Christsein in der Konsumgesellschaft (1)

Der deutsche Theologe Thomas Weissenborn hat ein sehr empfehlenswertes Buch mit dem obigen Titel geschrieben. Untertitel: „Nachdenken über eine alltägliche Herausforderung.“ — Ein Versuch, das Wichtigste zusammen zu fassen:

Die Einleitung dürfte schon manches Nasenrümpfen verursachen, denn Weissenborn spricht von einem zunehmenden Unbehagen angesichts unseres unverhältnismässigen Umgangs mit den Ressourcen. „Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, wird … entdecken, dass unser Lebensstil hohe Kosten verursacht — so hohe, dass wir nur hoffen können, der Rest der Welt werde vernünftiger sein und ihn nicht übernehmen.“ Nun ist dies natürlich ein illusorischer Wunsch, denn der Rest der Welt strebt genau wie wir im Westen auch nach immer mehr! Und so folgert Weissenborn richtig: „Wenn die Welt besser werden soll, müssen wir auf Wohlstand verzichten“ — worauf ich an anderer Stelle auch schon hingewiesen habe (z.B. hier).

Das erste Hauptkapitel trägt den Titel „Die Spiritualität des Konsums“ und analysiert die Tiefenstruktur der Konsumgesellschaft. Diese wird durch drei Elemente geprägt und getragen:

1. Freiheit — und zwar im Sinne von „Freiheit von“ (äusserem Zwang), nicht etwa „Freiheit für“ (den Dienst am Nächsten, z.B.). Im Anschluss an diese Feststellung taucht sogleich die Sinnfrage auf, welche die Konsumgesellschaft und die freie Marktwirtschaft überhaupt nicht befriedigend beantworten können.
Von Freiheit kann auch deshalb nicht dir Rede sein, weil das Individuum angesichts der Marktkomplexität niemals wirklich frei entscheiden kann, sondern immer Spielball der Interessen der Mächtig(er)en ist, welche sämtliche Informationen nach ihrem Gutdünken behalten oder weiter geben.
Als primärer Informationsträger bietet sich der Preis an: für die einen ist der tiefste, für die andern der höchste Preis Grund zum Kauf: entweder „Geiz ist geil“ oder „Image durch Prestigeprodukte“. Immer geht es in der Marktwirtschaft letztlich um Anhäufung und Vermehrung von Kapital.

2. Transzendenz — Wertschöpfung als Ziel der Marktwirtschaft kann in einem geschlossenen System (wie es unser Erdball grundsätzlich darstellt) nur dann geschehen, wenn eine Ware durch irgendeinen Prozess mehr Wert zugeschrieben bekommt. Je mehr eine Ware verändert wird, desto grösser die mögliche Wertzunahme. Dies führt zum Irrsinn, dass die Anschaffung eines neuen Gegenstandes wirtschaftlich „interessanter“ ist, als die Reparatur eines alten. Je mehr neue Ware konsumiert wird, desto besser (?) geht es der Wirtschaft.
Das Marketing hält den Motor am Laufen, indem es das Interesse der KonsumentInnen auf immer neue Produkte lenkt. Die moderne Werbung lobt aber nicht mehr die Qualitäten des Produkts an und für sich, sondern sie verlinkt das Produkt mit einem Set von Werten wie Glück, Liebe, Jugend, Freiheit, Status. Sie gaukelt damit vor, die Sinnfrage des Lebens sei mit Konsum von Produkten zu beantworten. Dies „funktioniert vor allem deshalb so gut, weil sie bei uns Konsumenten auf eine entsprechende spirituelle Leere trifft.“
Das Produkt scheint die Frage nach Individualität und Identität zu beantworten: man definiert sich durch die Marke, die man trägt und benutzt. Dies führt zum 3. Element:

3. Heimat — Tradition und traditionelle Werte sind in der Multioptionsgesellschaft keine identitätsstiftende Grössen mehr (wobei die Popularität von urschweizerischem Brauchtum wohl als Gegenreaktion dieses Phänomens zu betrachten ist). Die wichtigste Bezugsgruppe definiert sich in der Konsumgesellschaft durch ähnliche Konsumentscheide, welche sog. tribes definieren.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich „unser Konsumstreben als eine immerwährende Suche nach Identität und Heimat [erweist]. Wir konsumieren, weil wir einen Platz haben wollen in der Welt, weil wir sicher wohnen und sein wollen, weil wir uns nach einem Wert sehnen, der über die momentane Wertanmutung hinausgeht.“



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