Kunststoff erblickte 1907 als Bakelit, benannt nach Forscher Leo Baekeland, nach vielen Versuchen das Licht der Welt. Jahrzentelang gab es Bestrebungen Phenol (aus Kohle gewonnen) und Formaldehyd (aus Holz gewonnen) zu vereinen. Leo Baekeland versuchte diese Vereinigung, nicht wie alle anderen Chemiker zuvor, mit Säuren, sondern mit Laugen und arbeitete mit höheren Temperaturen, als seine Vorgänger. Elektroingenieure schenkten der neuen Entdeckung sogleich Beachtung und verwendeten den Kunststoff für Gehäuse von elektrischen Geräten, wie dem Radio und Telefon. Darauf folgte Geschirr aus Kunststoff (Urea Formaldehyd), auch die Erfindung der Tupperware in den 50er Jahren, war auf Grund der seit den 40er Jahren existierenden Herstellungsverfahren für Polyethylen möglich. Nach und nach wurden Verpackungen aus Plastik eingeführt. Das Verpacken von Lebensmitteln mittels Kunststoff ermöglichte Supermarktketten nach dem Selbstbedienungsprinzip. Die Verpackungen ermöglichten ferner weniger Personal, längere Haltbarkeit, höhere Transportsicherheit für den Inhalt und jeder Hersteller hatte die Möglichkeit, über die Verpackung seinem Produkt einen Namen zu geben bzw. zu branden und sich damit von Mitbewerbern abzuheben. In den 60er Jahre erscheint die Polyethylenterephthalat-Flasche auf der Bildfläche – heute PET Flasche genannt – und die Verdrängung der Glasflaschen beginnt (vgl. Pretting/Boote 2010, S. 8-24).
Ende der 20er Jahre engagierte Du Pont den Chemiker Carothers und stellte ihm ein großes Budget für das Erforschen neuer Materialien zur Verfügung. Insbesondere das neue Forschungsgebiet der Polymerisation versprach interessante Möglichkeiten der Innovation. Carother konnte synthetischen Gummi, der später als Neopren bekannt wurde, entwickeln. Danach konzentrierte er sich weiter auf die molekularen Strukturen von Seide und versuchte diese Molekülketten nach zu bauen. Aus erstarrter Polyestermasse, die erhitzt wurde, ließen sich Fäden ziehen. Fäden, die sich nicht abreißen ließen, sondern eine enorme Dehnbarkeit aufwiesen. Das dünne, stark belastbare Material versprach vielfältige Einsatzmöglichkeiten. 1935 wurde mit einem Gemisch aus der Monomere Adipinsäure und Hexamethylendiamin erstmals Nylon hergestellt (vgl. ebd., S. 32-34).
Als Paul Schlack, Inhaber des I.G. Farben Chemieunternehmens in Deutschland, von den Aktivitäten der Amerikaner und dem Nylon erfuhr, intensivierte er die Forschung in seinem Unternehmen, um ebenfalls eine derartige Polyamidfaser erzeugen zu können. Dabei musste er einen neuen Weg finden, da Nylon durch das internationale Patentrecht geschützt war. Er schaffte die Herstellung mit einem Verfahren, aus dem sich aus der chemischen Verbindung Caprolactam, Perlon herstellen ließ (vgl. ebd.,
S. 34-35).
Nach dem zweiten Weltkrieg kamen die „zärtlichen Strümpfe“ auch nach Westeuropa. Erst als Luxusartikel und heiß begehrte Tauschware auf dem Schwarzmarkt, dann, etwas später, ab den 50er Jahren erobern sie ganz offiziell den Massenmarkt (vgl. ebd., S.27-32). Auch Perlon und die ganzen verwandten synthetischen Fasern breiteten sich sehr schnell aus. Die Kleider der 50er Jahre sind aus Chemiefaserorganza, Nylon-Gewebe, Chemiefasersamt oder Nylonkrepp. Propagiert wurde die Pflegeleichtigkeit und vor allem zog der Preis. Die Kleidungsstücke wurden so erschwinglich, das Flickarbeiten sich kaum mehr rentierten. Bis heute ist die synthetische Faser im Vergleich zur Naturfaser günstiger zu produzieren. Die chemische Bearbeitung von Rohöl ist weniger aufwändig, als der Anbau von Baumwolle auf Plantagen oder die Wollgewinnung über das Halten von Schafherden. Auf Nylonstrümpfe und Polyesterhemden folgten Strickpullover aus Polyacryl, Lurexkleider sowie Microfaserunterwäsche (vgl. ebd.,
S. 36-37).
Problematisch bei synthetischen Fasern bzw. generell bei Kunststoff: die Auswirkungen auf den menschlichen Hormonhaushalt sind kaum erforscht. Manche Forscher sprechen davon, dass sich die Menschen, seit Verwendung des Kunststoffes allesamt ungewollt in einem Riesen-Experiment befinden. Die Forscherin Ana Soto und ihr Kollege Carlos Sonnenschein forschten Ende der 80er Jahre nach der Ursache für Brustkrebs und entdeckten, dass einige der verwendeten Plastikröhrchen im Labor, eine starke Vermehrung der Krebszellen verursachten. Seit 1989 gilt p-Nonylphenol – besser bekannt als PVC – als krebserregend. Auch Polycarbona, welches Bisphenol A enthält, stört den Hormonhaushalt. Polycarbonat wird u.a. auch für Laborflaschen und Trinkwasserkanister verwendet. (vgl. ebd., S.105). Obwohl Forscher auf die Risiken hinweisen, gilt beispielsweise Bisphenol A offiziell als sicherer Stoff. Biosphenol gehört zur Gruppe der Xenobiotika. D.s. Stoffe, die dem biologischen Stoffkreislauf eines Organismus fremd sind und das menschliche Hormonsystem (auch das von Tieren) aus dem Gleichgewicht bringen können. Zu Xenobiotika gehören auch synthetisch hergestellte Farbstoffe, Pestizide und chlorierte Lösungsmittel. Auch Phtalate (Weichmacher) gehören dazu. Insgesamt gibt es 100.000 derartiger xenobiotischer Substanzen, die sich aktuell weltweit im Einsatz befinden. Forschungsergebnisse, die eine Unbedenklichkeit dieser Substanzen bescheinigen, sind oftmals von Chemiekonzernen wie Bayer und BASF bezahlt. Unabhängige Studien, die auf die Gefährlichkeit dieser Substanzen aufmerksam machen, bleiben oft unberücksichtigt. Auch die Festlegung von Grenzwerten (u.a. auch durch den Öko-Tex[1] Standard) ist eine relative Angelegenheit, welche nie eine 100% Sicherheit für die Gesundheit bieten. Auch die Zeitschrift Öko-Test warnt schon seit 1999 vor den Gefahren der Weichmacher. Jährlich werden weltweit ca. fünf Mio. Tonnen Phthalat-Weichmacher hergestellt. Gefährlich bei den Weichmachern ist, dass sie nicht an den Kunststoff gebunden sind, sondern durch das Fett in der Haut, Schweiß oder Speichel gelöst werden können und so in den Körper gelangen. Neurobiologe Frederick vom Saal ist einer der größten Skeptiker in Zusammenhang mit Plastik: „Wir können zum jetzigen Zeitpunkt nicht behaupten, dass es irgendeine Form von sicherem Plastik gibt.“ (vgl. ebd., S.121-128).
Am 1. Juli 2007 trat die EU-Verordnung REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) in Kraft. Einer großen Anzahl an Umweltschützern und Medizinern geht diese Verordnung nicht weit genug. Heute sind ca. 20 Mio. chemische Verbindungen bekannt. Ca. 100.000 befinden sich in Verwendung und gehören geprüft. Nur ist es so, dass nahezu alle der rund 100.000 Verbindungen als Altstoffe gelten, d. h. sie kamen erstmals vor 1981 zum Einsatz. Es gibt nur 3.500 Neustoffe seit 1981, worüber mehr Daten existieren, als über die Altstoffe. Auf den Punkt gebracht: Chemikalien werden wie selbstverständlich eingesetzt, obwohl zu wenig Wissen über deren Auswirkungen existiert.
REACH setzt auf die Eigenverantwortung der Industrie. Für chemische Stoffe müssen nun Daten geliefert werden, ansonsten dürfen sie nicht in Umlauf gebracht werden. Alle Unternehmen, die in der EU Chemikalien verwenden, herstellen, damit handeln oder sie einführen, müssen in Form von Sicherheitsdatenblättern darlegen, ob und in welchem Ausmaß die Stoffe, Zubereitungen und Erzeugnisse die Gesundheit der WeiterverarbeiterInnen und EndverbraucherInnen, oder die Umwelt belasten können. Ab 1. Juli 2018 soll es möglich sein, diese Daten an alle Abnehmer und nachgeschalteten Anwender in der gesamten Lieferkette weiter zu geben. Kritisch zu betrachten ist die Regelung, da dies nur für Unternehmen gilt, die mehr als eine Tonne der betreffenden Chemikalie pro Jahr produziert oder importiert. Außerdem erfolgt die Risikoabschätzung sehr langsam. In den letzten 10 Jahren wurde eine Gefahrenanalyse für 11 Substanzen durchgeführt. Greenpeace forderte eine Überprüfung aller 100.000 Wirkstoffe bis 2018. Festgelegt wurden, auch dank der agressiven Chemielobby, die Überprüfung von 30.000 Chemikalien. Auf Druck der Industrie (Bagatellisierung, drohender Arbeitsplatzverlust, Deindustrialisierung Europas – REACH würde allein in Deutschland 2,35 Mio. Arbeitsplätze vernichten, usw.) wurden bei 10.000 davon die Testanforderungen beträchtlich gesenkt (vgl. ebd., S. 170-174).
Ebenfalls bedenklich: Mit der Kunststoffära begann auch die Einwegverpackungsära. War es zuvor für die Menschen selbstverständlich, die Dinge mehr als einmal zu verwenden, wurden die KonsumentInnen nach und nach von der Entbehrlichkeit des Materials durch die Industrie „überzeugt“. Nach wenigen Jahren stellte der Plastikmüllberg bereits ein großes Problem dar und bereits in den 60er Jahren machten Umweltschützer auf die schwer abbaubare Plastikflut aufmerksam (vgl. ebd., S. 8-24).
[1] Der Standard Öko-Tex 100 kennzeichnet für den Verbraucher ungiftige Textilien. (vgl. Busse 2006, S. 37). Das Siegel wurde 1992 von der Internationalen Öko-Tex Gemeinschaft und unabhängigen Prüfinstituten ins Leben gerufen. Die Überprüfung beinhaltet Grenzwerte schädlicher Stoffe im Endprodukt. Die ökologischen und sozialen Bedingungen in der Herstellungskette werden von diesem Siegeln nicht berücksichtigt. Getestet wird auf den PH-Wert, Formaldehyd, abbaubare Schwermetalle, Arseik, Blei, Kadmium, Chrom, Kobalt, Kupfer, Nickel, Quecksilber, Pestizide, Pentachlorphenol, Farbstoffe (krebserregende, allergieauslösende) (vgl. Switcher 2010a). Der neue Standard Öko-Tex 1000 kann für eine umweltverträgliche Produktion beantragt werden. Lt. Greenpeace enthält dieser Standard jedoch noch zu viele Lücken und suggeriert Bio-Baumwolle und Naturfarben, was nicht der Wahrheit entspricht (vgl. Busse 2006, S. 37).