Es klingt wie pure Science Fiction: Wissenschaftler sind heutzutage schon in der Lage, menschliche Knorpel, Knochen und Haut herzustellen. Doch das ist erst der Anfang. Da die Menschen immer älter werden, müssen „Ersatzteile“ her, wie zum Beispiel Organe, neue Knie- oder Hüftgelenke. Die Forscher kommen diesem Ziel immer näher, denn jetzt ist es ihnen gelungen, Zähne zu züchten – und zwar aus Urin.
Doch wie kann das funktionieren?
Aus dem Urin können – ebenso wie aus Nabelschnurblut – Stammzellen, sogenannte induzierte Pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen), gewonnen werden. Daraus konnte die Forschergruppe vom chinesischen Guangzhou-Institut für Biomedizin und Gesundheit kleine zahnähnliche Bildungen züchten. Die rudimentären Zähne sind etwas weicher als normale Zähne, haben aber sonst fast die gleichen Eigenschaften. Sie besitzen Zahnmark, Dentinschicht und Zahnschmelz. Noch stehen die Wissenschaftler am Anfang, aber Ziel ihrer Arbeit ist die vollständige Wiederherstellung eines menschlichen Zahns.
Worin liegt der Vorteil, dass die Stammzellen aus dem Urin gewonnen werden?
Zahnärztin Dr. Diana Svoboda: „Bisher wurden Stammzellen aus Knochenmark, Knochenhaut, der Nabelschnur oder dem Nabelschnurblut, also invasiv, gewonnen. Dies bedeutet jedes Mal einen Eingriff in den Organismus. Bei der Gewinnung von Stammzellen aus dem Urin handelt es sich um einen nicht-invasiven Eingriff, da der Urin ja ohnehin ausgeschieden wird“, erklärt Dr. Svoboda. „Damit entfällt das Risiko der Vollnarkose, die bei der Knochenmarkspende unerlässlich ist. Der zeitliche Faktor spielt dabei natürlich auch eine Rolle. Trotzdem muss man bedenken, dass die Stammzellen im Urin zu wenig Informationsmaterial im Gegensatz zum Knochenmark haben könnten.“
Wie erfolgt konkret die Züchtung eines Zahns?
Den gewonnenen iPS-Zellen wurden Bindegewebszellen, die aus Mäusezähnen gewonnen werden, hinzugefügt. Das Ganze wurde dann in die Mäuse implantiert. Schon nach drei Wochen entstanden die kleinen Zähnchen. Die Erfolgsquote von 30 Prozent ist vergleichbar mit der von embryonalen Stammzellen.
„Tissue Engineering“ – so lautet der medizinische Fachausdruck für diese Methode. Angesichts einer immer älter werdenden Gesellschaft wächst die Bedeutung dieser Technologie: Wer lange lebt, braucht immer mehr Ersatzteile für seinen Körper. Schätzungen zufolge werden im Jahr 2050 zwei Milliarden Menschen älter als 60 Jahre sein, dreimal so viele wie heute. Der große Vorteil dieser Methode ist, dass das verwendete Gewebe vom Körper nicht abgestoßen wird.
Neben menschlichen Stammzellen sorgen übrigens auch Gerüste aus tierischem Kollagen (Strukturprotein des Bindegewebes) für den heilenden Ersatz.
Was alles kann die Stammzell-Therapie?
Aids-Heilung, Organe züchten, nie wieder Epilepsie? Große Hoffnungen ruhen auf den kleinen Stammzellen. Fiktion oder Wirklichkeit?
Wann wachsen unsere Dritten nach?
Noch sind die gezüchteten Zähne weich, und es könnte eine Gefahr der Verschmutzung durch im Urin enthaltene Bakterien bestehen. Die Forscher aus China sind jedoch überzeugt, dass ihren Ergebnissen weitere Studien folgen und zukünftig die vollständige Wiederherstellung eines menschlichen Zahns bzw. des gesamten Zahnapparats möglich sein wird. „Das Tissue Engineering ist auf dem besten Wege, die Zahnmedizin zu revolutionieren. Es wurden hervorragende Fortschritte in der Forschung gemacht, sodass Zähne in vitro, also in einem Reagenzglas, als konventionelles Tissue Engineering, aber auch bereits in vivo – im Kiefer eines Tieres – im Rahmen einer Zahnregeneration gezüchtet werden konnten“, erklärt Dr. Svoboda. Dazu muss man aber sagen, dass diese Versuche bis jetzt nur an Mäusen, Hunden und Schweinen stattfanden und es keine Erfahrungen gibt, ob die Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind. Aber Tissue Engineering wird definitiv in die Zahnmedizin einziehen.
Schätzungsweise wird in zehn bis 20 Jahren der erste biologische Zahn beim Menschen eingesetzt werden, da ist sich Dr. Svoboda ganz sicher.