China rollt langsam aus

“Junge Welt”, 19.04.2013
Exporteinbruch, schwächelnde Absatzmärkte und Schuldenproblem: Wachstumsdynamik des ökonomischen Überfliegers der vergangenen zehn Jahre läßt deutlich nach

Zweistellig war früher. Die Zeiten, in denen Chinas Wirtschaft mit derartigen Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) als globale Konjunkturmaschine fungierte, sind vorbei. Binnen der nächsten Dekade wird die Wirtschaftsleistung eher moderat zulegen – eventuell sogar abrupt gebremst werden. Dies sei keine antichinesische Propaganda, bemerkte die Financial Times in einem Kommentar, sondern »Einschätzung der chinesischen Regierung«. Das britische Wirtschaftsblatt referierte hierbei Prognosen des Entwicklungsforschungszentrums beim Staatsrat der Volksrepublik China (Development Research Center of the State Council). Demnach werde das durschnittliche jährliche Wirtschaftswachstum von den mehr als zehn Prozent, die zwischen 2000 und 2010 erreicht wurden, auf 6,5 Prozent im Zeitraum zwischen 2018 und 2022 fallen.
Jüngste Zahlen untermauern diese Prognose. Der BIP-Anstieg von 7,7 Prozent im ersten Quartal 2013 lag unter dem der meisten Wirtschaftsprognosen. Die waren laut Wall Street Journal im Schnitt von acht Prozent Zuwachs ausgegangen. Dieses Tempo mag für das rezessiongeplagte Europa und viele Staaten der Welt immer noch gewaltig erscheinen, doch im Schwellenland China gilt bereits eine Zunahme von weniger als sieben Prozent als problematisch. Ab diesem Schwellenwert können die gravierenden sozialen und wirtschaftlichen Widersprüche der kapitalistischen Modernisierung im 1,3-Milliarden-Einwohner-Staat kaum noch gebändigt werden. Die Führung in Peking hat in den vergangenen Monaten abermals milliardenschwere Konjunkturprogramme aufgelegt, um diese Wirtschaftsdynamik weiter möglichst hochzuhalten.

Das in den ersten drei Monaten dieses Jahres generierte Wachstum markiert den zweitniedrigsten Wert seit Beginn der Veröffentlichung dieser Quartalsstatistik im Jahre 2004 – den bisherigen Negativrekord verzeichnete China im Krisenjahr 2009. Maßgeblich zur Konjunkturabkühlung hat die Industrie beigetragen. Das verarbeitenden Gewerbes der »Werkstatt der Welt« legte im März nur noch um 8,9 Prozent zu, im Januar und Februar war es noch zweistellig. Auch die Ausweitung der Anlageinvestitionen – die von der chinesischen Führung massiv gefördert werden – ging im März mit einem Plus von 20,9 Prozent gegenüber den ersten beiden Monaten des Jahres (21,2 Prozent) zurück.

Von einer massiven Belebung des unterentwickelten Binnenkonsums kann ebenfalls keine Rede sein. Dabei wird dieser in Sonntagsreden immer wieder als künftige Hauptantriebskraft der Konjunktur im Reich der Mitte bezeichnet. Aber das ist Wunschdenken. Das Konsumwachstum bleibt weiter hinter dem der Industrie und der Investitionstätigkeit zurück. Zwar konnte der Einzelhandel im März mit einem Plus gegenüber dem Vorjahresmonat etwas zulegen, doch gingen dessen Umsatzwachstum im Jahresvergleich um 2,4 Prozent auf 12,4 Zähler zurück. Der Binnenkonsum trägt in China nur rund ein Drittel der Wirtschaftsleistung, während es beispielsweise in den USA mehr als zwei Drittel sind.

»Enttäuschend« nannte die Frankfurter Allgemeine Zeitung diese überraschend deutliche Abkühlung. Diese rege Anteilnahme eines führenden deutschen Medienorgans verwundert kaum: China soll laut Planungen maßgeblicher BRD-Kapitalfunktionäre bis 2023 zum wichtigsten Absatzmarkt aufsteigen. »Wir steuern auf einen Epochenwechsel zu«, bei der die Ausfuhren nach Asien diejenigen nach Europa überflügeln sollen, hatte DIHK-Außenhandelschef Volker Treier bei einer Pressekonferenz Mitte April erklärt. Im vergangenen Jahr lag das Volumen der deutschen Exporte in die Volksrepublik mit 66,5 Milliarden Euro zwar noch weit hinter den Ausfuhren nach Frankreich (104.5 Milliarden), doch laut DIHK-Prognose werden die China-Exporte bis 2023 um 7,5 Prozent jährlich wachsen.

Dabei dürfte nicht zuletzt das deutsche Spardiktat in der Euro-Zone diese Wirtschaftsträumen bald zum Platzen bringen. Die konjunkturelle Bremsung in China wird – wie dargelegt – nicht durch die allseits erträumte Umstellung auf den Binnenkonsum ausgelöst, sondern durch eine Schwäche der Exportwirtschaft, die zunehmend unter der Krise in Europa leidet. Die chinesischen Ausfuhren wuchsen im März um zehn Prozent, im Vergleich zum Vorjahresmonat eine Halbierung. Dieser Bremsvorgang war vor allem dem schwachen Europahandel geschuldet. Chinas Exporte in die EU gingen im März im Jahresvergleich um satte 14 Prozent zurück. Damit verzeichnete die als »Exportweltmeister« geltende Volksrepublik im vergangenen Monat ein Handelsbilanzdefizit von 884 Millionen US-Dollar.

Am Mittwoch reagierte Peking auf diese Negativtrends mit einer Erklärung, in der abermals eine Stützung der Binnenkonsums versprochen wurde: »Der Fokus wird in der nächsten Phase auf eine aktive Expansion der Binnennachfrage liegen«, hieß es in der Kabinettsmitteilung, in der auch eine verstärkte Wachsamkeit gegenüber dem »Risiko lokaler Staatsschulden« versprochen wurde. Die neue Regierung reagierte damit auf die zunehmenden Befürchtungen vor dem Platzen einer Schuldenblase im Lande. Die wurde nicht zuletzt durch die Konjunkturpolitik der Führung befördert. Zuletzt äußerte selbst die Weltbank Zweifel an der »Nachhaltigkeit« des chinesischen Aufschwungs, der durch die Herausbildung eines gigantischen, absolut unregulierten Schattenbanksystems und einer veritable Immobilienblase begleitet wird. Laut Schätzungen der Ratingagentur Fitch stieg die Gesamtverschuldung der chinesischen Volkswirtschaft von 125 Prozent des BIP bei Krisenausbruch 2008 auf 198 Prozent 2012. Es bestehe noch »kein Grund zur Panik«, kommentierte das Wall Street Journal diese sich beschleunigende Verschuldung. Die Vereinigten Staaten hätten am Vorabend der Finanzkrise 2007 eine Gesamtverschuldung von »357 Prozent des BIP« aufgewiesen.


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