Er hat sich finanzielle Vorteile verschafft! Er hat ein Callgirl geheiratet! Die hat ein Tatoo! Er ist Mitglied in einem evangelikalen Verein! Er hat behauptet, der Islam gehöre zu Deutschland!
Mir bleibt unverständlich, wieso ein harmloser Bundespräsident, allzu nett und harmlos vielleicht, plötzlich und unerwartet derart von den Medien gehetzt wird: Er ist ein bisschen korrupt, wer ist das nicht, und gar, wenn sich solche Gelegenheiten bieten. Er hat seine erste Ehefrau gegen ein jüngeres Modell getauscht. Auffällig viele Frauen meiner Generation werden mit dem kaltherzigen emotionalen Kapitalismus, den Eva Illouz bei erfolgreichen Männern diagnostiziert, abserviert: Gängige Praxis unserer politischen Führungsklasse. Aber ein tragfähiger Grund für die Medienhatz auf Wulff ist nicht zu erkennen.
Außer, wenn er gerade als Sündenbock missbraucht wird. Die Bild ist ja bisher nicht als Hort der Pressefreiheit hervorgetreten, sondern galt im Gegenteil immer als besonders staatstragend. Wieso sollte das plötzlich anders geworden sein?
Kompatibel mit der bisherigen Bildfunktion des Systemerhalts wäre der Versuch, die vielen weiterhin offenen Fragen zu unseren Sicherheitsbehörden, insbesondere dem Thüringer Verfassungsschutz, vergessen zu machen. Sie haben Neonazis unterstützt und gedeckt, die Mitbürger aus rassistischen Motiven ermordet haben, Banken ausgeraubt haben, zum Schluss auch noch eine Polizistin umgebracht haben. Vorgänge, die die Grundfesten unserer demokratischen Rechtsordnung bedrohen, wenn sie nicht aufgeklärt werden und wenn die Verantwortlichen nicht überzeugend zur Rechenschaft gezogen werden. Dagegen ist die Debatte darüber, dass unser Bundespräsident ein Darlehen von einem Freund angenommen hat, einfach lächerlich.
Erschreckend finde ich darüber hinaus, welche autoritätsgeile und untertanenselige mediale Haltung im Zuge dieser Hatz zum Vorschein gekommen ist: Wulff soll nach der veröffentlichten Meinung tatsächlich zurücktreten, weil er darauf besteht, ein fehlbarer Mensch zu sein. Gehts noch?!