© 20th Century Fox - Michael B. Jordan (links) als Steve, Dane DeHaan (mitte) als Andrew und Alex Russell (rechts) als Matt
Schon in der erfolgreichen US-Fernsehserie ‚Heroes‘ wurde mit dem Gedanken gespielt, was normale Menschen mit Superkräften anstellen würden. Es geht weder um Aliens von einem anderen Planeten, noch um Mutationen oder Helden, die ihre besonderen Fähigkeiten durch den Einsatz von technischen Hilfsmitteln erlangen. Es geht nicht um Superman, die X-Men oder Batman, sondern um Menschen, die nicht zu Superhelden oder Schurken werden, sondern ihren ganz normalen Alltag mit speziellen Fähigkeiten durchleben. Das ist auch die Idee hinter Regisseur Josh Tranks Found-Footage Sci-Fi Film ‚Chronicle‘. Von Max Landis, Sohn von Regisseur John Landis (‚Kentucky Fried Movie‘, ‚Blues Brothers‘), geschrieben, hat der Film in den USA bereits reichlich positive Kritiken nach sich gezogen, die dazu geführt haben, dass Landis für FOX bereits an einer Fortsetzung schreiben darf. Nun kann man sich auch in Deutschland von den Qualitäten des Films überzeugen.
‚Chronicle‘ erzählt von Andrew, Matt und Steve, typische Teenager, die sich mit den ganz normalen Herausforderungen herumschlagen, die der Schulalltag an sie stellt. Sie schließen neue Freundschaften und erforschen die Mysterien des Lebens. Sie sind nicht perfekt, vor allem ein wenig leichtsinnig. Aber die drei Teenager haben etwas herausgefunden, was für sie und ihre Mitmenschen ungewöhnlich ist. Sie besitzen sehr seltene Fähigkeiten. Sie sind telekinetisch begabt. Sie können Gegenstände mit reiner Gedankenkraft bewegen, Autos zerquetschen und sogar fliegen. Doch schon bald laufen die Dinge aus dem Ruder.
Dane DeHaan
Es ist eine fast perfekte Origin-Story für Superhelden-Verhältnisse, nur das hier der Fokus auf die Entstehung eines Schurken gelegt wurde. Mag das Ende des Films auch etwas anderes suggerieren, so ist nicht wichtig, wer überlebt, sondern wer dominiert. Und das ist im Falle von ‚Chronicle‘ ganz klar Dane DeHaan, einem 1987 in Pennsylvania geborenen Schauspieler, der bislang allenfalls durch Auftritte in US-Fernsehserien wie ‚True Blood‘ oder ‚In Treatment‘ zu sehen war. Er durchlebt in Josh Tranks Film die typisch tragische Geschichte, die aus normalen Menschen gefährliche Psychopathen werden lässt. Mit einer schweren Kindheit beladen, muss er die Prügel seines arbeitslos versoffenen Vaters ertragen, während im Nebenzimmer seine kranke Mutter im Sterben liegt. Mit Kräften ausgestattet, die über das Verständnis von Normalbürgern hinaus gehen, entwickelt Andrew einen ausgeprägten Sinn dafür, etwas Besseres zu sein als die Menschen in seinem Umfeld. Die von seinem Cousin Matt aufgestellten Regeln, der sich nach einem Unfall für einen kontrollierten Umgang mit den Kräften ausspricht, sind schnell gebrochen. In einer örtlichen Talentshow zeigt Andrew der Öffentlichkeit seine neu erworbenen Fähigkeiten, eine kleine Spinne, sein Vater und sämtliche Raufbolde, die ihm bisher das Leben schwer gemacht haben, bekommen seine Kräfte auf sehr ungemütliche Art und Weise zu spüren und immer mehr führt seine Wut und Verzweiflung dazu, dass er unkontrolliert die Beherrschung verliert. Ein explosiver Unfall sorgt am Ende für die nötige Entstellung um Andrew endgültig als Super-Bösewicht darzustellen, der mit verlorener Menschlichkeit und Wahnwitz die gesamte Polizeikolonne Seattles unter Kontrolle hält, wie es bisher nur Magneto in Bryan Singers ‚X-Men‘ vermochte.
Da verblassen teilweise die Superhelden, die sich ihm entgegen stellen. Trotzdem hat Regisseur Trank offenbar Wert darauf gelegt, nicht irgendwelche Teenager zu zeigen, die mit diesen Kräften ausgestattet, ihr Unwesen treiben. Es hätten banale Figuren werden können, die den täglichen Schulalltag erleben, auf Partys gehen und nur Mädels im Kopf haben. Aber darauf hat sich Drehbuchautor Max Landis nicht eingelassen. Er hat keine identitätslosen Figuren erschaffen, sondern Persönlichkeiten, die der Zuschauer gerne näher kennenlernen möchte. Da ist Steve, ein aufstrebender Schüler der in die Politik gehen will um seine Führungsqualitäten unter Beweis zu stellen. Er ist der Erste der entdeckt, dass die ihnen verliehenen Kräfte zu mehr zu gebrauchen sind als nur Objekte zu verschieben, sondern es ihnen auch möglich ist, sich in die Lüfte zu erheben. Andrews Cousin Matt ist derweil derjenige, der die Entwicklung zum guten Helden durchmachen muss. Anfangs noch ein Party-begeisterter Schulliebling, entwickelt er das nötige Verantwortungsgefühl, um sich später Andrew in den Weg zu stellen. Der wiederum beweist sich als der Talentierteste im Umgang mit den telekinetischen Kräften, schafft es binnen kürzester Zeit Baseball Bälle in der Luft zu halten und kleine Konstruktionen aus Legosteinen durch bloße Gedankenkraft zu errichten. Da die Fähigkeiten wie ein Muskel funktionieren, ist es auch Andrew, der durch das ständige Training schnell zum stärksten der Drei wird.
Matt, Steve und Andrew entdecken einen unterirdischen Tunnel
Zeitgleich ist Andrew auch der Kameramann, durch dessen veraltete Billigkamera die Zuschauer erleben, was mit den drei Teenagern im Besitz dieser Kräfte geschieht. Die telekinetischen Fähigkeiten kommen somit auch der Erzählung sehr zu Gute, denn schnell lernt Andrew, die Kamera frei schweben zu lassen, womit jede erdenkliche Bildeinstellung logisch erklärbar wird. Aber deshalb noch lange nicht gut. Das Found-Footage-Genre hat seit ‚Blair Witch Project‘ immer wieder einzelne Projekte hervorgebracht, die sich der Technik einer Kamera im Film bedient haben. Oftmals litt die Glaubhaftigkeit des Films hierunter, manchmal wurden die Bilder so verwackelt in Szene gesetzt, dass man liebend gerne die Kotztüte gezückt hätte. In ‚Chronicle‘ ist das zwar nicht der Fall – es sei denn die Jungs fallen gerade aus dem Himmel auf die Erde nieder und präsentieren sich fast schon als gefallene Engel, als höhere Wesen – dafür muss sich der Film aber damit herumschlagen, dass diese Technik ihm keinerlei Mehrwert bringt. Die Geschichte baut viel zu wenig auf dem „gefundenen Videomaterial“ auf und hätte auch ohne dieses kleine Gimmick hervorragend funktionieren können.
‚Chronicle‘ bleibt trotz dieses kleinen Makos eine sehenswerte Produktion für diejenigen, die der Superheldenwelt von Marvel und DC überdrüssig geworden sind und eine etwas reellere Herangehensweise bevorzugen als Hammer schwingende Donnergötter oder eingefrorene Supersoldaten. ‚Chronicle‘ ist im Kern eine Superhelden-Geschichte. Dann aber auch eine interessante Charakterstudie über das Leben dreier Schüler, denen sich die Möglichkeit bietet mehr aus ihrem Leben herauszuholen, als es für jeden anderen Menschen auf Welt möglich wäre. „Aus großer Kraft, folgt große Verantwortung“ ließ es einst Peter Parkers verstorbener Onkel Ben in ‚Spider-Man‘ verlauten. Nur wenn dieses Verantwortungsgefühl abhanden gekommen ist, kann das arg danebengehen, wie ‚Chronicle‘ unter Beweis stellt.
Denis Sasse
‘Chronicle – Wozu bist du fähig?‘