| Cinderella | Michael Bijnens | Übers. Heike Brayga | Atrium, 2017 | 978-3855350216 | 25,00 € |
Das Cover führt Euch zum Buch!
Ein Sohn, eine Mutter, eine unfassbare Geschichte: Die Mutter arbeitet in Antwerpen in einem Haus, vor dem sich zwei Straßen kreuzen: die Paradiesstraße und der Friedhofsweg. Das Haus hat einen Namen: Es heißt Cinderella. Die Mutter arbeitet dort als Prostituierte, während ihr trauriger und wütender Sohn alles daran setzt, sie aus diesem Milieu herauszuholen. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen, denn die Mutter weigert sich beharrlich, einer anderen Arbeit nachzugehen. Schließlich setzt der Sohn alles auf eine Karte: Er kauft Cinderella, um ab sofort an der Kreuzung zwischen Paradiesstraße und Friedhofsweg die Geschicke seiner Mutter selbst in die Hand zu nehmen.
Wer an dieses Buch herangeht und Assoziation zu „Cinderella“ hegt, der verkappten Prinzessin, die ihren Schuh verliert, dem sei gleich dieser Zahn gezogen. Zwar ist Iris für mich nach dem Lesen auch eine Art Cinderella und somit eine Prinzessin, die auf andere Art und Weise ihr Leben lebt, aber anstatt hier den Schuh zu verlieren, verliert sie ziemlich unpathetisch ihre Jungfräulichkeit in Sachen käuflicher Sex.
Wer jetzt sofort den Kopf einzieht und meint, dies sei kein Buch für ihn, hat anscheinend keine Lust mal etwas Neues auszuprobieren. Ich habe mich herangewagt, erst zaghaft, mit viel Kopfschütteln, um dann doch einen gewagten Blick in ein Leben zu werfen, das ich nicht gewählt hätte. Wozu sonst sind Bücher da? Sie zeigen uns ein anderes Leben, eine reale Welt, die auch bei uns in der Stadt existiert – nur vielleicht nicht ganz so krass. Michael Bijnens bündelt das außergewöhnliche Leben von Iris und ihrem Sohn und legt noch einmal Drogen, Missbrauch und fehlende Liebe oben drauf.
Der Leser muss sich erst an Michaels Erzählweise gewöhnen. Sie ist direkt, schonungslos und manchmal etwas einfältig. Passend zu den vielen Situationen und dem Beginn der Karriere seiner Mutter. Iris erzählt, während sie in einer heruntergekommenen Wohnung mit einer anderen Prostituierten sitzen, wie sie dazu gekommen ist, diesem Gewerbe nachzugehen. Was für Michael immer eine lebensverändernde Entscheidung war, war für seine Mutter einfach die Erkenntnis, dass man damit Geld verdienen kann und sogar ein Orgasmus ist drin.
Erst schockiert und dann desillusioniert lese ich weiter. Immer wieder gibt es Drogengeschichte, Michael gibt zu verstehen, dass er Liebe vermisste und Missbrauch nicht fern war. Manche Szenen verstehe ich im Kontext nicht, verwirren doch die vielen Nebenfiguren, die nur mal eben Drogen kaufen, eine Prostituierte wollen und nur Schlaglichter in seinem Leben sind.
Während der erste Teil es Romans einen Einblick in das Leben von Mutter Iris gibt und Michael erzählt, er hätte erst alt werden müssen, um den Anfang ihres Lebens zu verstehen, bekommt der Leser einen detaillierten Einblick in ihr Leben und seine Kindheit. Im zweiten Teil lässt die Spannung leider etwas nach. Manchmal wirkt es, also ob der Autor nicht mehr wusste, was er erzählen muss,um die Geschichte weiter voranzutreiben. Es ergeben sich Längen, die ich fast überblättert hätte, aber vielleicht hätte ich dann etwas Weitreichendes verpasst.
Der Wahnsinn, der in diesem Buch steckt, wird manchmal übertrieben. Zum Ende gibt es einig Wandlungen und Handlungen, die aufgesetzt wirken. Sie sollen „noch einen drauf“ setzen, aber dazu hätte es nicht kommen müssen. Es ist ein Leben zwischen Männern, Gewalt und Liebe – ein Leben, das ich so in noch keinem Roman getroffen habe. Eskaliert es, wirkt es unecht.
Das Buch wird seine Leser finden. Solche, die sich nicht scheuen, etwas auszuprobieren und den Mut haben, eine andere Cinderella kennenzulernen. Es war eine Erfahrung wert, die teilweise sehr gut war, aber zum Ende hin groteske Schlenker macht.
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