Clara und Max Köhler waren kleine Unternehmer, sie hatten eine metallverarbeitende Fabrik in der Oranienstraße 20 in Berlin, diese ernährte sie und ihren Sohn gut, doch richtige Reichtümer konnten sie nicht anhäufen. Froh waren sie die schweren Jahre der Wirtschaftskrise überwunden zu haben ohne ihre Arbeiter entlassen zu müssen, gerade deshalb waren sie hoch geachtet, auch weil sie kaum üppiger lebten als ihre Angestellten. Ihr Traum war ein Häuschen im Grünen, doch die Zeiten waren hart und zum sparen blieb nicht viel übrig. Genauso wie sie mit ihren Mitarteitern auf gutem Fuß standen, so auch mit ihren Nachbarn, ob diese Juden oder Christen waren, nun das war ihnen völlig egal; sie selbst hatten mit der Kirche nicht allzu viel am Hut, obwohl sie ihren Sohn Hans evangelisch taufen ließen, auch politisch waren sie nicht sehr aktiv, doch standen sie den Sozialdemokraten am nächsten. Also im Großen und Ganzen ganz ‚normale’ Berliner.
Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten zogen sie sich etwas mehr zurück, aber an Verbote im Umgang mit Juden hielten sie sich nicht. Weiter gingen sie da einkaufen, wo sie es auch vorher taten und Clara Köhler hielt auch hier und da weiter ihr Schwätzchen. Vor allen Dingen behielten sie weiter Kontakt mit ihren jüdischen Arzt Dr. Arndt, mit dem sie mehr verband, als nur das Patienten-Arzt-Verhältnis, er hatte Clara in einer lebensbedrohlichen Situation sehr geholfen und daraus entstand so etwas wie eine beginnende Freundschaft. Diese war Max und Clara weitaus wertvoller, als Verordnungen und Gesetze es für sie hätten sein können. Auch als Dr. Arndt nur noch jüdische Patienten behandeln durfte, gingen Max und auch Clara Köhler zu ihrem bewährten Arzt; behelligt wurden sie deshalb nicht. Am 9. Januar 1943, die Deportation der Berliner Juden war in vollem Gange, stellten die Köhlers den Sohn Dr. Arndts, als Erich Joachim, bei sich in der in der Fabrik als Mechanikergesellen ein. Außer ihr Sohn Hans, wussten nur die Köhlers um die wahre Identität Erichs, der auch in der Fabrik schlafen durfte. Den Mitarbeitern erklärten sie, dass Erich Joachim vom Wehrdienst freigestellt wäre, wegen kriegswichtiger Tätigkeit in der Fabrik. Keiner der Mitarbeiter oder Nachbarn hinterfragte diese Aussage, so blieb Erich unbehelligt in der Fabrik. Er wurde korrekt bezahlt und auch für Lebensmittelkarten sorgten die Köhlers für Erich Joachim. Im Herbst 1943 kam eine Freundin Dr. Arndts, Ellen Lewinski, zu den Köhlers, sie hatte ihr eigenes Versteck verloren. Auch sie durfte in der Fabrik schlafen, doch musste sie morgens das Haus verlassen, um erst am Abend wiederkommen zu können. Nicht leicht den Tag über auf den Straßen Berlins zu verbringen und unentdeckt zu bleiben, doch gab es erst einmal keine andere Lösung für die junge Frau. Doch der nächste Bittsteller ließ nicht lange auf sich warten, Ende 1943 erschien ein ehemaliger Mitschüler von Erich Joachim, Bruno Gumpel, in der Fabrik von Max Köhler. Auch er wurde angestellt, genauso wie Erich. Auch über Bruno Gumpel wurde die Geschichte verbreitet, dass er freigestellt wäre, um kriegswichtige Arbeit zu verrichten. Zum Glück hatte Bruno einen anderen Schlafplatz in Treptow, so erschien er nur zur Arbeit zu den Köhlers. Alle lebten mit diesen Arrangements mehr recht als schlecht und versuchten so unauffällig wie möglich zu bleiben. Im Dezember 1944 kam auch die Mutter von Ellen Lewinski zu der Gruppe in der Fabrik, Charlotte Lewinski durfte ebenfalls bleiben. Doch nun wurde es gefährlicher auf den Straßen Berlins, so richteten die Köhlers innerhalb der Fabrik ein Versteck mit Feldbetten ein, in dem die Frauen am Tag still und im Halbdunkel bleiben mussten. Anfang des Jahres kamen dann noch die Mutter und die Schwester Dr. Arndts in die Fabrik und baten um Hilfe, so bekamen auch Lina und Ruth Arndt einen Platz in dem Verschlag, der nun reichlich eng war. Ende Januar 1945 wurde das Haus, in dem Bruno Gumpel untergekommen war, ausgebombt; so durfte auch er, wie Erich Joachim in der Fabrik schlafen. Ihre nächtlich Anwesenheit wurde damit begründet, dass sie als ‚Luftschutzwarte’ die Fabrik zu schützen hätten. Den ganzen Tag verhielten sich die Frauen still und ruhig in ihrem Verschlag, die anderen Fabrikarbeiter wurden jedenfalls nicht auf diese aufmerksam, oder wollten nichts wissen. Schwieriger wurde es für Clara Köhler genug Lebensmittel zu organisieren, dass auch alle überleben konnten. Doch immer wieder schaffte sie es und wenn ihr Sohn Hans aus der Schule kam, dann half er tatkräftig mit, Lebensmittel aus dem Umland nach hause zu schaffen. Nie hatten die Köhlers das Gefühl etwas mehr zu tun, als das was sie selbst für selbstverständlich hielten. Nie kam ihnen in den Sinn, dass sie sich selbst in Gefahr begaben, denn sie schätzten die Gefahr für ihre ‚Schützlinge’ weitaus höher ein. Sie fanden an ihrem Handeln auch nichts ‚besonderes’, da sie meinten, dass in dieser Zeit jeder sein ‚Päckchen’ zu tragen hätte. Alles ging gut, für die sechs Untergetauchten und für die Familie Köhler. Am 26. April 1945 war die Oranienstraße durch den Einmarsch der Russen befreit, ein vorsichtiges Aufatmen ging durch die Reihe der Bewohner, die aber noch bis Herbst 1945 zusammen blieben, doch nun nicht mehr unter der Bedrückung der Angst vor Entdeckung. Nachdem die jüdischen Gäste sich verabschiedeten und ihrer Wege gingen, riss der Kontakt zu den Köhlers nie ab. Als der Sohn Hans im Januar 1959 in die USA auswanderte, kam er in den ersten Wochen bei der Familie Arndt unter; die bereits Ende 1945 in die USA emigriert waren. Als sich dann der Sohn in seinem neuen Land etabliert hatte, besuchten ihn seine Eltern. Hier trafen sich alle wieder, Bruno Gumpel kam zu diesem Ereignis extra aus Israel mit seiner jungen Familie hinzu.
Am 13. Oktober 1988 erkannte Yad Vashem Max und Clara Köhler als ‚Gerechte unter den Völkern’ an. Der für sie gepflanzte Baum wird unter der Akte 3984d geführt.
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