Chöd – die Kusali-Ansammlung

Von Rangdroldorje

Das Wort „kusali“ bedeutet „Bettler“. Einsiedler und Zurückgezogene, denen es an Besitz mangelt, bringen ihren eigenen Körper als Opfergabe dar. Wir lieben unsere Körper mehr als unseren gesamten anderen Besitz, sodass der Nutzen, ihn als Opfergabe darzubringen, sehr viel größer ist. Es wird gesagt: „Sein Pferd oder seinen Elefanten zu opfern, ist so viel wert, wie hundert andere Opfergaben; sein Kind oder seine Frau zu opfern ist tausendmal mehr wert; den eigenen Körper zu opfern ist 100.000 Mal mehr wert.“
Jetsun Milarepa beschreib die Bedeutung der Silbe „PHAT“ wie folgend: „Das äußere PHAT versammelt alle Gedanken, die durchtrennt werden. Das innere PHAT vertreibt alle Dumpfheit des Gewahrseins. Das letztendliche PHAT ist das Verweilen im natürlichen Umstand.“
Indem man alle Gedanken eines Ich-Ergreifens und eines Anhaftens an diesen Körper, den man so lieb hält, aufgibt, wird der Dämon der verführerischen Kraft durch Begierde (der Mara des Göttersohnes) zerstört. Das Bewusstsein wird zu einer Lichtkugel, schießt durch die Brahma-Öffnung am Scheitel des Kopfes hinaus in den alles durchdringenden Raum. Augenblicklich, um die dämonische Kraft des Todes zu zerstören (den Mara des Herrn des Todes), verwandelt sich das Bewusstsein in Tröma Nagmo, die in ihrer rechten Hand eine geschwungene Klinge und in ihrer linken eine Schädelschale hält, und über ihrem rechten Ohr schaut ein Saukopf hervor.
Mit der rechten Hand benutzt sie das Hackmesser, das die Zerstörung der dämonischen Kräfte der störenden Emotionen symbolisiert (den Mara der störenden Emotionen), um den oberen Teil des Schädels der Leiche abzuschneiden, so zerstört sie die dämonischen Kräfte der Aggregate des Ego (den Mara der Skandhas). Ihre linke Hand hält eine Schädelschale um ihre Aktivität auszuführen, die sie auf einen Herd aus drei Menschenschädeln stellt, welche die drei Kayas darstellen, so groß wie der Berg Meru. Die Schädelschale wird so hingestellt, dass der vordere Teil zu einem selbst blickt und der Leichnam, nun eine Opfergabe so riesig wie eine Milliarde Welten, wird von ihr mit dem Hackmesser in der rechten Hand darin hineingelegt.
Unter der Schädelschale lodert das Weisheitsfeuer vom Strich des Buchstaben AH empor und dies bewirkt, dass der Nektar schmilzt und von der darüber befindlichen Silbe HAM herunter tropft. Man stellt sich vor, dass alle Unreinheiten durch OM gereinigt werden, durch AH vervielfältigt und durch HUNG in riesige Opferwolken eines himmlischen Schatzhauses verwandelt werden, die die essentielle Natur des Weisheitsnektar sind, aber sich in alles manifestieren, was Wesen auch immer wünschen.
Dann rezitiert man OM AH HUNG so oft man kann. Dann visualisiert man , wie das Verdienstfeld in der Zufluchtspraxis erscheint, umgeben von allen Wesen der sechs Klassen, besonders jenen Wesen, die einen leiden lassen. Vom eigenen Herzen gehen zahllose Opfergöttinnen aus. Makelloser Nektar ist das weiße Fest, das von den Opfergöttinnen den Gästen darüber dargebracht wird, sie erfreut und zufriedenstellt. Unvorstellbare Opfersubstanzen manifestieren sich aus dem Dampf, der aus dem brodelnden Nektar aufsteigt: die fünf Opfergaben wie Blumen, die fünf Sinnesgenüsse wie sichtbare Formen, die acht Glückssymbole, die sieben Zeichen eines Weltenherrschers und die fünf Fleische und fünf Nektare. Dies ist das verschiedenfarbige Fest und diese Opfergabe erfreut die Gäste, wodurch die zweifache Ansammlung von Verdienst und Weisheit angesammelt wird und als Errungenschaft der höchsten Siddhis ist der eigene Geist in den zwei Arten des Bodhicitta vollendet. Man erlangt ebenfalls die gewöhnlichen Errungenschaften der Langlebigkeit, des Anwachsen des Verdiensts usw.
Für die Gäste darunter – die Wesen der sechs Klassen in Samsara – nehmen die Dakinis von der Schädelschale und verspritzen diesen, sodass er wie Regen vom Himmel fällt. Man stellt sich vor, dass alle fühlenden Wesen etwas vom Nektar erhalten, sie trinken davon und sind zufriedengestellt. Als das bunte Festmahl stellt man sich vor, dass auf sie herabregnet, was immer die Wesen der sechs Klassen begehren und sie dadurch erfreut und zufriedengestellt sind. Die Gläubiger, bei denen man in karmischer Schuld steht, die das eigene Leben verkürzen, weil man sie getötet hat, die einen mit Krankheit plagen, weil man sie angegriffen und geschlagen hat und die einen verarmen lassen, weil man sie bestohlen hat, erhalten was immer sie begehren: Nahrung, Kleidung, Häuser, Land usw. Sie erfreuen sich an diesen Opfergaben und so stellt man sich vor, dass alle Schulden zurückgezahlt sind.
Im Besonderen denkt man an die Jungpo-Dämonen der 80.000 Klassen, die Hindernisse für einen und Leid für die fühlenden Wesen erzeugen, zusammen mit den Lahmen, Blinden, Tauben und Stummen, die sich in der Hoffnung versammelt haben, die Überreste zu versammeln. Allen quälenden Einflüssen und hinderlichen Kräften, die nach Fleisch und Blut gieren, widmet man einen Berg aus Fleisch, einen Ozean aus Blut und einen Haufen Knochen, die wie Inseln eines Flusses aufgeschichtet sind, man stellt sich vor, dass dies alles das Fleisch und Blut eines siebenmalig geborenen Brahmanen sind.[1] Man stellt sich vor, dass sie körperlich zufriedengestellt sind und sie die Haltung von Bodhicitta in ihrem Geist entwickeln. Dann erhalten die übrigen Gäste alles, was sie begehren, wie Nahrung und Kleidung und sie erfreuen sich daran. Die Lahmen erhalten Gliedmaßen mit wundersamen Kräften. Die Blinden erhalten die Weisheitsaugen. Die Tauben hören makellose Klänge. Die Stummen erhalten die Zunge der Intelligenz usw. Auf diese Weise sind alle zufriedengestellt, die schwach und unterprivilegiert sind.
Durch den Verdienst und das Heilsame davon sind alle Krankheiten, die den Körper plagen, alle störenden Emotionen, die den Geist stören und alle zerstörerischen Einflüsse und Hindernisse in den alles durchdringenden Raum befriedet. Leidvolle Umstände, die im Widerspruch mit dem Dharma stehen, alles selbstsüchtige Haften an Reichtum und Besitz und alle Gedanken des Greifens nach einem Ich sind explodiert.
Schließlich lösen sich die Opfergabe des Körpers und der Geist, der opfert, zusammen mit allen Gästen, denen die Opfergaben dargebracht werden, in die Natur von Dzogpa Chenpo (der Großen Vollkommenheit) auf, der grundlegenden Natur des eigenen Geistes, in dem sie nicht länger mehr als wahrhaft klammert, sondern als illusorisch und traumgleich ansieht. Dies ist der Zustand von Shunyata. Man verweilt in der großen Einfachheit, versiegelt mit der Silbe AH die Praxis in die Sphäre des Dharmadhatu der innewohnenden Realität.
Solange man sich nicht im Anhäufen der Ansammlungen und dem Reinigen der eigenen Hindernisse durch Übungen wie diese übt, werden meditative Erfahrung und Verwirklichung nicht entstehen. Das Schatzhaus der Lieder der Verwirklichung (Dohas) sagt: „Letztendliche, gemeinsam entstandene Weisheit kommt nur aus der Anhäufung der Ansammlungen und Reinigung der Hindernisse und durch den Segen der verwirklichten Meister. Es wäre dumm, sich auf irgendeine andere Methode zu stützen.“

Kolophon:
Ein Kommentar von Chökyi Dragpa zur Praxis des Chöd.
Übersetzung Deutsch: Ngak’chang Rangdrol Dorje (Enrico Kosmus, 2012)

Vom 13. – 15. Sept. 2013 gibt Lopon Ogyan Tanzin Rinpoche die Ermächtigung der Thröma Nagmo und die Belehrungen zum Ngondro und den Vier Festmahlen des Chöd.
[1] Brahmins mit siebenfacher Geburt sind Bodhisattvas, die siebenmal hintereinander eine Geburt als Brahmin angenommen haben, um den Wesen zu nützen. Ihr Fleisch, ihre Knochen, ihr Haar, ihre Nägel usw. – so sagt man – sind besonders rein und wenn sie verzehrt werden, kann dies zur Verwirklichung des Regenbogenkörpers führen.