Von Christoph Höver (Text, Fotos) und Musch Stavenhagen (Fotos)
Wir sind in Vila Real de Santo António (VRSA), der kleinen Grenzstadt im Südosten der Algarve. Der Guadiana, der dort in den Atlantik mündet, teilt Spanien und Portugal. Und obwohl sich die feindlichen Brüder jahrhundertelang Rücken an Rücken zu beiden Ufern des Flusses gegenüberstanden, sind die kulinarischen Gemeinsamkeiten unübersehbar.
Beide Städte - VRSA auf dem westlichen und das spanische Ayamonte auf dem östlichen Ufer - waren einmal Zentren der Sardinen- und Thunfisch-Fischerei. Bis irgendwann in den 60ern die Thunfisch-Schwärme ihre Zugrichtung änderten. Sardinen- und Thunfischdosen aus Vila Real wurden in die gesamte Welt verschifft. Und auch wenn die Fischindustrie nicht mehr das Stadtbild bestimmt, hat sich diese Tradition auf den Speisekarten der Restaurants und in den Kühlvirtinen der Petisco-Cafés bis heute gehalten.
Estupeta - eine Spezialität aus dem Zentrum der Thunfisch-Industrie
Rückblende: Im September 2010 sind wir auf einer kulinarischen Entdeckungsreise unterwegs und besuchen in einer kleinen Seitenstraße der - im 18. Jahrthundert von dem berühmten Marques de Pombal - schachbrettartig angelegten Innenstadt von VRSA das Café Nil. Wir sind auf der Suche nach der Spezialität des Ortes, der Estupeta de Atum, was so etwas wie „Ausgedrückter Thunfisch" bedeutet.
Es ist eine Zubereitung, die angeblich auf die Zeit der Phönizier und Karthager zurückgeht. Andere sehen den Ursprung bei den Griechen und Römern.
Estupeta ebenso alt wie Muxama
Der ausgedrückte Thunfisch ist ebenso alt wie der hier beheimatete Thunfisch-Schinken „Muxama", auf den wir schon in Teil 1 unserer Serie eingegangen sind: "Christophs Algarve-Küche serviert: Meeresschinken Muxama".
Basis des Gerichtes sind die Abschnitte der Thunfischfilets, die bei der Muxama-Produktion („Meeresschinken") anfallen und die roh in einer hochkonzentrierten Salzlake eingelegt werden.
Estupeta muss mindesten 25 Tage in Salzlake reifen
Mindestens 25 Tage muss die Estupeta in der „Salmoura" genannten Lake reifen. Längere Reifezeit schadet nicht, denn das Salz konserviert perfekt.
Die kleinen Plastikeimer mit dem Thunfisch in Lake bekommt man in Vila Real in Lebensmittel-Geschäften, aber auch in der restlichen Ost-Algarve von Tavira über Olhão bis Faro kann man sie in den Läden - vornehmlich in der Nähe der Fischmarkthallen - finden.
Ein Blick auf die Nährwert-Angaben auf dem Eimer zeigt: wenige Kalorien, viele ungesättigte Fettsäuren, sehr viele Proteine und keine Kohlehydrate. Super!
Estupeta - mein erstes Mal
Es ist ein etwas trüber Mittwochnachmittag im September 2010, an dem wir in dem empfohlenen Café Platz nehmen. Wir bestellen die Estupeta de Atum, dann dafür sind wir hergekommen.
Es sieht aus wie ein sommerlich-frischer Salat aus festen Tomaten, grüner Paprika, Zwiebelstücken und dem altbekannten Dosen-Thunfisch. Nein, der Fisch sieht glasiger aus. Der erste, vorsichtige Bissen überzeugt: der Thunfisch ist „al dente" und der Geschmack ist voller, frischer und angenehm "fischiger", als aller anderer Thunfisch, den ich bisher probiert habe. Nach diesem Salat könnte ich süchtig werden!
Wirtin des Café Nil erklärt die Estupeta-Zubereitung
Ich bitte Senhora Judite Rodrigues, mir die Zubereitung der Estupeta zu erklären. Sie setzt die Brille ab, ihr strahlendstes Lächeln auf und kommt an unseren Tisch, offensichtlich stolz, die Zubereitung ihrer lokalen Spezialität ausländischen Besuchern erklären zu können.
"Der Fisch muss aus der Salzlake in eine große Schüssel mit Süßwasser. Darin zerfleddert man ihn leicht mit den Fingern. Einen Moment ruhen lassen und das Wasser abgießen. Den Fisch mit den Händen - wie einen nassen Lappen - gut ausdrücken und ihn dann in frisches Wasser geben. Das Ganze so oft wiederholen, bis der Fisch nicht mehr zu salzig schmeckt." "Fünf bis sechs Mal. Es kann aber auch mehr sein. Der Fisch darf nicht mehr sehr salzig schmecken."Wie oft ist das dann?
"Ja. Den Fisch im Wasser mit den Fingern zerkleinern, warten, ausdrücken, probieren. Bis er schmeckt."Und nach jedem Durchgang wieder ausdrücken?
"Man braucht feste Tomaten (ohne Kerne), frische grüne Paprika und Zwiebeln. Alles in nicht zu kleine Würfel schneiden und zu dem Fisch geben. Etwas Weinessig und reichlich Olivenöl dazu. Ein paar schwarze Oliven und ein Sträußchen Petersilie. Fertig. Ach ja: Nicht salzen! Der Fisch gibt immer noch genügend Salz ab."Und wie wird dann der Salat gemacht?
Estupeta de Atum - Rezept für Salat mit Thunfisch aus der Salzlake
Zutaten für 4 PersonenZutaten für 4 Personen:
ca. 350 g Thunfisch für Estupeta aus der Lake
1 größere grüne Paprika in groben Würfeln
1 große Fleischtomate, ohne Kerngehäuse in grobe Würfel geschnitten
1 mittlere Zwiebel in feinen Streifen oder Stücken
Weissweinessig, Olivenöl
Pfeffer, evtl. Salz zum Nachwürzen
schwarze Oliven und Blattpetersilie für die Dekoration
Zubereitung:
Den Thunfisch aus der Lake nehmen und in reichlich Wasser grob zerpflücken. Stehen lassen, bis das Wasser salzig ist.
Das Wasser abgießen und den Fisch fest mit den Händen ausdrücken. Die Flüssigkeit ebenfalls abgießen und frisches Wasser zugeben.
Diesen Vorgang mehrfach (4-5mal) wiederholen, bis der Fisch nicht mehr versalzen schmeckt.
Fisch, Tomaten‑, Paprika- und Zwiebelwürfel in einer Schüssel vermischen.
Mit etwas Weinessig (1-2 EL) und reichlich gutem Olivenöl anmachen. Nach Geschmack mit Pfeffer abschmecken. Nicht salzen!
Kalt stellen und vor dem Servieren noch einmal abschmecken.
Mit Blattpetersilie und schwarzen Oliven dekorieren und mit frischem Landbrot servieren.
Wer einmal etwas anderes probieren möchte: Hier sind meine eigenen Rezeptvorschläge.
Estupeta-Salat auf italienische Art (Vorspeise oder Petisco)
Zubereitung:350 g Thunfisch für Estupeta, gewässert und ausgedrückt (siehe voriges Rezept)
250 g Krabben aus der Lake oder gekochte TK-Krabben ("Miolo de Camarão")
¼ Fenchelknolle ("Funcho")
1 Stange Bleichsellerie ("Ramo de Aipo")
Blattpetersilie
1 Knoblauchzehe, gehackt oder durchgepresst
Olivenöl und weißer Balsamessig, Pfeffer und Salz (Vorsicht!)
Limettensaft, ersatzweise Zitronensaft
Die gewässerte Estupeta zu kleinen Stücken zerzupfen.
Die Krabben aus der Lake nehmen und abtropfen lassen, bzw. langsam tauen und evtl. kurz aufkochen.
Den Fenchel von harten Strunk in der Mitte befreien und in feine Würfel schneiden.
Die Selleriestange von evtl. noch vorhandenen Fäden befreien, längs halbieren und in feine Streifen schneiden.
Petersilie zupfen, grob hacken und untermischen.
Aus Knoblauch, Öl, Essig, wenig Salz und Pfeffer eine Vinaigrette rühren und über den Salat geben.
Mindestens 20 Minuten ziehen lassen. Durchrühren und abschmecken.
Vor dem Servieren noch mit etwas Limetten- oder Zitronensaft beträufeln.
Mit Brot servieren.
Bandnudeln (Tagliatelle) mit Estupeta
Zutaten für 4 Personen
350 g Estupeta, gewässert und grob zerzupft, wie oben
300 g Tagliatelle (Bandnudeln), ersatzweise Spaghetti
zwei kleinere Zwiebeln oder besser Schalotten ("chalotas")
zwei Knoblauchzehen
6 Esslöffel (EL) Olivenöl
2 EL Tomatenmark
Tomatenwürfel für Pizza (eine Packung oder Dose)
12 Kirschtomaten, halbiert
2 EL Kapern ("alcaparras")
1 handvoll Basilikumblätter ("manjericao, basilico")
Salz, Pfeffer, Zucker
Estupeta, wie oben beschrieben, mehrfach wässern und ausdrücken, bis der Salzgeschmack nur noch schwach ist.
Schalotten und Knoblauch schälen und fein würfeln.
4 EL Olivenöl in einem Topf erhitzen und Schalotten- und Knoblauchwürfel darin sanft dünsten.
Tomatenmark und Kirschtomaten einen Moment mitdünsten lassen, die Pizzatomaten dazugeben und alles ein paar Minuten sanft köcheln lassen.
Tagliatelle in reichlich gesalzenem Wasser „al dente" kochen.
Die Sauce von der Flamme nehmen und Kapern und die Estupeta in die leicht abgekühlte Sauce geben.
Mit Pfeffer, Zucker und evtl. Salz abschmecken.
Die tropfnasse Pasta mit der Sauce vermischen, die zerzupften Basilikumblätter und das restliche Olivenöl darüber geben und servieren.