Cheyenne – Die Dialektik eines Films

Von Ntropy @ntropy

Foto: Iguana Jo via http://www.flickr.com/photos/iguanajo/2294135866/

Ich hatte große Zweifel, mir den neuen Film Cheyenne anzuschauen, als ich den schlecht geschminkten, als androgynen Ex-Rockstar verkleideten Sean Penn auf den Promo-Bildern sah. Die ersten Minuten des Films haben diese Bedenken bestätigt.

Es ist nicht nur so, dass man sich nicht wirklich an den schlecht geschminkten, als androgynen Ex -Rockstar verkleideten Sean Penn namens Cheyenne gewöhnen kann. Penn, oder vielmehr seine deutsche Synchronstimme, spricht im Film enervierend langsam, was ungefähr so maximal-dämlich klingt wie damals, als Penn „Sam“ in Ich bin Sam spielte. Und auch wenn er diesmal einen Ex-Junkie spielt, dessen kognitive Fähigkeiten unter langjährigen Heroin- und Alkohol-Einfluss gelitten haben, so wirkt das erst mal nur lächerlich. Aber ohne lustig zu sein. Und überhaupt: Warum müssen Depressive in Filmen eigentlich so oft dargestellt werden wie Schlafmützen auf Heroin? Und warum lachen die Menschen im Kino auch noch darüber?

Wenn man sich dann endlich daran gewöhnt hat, dass die Menschen im Kino es wirklich lustig finden, wenn schlecht geschminkte, als androgyne Ex -Rockstars verkleidete Sean Penns seeeeehr langsam sprechen, wird der Blick endlich frei für die Qualitäten des Films: Bewusstseinserweiternde Bilder, panorama-artige Kamera-Einstellungen, die an die poetische Bildsprache von Jim Jarmusch erinnern und wortkarge, aber effektive Dialoge.

Und eigentlich handelt der Film nicht wirklich vom tristen Leben eines reichen Musikers, der in seiner Villa zwischen Tiefkühl-Pizza und Modezeitschriften dahin vegetiert. Nicht nur.

Das ist Cheyenne, haha...(Bild via his_must_be_the_place)

Denn ab dem zweiten Drittel des Films schält sich langsam eine zweite, viel interessantere Story heraus. Cheyenne erfährt auf der Beerdigung seines Vaters, mit dem er 30 Jahre nicht gesprochen hat (wie originell), dass er sein gesamtes Leben von einem Gedanken besessen war. Dem Wunsch nach Rache. An einem KZ-Aufseher, der ihm in Auschwitz während des 2. Weltkrieges regelmäßig demütigte. Und so entwickelt sich der Film zu einer Reflektion über den Holocaust und die tonnenschwere Last von Erinnerungen. Auch wenn diese plötzliche Wendung zunächst höchst konstruiert erscheint, zieht der Film einen spätestens hier in seinen Bann.

Der desillusionierte und seit langem tatenlose Cheyenne wittert die Chance, seinem Leben endlich wieder einen „Sinn“ zu geben und beschließt, dem unerreichten Ziel seines Vaters nachzugehen. Er begibt sich auf die Suche nach dem deutschen Ex-Nazi, der jetzt irgendwo auf dem Land in den USA lebt. Der Film nimmt Fahrt auf und verwandelt sich zu einem Road Movie: Cheyenne fährt mit einem proletigen Pick-Up durch die verlassenen Straßen, vorbei an endlosen Wüstenlandschaften und begegnet dabei höchst seltsamen Durchschnitts-Amerikanern, die ihre Suche nach dem amerikanischen Traum aufgegeben und durch ein Leben am Limit trostloser Langeweile eingetauscht haben. Die Dialoge sind dabei alle zitatreif. Jim Jarmusch zum zweiten.

Am Beeindruckendsten ist, dass der Film das Sujet der Vergangenheitsbewältigung traumatisierender Ereignisse wie den Holocaust scheinbar nebenbei verarbeitet. Ohne sich pathetisch aufzudrängen wird die Verzweiflung der KZ-Gefangenen durch knappe Aussagen  illustriert: „Es gibt viele Arten zu sterben, der schlimmste ist, weiter zu leben“, hört man aus dem Testament des Vaters. Die Opfer-Perspektive wird mit derjenigen der Täter kontrastiert, als der endlich gefundene Exil-Deutsche mit seinen, lange zurückliegenden Taten konfrontiert wird: „Wenn man uns gestattet zu Monstern zu werden, haben wir nur noch ein Bedürfnis, nämlich wirkliche Monster zu sein.“

Dies bringt die komplexe Sozialpsychologie der Holocaust-Verantwortlichen genauso schockierend wie prägnant auf den Punkt bringt. Und es fasst, wenn auch verkürzt, die Ideen zeitgenössischer Soziologen wie Zygmunt Baumann zusammen, der in Dialektik der Ordnung die Möglichkeit radikaler  Unmenschlichkeit des Holocaust u.a. darin begründet sieht, dass die meisten Nazis sich hinter Befehlen „versteckten“. Ein „Monster“ zu sein, wurde durch einen höchst effizienten Bürokratie-Apparat ermöglicht.

Und so zeigt uns der Film auch, entschuldigt die Banalität, dass es uns heute, in Zeiten reizüberflutenden Luxus, Burn-Outs und Sozialdepressionen eigentlich allen viel besser gehen müsste. Und dass es wichtigeres gibt, als sich über schlecht geschminkte, als androgyne Ex -Rockstars verkleidete Sean Penns zu ärgern. Nämlich ein waches Bewusstsein dafür zu haben, dass unsere Vergangenheit auf einem beängstigend hohen und fragilen Berg errichtet ist. Ein Berg aus Ideologien, Macht und Gewalt. Entstanden aus einer Masse schweigender Zombies. Die Hoffnung stirbt nicht zuletzt.

Text: Phire