hundertfach seine güldene Frucht und gibt sich mit einer polemischen Störung der allgemeinen Normalität, wie wir sie von Asselpunkheroen zu Genüge kennen, nicht zufrieden. Wunde, Salz & Breakbeats.
Eine Textsplitterbombe, die mehr als einmal zum Nachdenken anregt und die Verhältnisse re-rhythmisiert. Mitgröhlsongs und einfache Parolen sucht man hier vergeblich - stattdessen disharmonische, hochgejagte Anklagen gegen schleichende Renationalisierung, Mackertum, Revision und nationalchauvinistisches Normalitätsgetue und den sonstigen alltäglichen Würg.
Und wer sich ein solch feines Coverdesign einfallen lässt, der schiesst natürlich auch scharf gegen jegliche Form des Linksautokratismus, etwas, was von mir natürlich sehr erfreut wahrgenommen wird. Herrschaftskritische Sause im oberen BPM-Bereich, die durch konsequentes Infragestellen der Sinnhaftigkeit zwar anstregend, aber beileibe nicht überflüssig ist!
Der zweite Tonträger kommt auch wieder mit einem äußerst humorvollen Design daher, ob Kulla jetzt tatsächlich den Kommunismus retten will & welche Definition er von diesem hochgradig aufgeladenen Begriff hat, kann ich nicht beantworten, auch hier entzieht er sich einem Zuschreibungssystem.
Und ob man Peterchens Mondfahrt oder Erichs Mauerbau den Vorzug geben sollte, diese Frage stellt sich nicht wirklich. Was auf der zweiten Platte augenscheinlich ist, ist, dass Kulla sich rein musikalisch die Hörner bereits ein wenig abgestossen hat, hier kommen sogar mal Melodiesplitter zum Tragen und nicht jede Textzeile wird auf 140plus Bpm-Beats geklebt.
Amüsant finde ich hier vor allem das Reiben an den betonköpfigen Exegeten der orthodoxen kommunistischen Lehre, während Kulla die spassgesellschaftliche Leichtigkeit, den herrschaftskritischen Spott und die kommunistischen Programmatiken zu einem tanzbaren avantgardistischen Experimentalsound zusammenzimmert klagen die Vertreter der reinen Lehre die fehlende klare Haltung an. Ganz verstanden scheinen diese Menschen das Prinzip der Herrschaftskritik noch nicht zu haben, wenn sie glauben, dass hier ideologische Reservate existieren.
Aber nicht nur die Autoritären des einen Flügels bekommen ihr Fett weg, auch Billiglohnsektor, monetäre Abhängigkeit, Arbeitspflicht, regressive Geschlechterpolitik, Identitätsfallen und Entfremdung werden thematisiert - mit viel Klamauk und ätzendem Witz & auch wenn Kulla (natürlich) keine Antworten auf die großen Fragen der Zeit besitzt, macht er sie wenigstens kurzfristig im grellen Gegenlicht sichtbar und assistiert dir somit beim Finger in die Wunde legen.
Resümee: ... kann man machen und ist sehr sehr gut so, mir persönlich rein musikalisch zu noisy, aber textlich sehr weit vorne! Muss jeder selbst wissen, ob er sich den Brocken zutraut. Und auch Kulla ist käuflich (!!!) - sicherlich alles Teil des integralen Konzepts der Verwirrung .. und zwar auf seiner Website classless.org.
Zum Schluß nun noch ein kleines Liedlein über die Identität & das Nichts. Classless Kulla - Identität. Und nun gebt mal einen Shoutout an die holde Eris und sperrt die Harmonie mal in den Keller - cheerz!