Der Zug der WaisenChristina Baker Kline
Goldmann Verlag
352 Seiten
Gegenwartsliteratur
Klappentext
New York, 1929: Mit neun Jahren verliert Vivian Daly, Tochter irischer Einwanderer, bei einem Wohnungsbrand ihre gesamte Familie. Gemeinsam mit anderen Waisen wird sie kurzerhand in einen Zug verfrachtet und in den Mittleren Westen geschickt, wo die Kinder auf dem Land ein neues Zuhause finden sollen. Doch es ist eine Reise ins Ungewisse, denn nur die wenigsten von ihnen erwartet ein liebevolles Heim. Und auch Vivian stehen schwere Bewährungsproben bevor ... Erst viele Jahrzehnte später eröffnet sich für die inzwischen Einundneunzigjährige in der Begegnung mit der rebellischen Molly die Möglichkeit, das Schweigen über ihr Schicksal zu brechen.
Inhalt
Das siebzehnjährige Pflegekind Molly hat ordentlich Mist gebaut: sie hat in der örtlichen Bücherei ein altes Exemplar des Klassikers Jane Eyre gestohlen und soll nun ins Jugendgefängnis. Lediglich das Ableisten eines Sozialdiensts kann sie davor bewahren. Aber eine Stelle zu finden ist gar nicht so einfach. Mithilfe ihres Freundes und dessen Mutter darf sie jedoch der 91-jährigen Vivian beim Entrümpeln des Dachbodens helfen und so ihre Stunden abarbeiten. Zwischen den beiden entsteht rasch eine Verbindung, sie sind sich ähnlicher als gedacht: beide Frauen sind Waisen; die eine Anfang des 19. Jahrhunderts und die andere Anfang des 20. Jahrhunderts. Vivian beginnt, Molly ihre Geschichte zu erzählen: Als Kind aus Irland in die Staaten gekommen, verliert sie bei einem verheerenden Brand ihre gesamte Familie. Als Waise wird sie von einer Pflegefamilie zur nächsten gereicht und erlebt Dinge, die kein Kind erleben sollte. Sie hat ihre Familie, ihre Kultur, ihre Identität verloren. Um dann am Ende doch wieder so etwas wie eine Heimat zu finden.
Meinung
[Sprachlich] Christina Baker Kline hat einen sehr angenehmen Sprachstil, der das Lesen des Buches zu einem Genuss macht. Sie bedient sich keiner zu umständlichen, blumigen Sprache. Dennoch wird ihr Geschick, mit Sprache umzugehen, deutlich. In "Der Zug der Waisen" gibt es zwei Perspektiven, bzw. Situationen. Kapitelweise abwechselnd wird aus Vivians Vergangenheit und Mollys Gegenwart mit Vivian erzählt. Vivians Kapitel sind aus der Ich-Perspektive geschrieben, während Mollys Kapitel personal erzählt werden. Dieses Springen zwischen Zeiten und Perspektiven gelingt der Autorin vortrefflich. Ich hatte kein einziges Mal das Gefühl, dass etwas "nicht passt" oder die Story sich in irgendeiner Weise verhaspelt.
[Inhaltlich] Inhaltlich fand ich das Buch sehr ansprechend. Von den Waisenzügen in Amerika hatte ich persönlich noch nichts gehört. Insgesamt transportiert dieses Buch sehr viel Wissen, da die Autorin wirklich sehr umfassend recherchiert hat. Am Ende des Romans bietet sich dem Leser zudem eine kleine "Materialsammlung", Archivfotos und Fakten zu den realen Waisenzügen. Das fand ich sehr spannend.
[Personen] Die beiden Hauptpersonen Molly und Vivian kommen sehr plastisch herüber. Gerade Vivian, da wir ihr in der Ich-Perspektive in die Vergangenheit folgen. Auch als alte Dame habe ich sie als Leser sehr gemocht. Ich habe an einigen Stellen definitiv Tränchen verdrückt, weil mir die Geschichte sehr zu Herzen ging. Auch Molly ist beachtenswert. Sie entwickelt sich zusehends, während sie mit Vivians Vergangenheit konfrontiert wird. Ihr Freund Jack, dessen Mutter Terry und die Pflegeeltern Ralph und Dina rücken natürlich eher in den Hintergrund, sind aber dennoch entsprechend ihrer Rolle beschrieben und dem Leser nahegebracht.
Fazit
Das Buch
Der Zug der Waisen ist definitiv sehr lesenswert und absolut zu empfehlen. Der Roman vermittelt Wissen über die amerikanische Geschichte und hat trotzdem alles, was ein guter Roman haben sollte: Dramatik, Herzschmerz, herzerwärmende Momente, Spannung, Mitfiebern. Ich vergebe diesem Buch daher die volle Punktzahl.