Claes Oldenburg Shoestring Potatoes, Spilling from a Bag, 1966 (Photo: mumok © Claes Oldenburg)
Pommes frites, die von der Decke fallen, WC-Muscheln aus Papier, Einkaufsläden für Erwachsene – das alles stammt nicht aus der Trickkiste von Walt Disney, sondern ist derzeit noch bis zum 28. Mai im Mumok in Wien zu bestaunen. Der Schöpfer dieser „Skulpturen“ ist Claes Oldenburg, einer der Urväter der Pop Art, zu welcher er selbst eigentlich gar nicht gezählt werden will. Und damit hat er nicht so unrecht. Sein Hauptaugenmerk liegt nicht wie bei Andy Warhol oder Roy Lichtenstein auf einer Umsetzung des Realen mit möglichst plakativen Mitteln. Vielmehr schwingt, und das zeigt diese Ausstellung ganz deutlich, auch eine gehörige PortionSurrealismus und Dadaismus bei einigen seiner Arbeiten mit.
Stärker als seine amerikanischen Zeitgenossen ist bei Oldenburg die Tradition der europäischen Moderne und der Bruch mit ihr spürbar. Die Dokumentarfilme seiner Performances hielten fest, dass auch das Unbewusste und Traumsequenzen für Oldenburg ein Thema waren. Diese persönlichkeitsintrinsische Betrachtungsweise setzt sich schließlich auch bei jenen Arbeiten fort, die Claes Oldenburg ganz den Objekten des Hier und Jetzt seiner Zeit widmete. Den Riesenburgern oder Riesen-Tortenstücken zum Beispiel oder auch den – wie bereits eingangs erwähnten Pommes frites, die aus einer überdimensionierten Tüte, die an der Ausstellungsdecke montiert ist, auf den Boden zu purzeln scheinen. All diese Arbeiten zeigen nicht nur ein gigantisches kreatives Vorstellungsvermögen, sondern in der Ausführung eine ganz eigene, persönliche Handschrift, die ja den hundert- bis tausendfach verbreiteten Werken von Warhol zum Beispiel gänzlich abhandengekommen ist. Oldenburgs dreidimensionaler Bilderbogen aus dem Amerika der 60er Jahre ist zum großen Teil aus Stoff genäht und ausgestopft. Wie er selbst erklärte, griff er zu diesem Realisierungsmittel zurück, da seine damalige Frau, Pat Muschinski, nähen konnte. Ein schönes Beispiel, wie sehr die ökonomischen und ressourcenbedingten Umstände in einem Künstlerleben die Form der Werke mitbestimmt.
Geboren 1929 in Oslo und aufgewachsen als Sohn eines norwegischen Diplomaten in Chicago, war für Claes Oldenburg rasch klar, dass er den Künstlerberuf ergreifen würde. Dass er gerade in einer Zeit des allgemeinen Werteumbruchs und der damit einhergehenden künstlerischen Aufarbeitung derselben fiel, kam ihm dabei in der Auswahl seiner Motive zugute. Für ihn war das Schielen auf den Kunstmarkt und die Verwertbarkeit der produzierten Arbeiten nicht das vorrangige Kalkül. Umso schwieriger gestaltet sich heute sicherlich auch die Konservierung seiner Arbeiten, die völlig ohne den Hintergedanken auf Langlebigkeit erzeugt wurden. Stoff, eines der empfindlichsten Materialien überhaupt und Plastik stellen heute besondere Herausforderungen an jedes Museum und an SammlerInnen. Umso mehr sollte man sich bewusst sein, dass man Werke wie diese – die noch auf weitere internationale Stationen in Deutschland, Spanien und Amerika geschickt werden – sobald nicht mehr in Wien sehen wird können. Aus heutiger Sicht lässt sich feststellen, dass es von den genähten Skulpturen von Oldenburg kein allzugroßer Schritt mehr zu jenen Arbeiten von Erwin Wurm ist, die, wie in seinem „Narrow house“, versuchen, den real existierenden Objekten im Kunstraum neue, veränderte Dimensionen zu verleihen. Wobei dies nicht die einzige Verwandtschaft darstellt.
Ganz anders, ja beinahe diametral hingegen verhält es sich mit Claes Oldenburgs im öffentlichen Raum befindlichen Skulpturen, die sehr wohl für eine lange Zeitspanne angedacht sind, wenngleich der Künstler ihnen zugesteht, vom Zahn der Zeit Spuren davongetragen zu bekommen, um eines Tages einmal nicht mehr vorhanden zu sein. In der Ausstellung sind Skizzen von ausgeführten Werken zu sehen, aber auch von solchen, die über das Stadium des Entwurfs auf dem Papier nicht hinauskamen. Was auch bei Arbeiten wie „Proposed Monument of the Intersection of Canal Street and Breadway“ nicht weiter verwunderlich ist. Eine tatsächliche Errichtung hätte in diesem Fall ja eine komplette Blockierung der Kreuzung dieser beiden Straßen bedeutet. Dieses Denken in gigantomanischen Ausmaßen kann durchaus als typisches Charakteristikum der Pop-Art angesehen werden. Obwohl bereits die ersten Strömungen der Ökologiebewegung in den USA spürbar wurden, stand doch das Allmachtsgefühl in Zusammenhang mit einem scheinbar nie versiegenden Strom an Kapital ganz oben in den Zeitgeistgefühlen. Die Konsumkritik, die von vielen Kritikern als Teilerklärungsmodell der Werke von Oldenburg herangezogen wird, zeigt sich meiner Meinung nach viel stärker in einem Teil seiner Performances, in welchen er z.B. Menschen sinnentleert Arbeiten verrichten lässt, die unnütze Dinge hervorbringen und außer Schmutz und Abfall nichts hinterlassen. Eine weitere Motivation, Alltagsgegenstände wie einen Aschenbecher im Riesenformat auszuführen, entstammen auch der Idee, diese Objekte für die Wahrnehmung zu verfremden, ohne ihnen etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen. Er itritt dabei aber nicht als ein Enkel von Marcel Duchamp auf, der dabei eine Abwandlung dessen Pissoirs feiert, sondern es steht vielmehr der Gedanke im Vordergrund, Alltägliches durch vergrößerte Neuerschaffung zu Kunst zu erklären. Ganz in diesem Sinne gab es auch Pläne, in Chikago ein architektonisches Projekt auszuführen, das in Form eines überdimensionierten Hydranten das Stadtbild maßgeblich geprägt hätte. Gerade diese Ideen sind es, die zeigen, wie sehr sich Oldenburg auch theoretisch mit einem Neubegriff von Skulptur beschäftigt hat. „Objects are limitation of sculpture“ erklärte er und war demnach ständig auf der Suche, diese Einschränkung zu durchbrechen und überwinden.
Die reichhaltige Auswahl an Werken, auf insgesamt drei Ebenen verteilt, veranschaulicht, wie produktiv Oldenburg in den 60ern war und in denen er darüber hinaus auch den Grundstein zu so manchem Projekt legte, das er auch heute noch verfolgt.
Dazu gehört auch sein „Mouse-Museum“. Eine museale Architektur, die von den BesucherInnen begangen werden kann und in welcher er ein vielfältiges Kaleidoskop an zusammengetragenen Objekten präsentiert. Diese bestehen aus Objéts trouvés – viele davon in Form von Revolvern oder Pistolen, Spielzeug, eigenen kleinen Objekten und Skizzen, aber auch ganz normalen Konsumartikeln, denen man allerdings heute ihre Entstehungszeit stark ansieht. Präsentiert werden sie in musealen Schaukästen hinter Glas – wertloses Gerümpel liegt neben von Künstlerhand Gefertigtem und evoziert – vor allem durch die Form der begehbaren Architektur selbst – einem abstrahierten Mickey-Mousekopf – eine ganz persönliche Wiedergabe der USA, minimiert dargestellt anhand von Objekten der 60er Jahre. Das Spiel mit dem Alltäglichen, erhoben zu Museumsstücken von Künstlergnaden selbst findet hier seine absolute Vollendung. Dass er auch das Gebäude des Mumok selbst in die Idee des Mouse-Museums einfließen ließ, zeigen einige abschließende Skizzen, in welchen er der Fassade der Architekten Orter&Ortner seine bekannte, schwarze Mickey-Mouse-Maske vorsetzte.
Die Beschränkung des Zeitfensters, aus welchem die Werke für die Ausstellung im Mumok ausgesucht wurden, erweist sich als Glücksgriff. Viele seiner späteren Arbeiten, die hier nicht gezeigt werden, lassen sich nämlich auf den kreativen Bodensatz der 60er zurückführen. Ein ausführlicher Katalog in Englisch, aber auch ein sehr informatives Begleitheft, das man am besten gleich in der Ausstellung vor Ort liest, geben tiefere Einblicke in Oldenburgs Arbeit.
Tipp: Die im Mumok-Kino in der Endlosschleife laufenden Filme lassen Claes Oldenburg selbst zu Wort kommen!