Hier kommt wieder einmal ein Radiokommentar, der im Blog sicher länger ausgefallen wäre. Machen Sie sich auch sorgen um die zunehmende Säkularisierung in Deutschland? Die Kanzlerin jedenfalls tut es, und sie verlangt, genau wie CSU-Chef Seehofer, dass die Zuwanderer sich bitte dem christlichen Menschenbild in Deutschland anpassen mögen.
Moment mal: Habe ich da etwas missverstanden? In Deutschland herrscht das christliche Menschenbild? Da haben mich meine Lehrer doch glatt falsch informiert, diese Schlingel. Sie haben mir beigebracht, dass Deutschland ein säkularer Staat ist, und dass das Menschenbild des Grundgesetzes ausschlaggebend sei, dass auf einem grundlegenden Humanismus und auf den Erfahrungen mit der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus beruhe. Der Staat, so habe ich gelernt, verhält sich den einzelnen Religionen gegenüber vollkommen neutral, und der Glaube jedes Einzelnen ist Privatsache. So habe ich es gelernt, und mir erschien das auch gut und fortschrittlich. Jetzt mag man der Kanzlerin zugute halten, dass sie nicht in Westdeutschland, wo das Grundgesetz schon vor der Wiedervereinigung galt, aufgewachsen ist. Aber war die DDR weniger säkular? Eher nicht. Verstanden hätte ich noch eine Äußerung in ihrer Eigenschaft als Parteivorsitzende der CDU, so nach dem Motto: “Wir, die CDU, lassen uns in unserer Arbeit von christlichen Werten leiten und bemühen uns, sie im mitmenschlichen Miteinander zu verankern”, oder so ähnlich. Damit wäre die CDU dann eine soziale, mitmenschliche Partei, Vorkämpfer für die Ärmsten der Armen, die letzten, die die ersten sein sollen und alle Benachteiligten der Gesellschaft. Und natürlich wäre sie gegen Kapitalismus, denn eher geht ein Kamel durch ein Nadelör, als dass ein Reicher in den Himmel kommt.
Aber, Oh Wunder, so sieht das CDU-Menschenbild nicht aus, und so hat sich Frau Merkel auch nicht geäußert. Ihre Aussage war gedacht, um sich rechts der Mitte zu profilieren und von den Zuwanderern zu verlangen, christliche Werte zu akzeptieren und ihren eigenen Glauben aus der Öffentlichkeit heraus zu halten. Das aber widerspricht eklatant den Vorgaben des Grundgesetzes, auf das sie vereidigt ist.
Vor dem Gesetz in Deutschland ist jeder gleich, ganz egal, welcher Religion er oder sie angehört. Auch Herkunft und Heimat sind gleichgültig. Alle müssen sich an die verfassungsmäßig beschlossenen Gesetze halten. Der Staat selbst enthält sich jeder Präferenz für eine bestimmte Religion, er ist religionsneutral. Jeder Einzelne mag glauben, was er oder sie will. Zumindest ist das die Theorie. Leider werden die christlichen Kirchen durch die Einziehung der Kirchensteuer durch den Staat und die Sache mit der Körperschaft des öffentlichen Rechts eben doch bevorzugt.
Trotzdem sollte eine Bundeskanzlerin sich für den säkularen Staat einsetzen. Dieser säkulare Staat ist nämlich die Grundvoraussetzung für Religionsfreiheit. Wenn Religion Privatsache ist, dann hat sie in öffentlichen Angelegenheiten nichts zu suchen. Dort sind die Grundrechte maßgebend, und nicht die 10 Gebote. Wo sie übereinstimmen, mag das religiöse Menschen freuen, aber für die Ausübung der öffentlichen Gewalt spielt es keine Rolle. Wie gesagt: Gerade ein weltlicher und religionsneutraler Staat ist eine Grundvoraussetzung für die Religionsfreiheit. Nur er kann allen Religionen dieselbe Aufmerksamkeit und Freiheit gewähren, die privaten Anschauungen aller seiner Bürger schützen, von ihnen denselben Gesetzesgehorsam verlangen. Schon seit mehr als 200 Jahren propagieren Humanisten und ihre Vorläufer die echte Trennung von Kirche und Staat. Also sollte man als Regierungschefin eben nicht das christliche Menschenbild von den Einwanderern einfordern, sondern die Beachtung der religionsneutralen Gesetze, die sich auf die Grundrechte stützen. Und von Einwanderern aus muslimischen Ländern muss man verlangen, von Artikel 24 der Grundrechtserklärung im Islam Abstand zu nehmen, der sinngemäß feststellt, dass die Grundrechte nur so lange gelten, wie sie dem islamischen Recht nicht widersprechen.
Gerade das Menschenbild des Grundgesetzes wird von den Einwanderern verlangen, sich den hiesigen Sitten in bestimmten wichtigen Punkten anzupassen. Aber zu wem jemand betet, was er trägt und wohin er sein Gesicht wendet, ist und bleibt seine eigene Angelegenheit, und darin respektieren wir ihn, oder sie.