Jamaika ist Geschichte und hat nicht funktioniert. Wir wollen nicht den verpassten Notwendigkeiten und Chancen nachtrauern, sondern wir wollen schauen, was die Zukunft bringt.
Zunächst hatten alle die FDP verantwortlich gemacht, die um Mitternacht von Sonntag auf Montag die Gespräche kurz vor einer Einigung abgebrochen hatte. Doch nach wenigen Stunden meldete sich der CDU-Rechtsaußen Jens Spahn und gab den Grünen die Schuld. „Allein mit der FDP hätten wir binnen zwei Wochen eine neue Regierung gehabt“, sagte er im ZDF. Das und die Tatsache, dass Christian Lindner schon eine Pressemitteilung zum Verhandlungsabbruch verbreiten ließ, als er noch mit den anderen Unterhändlern zusammensaß, zeigt deutlich, was für ein verantwortungsloser Machtpoker diese Gespräche waren. Die einzig wichtige Frage lautet nun: Wie geht es weiter?
Alle parteien müssen sich nun neu aufstellen. Drei Szenarien sind derzeit denkbar: Entweder es kommt zu einer Neuauflage der großen Koalition. Das ist äußerst unwahrscheinlich, denn die SPD lehnt die Regierungsbeteiligung derzeit kategorisch ab. Einzige Ausnahme könnte sein, wenn Kanzlerin Angela Merkel auf ihr Amt verzichtet, dann entstünde eine völlig neue Situation. Allerdings werden dann vermutlich die rechtsgerichteten Unionspolitiker unter Jens Spahn ans Ruder kommen, um in der CDU einen Neuanfang zu wagen. Auch in der CSU sind die tage von Horst Seehofer wohl gezählt. Spahn würde vermutlich nicht mit der SPD koalieren wollen. Daher ist die Neuauflage der großen Koalition eher unwahrscheinlich.
Dasselbe gilt für eine Minderheitsregierung. Das deutsche System kennt dieses Konstrukt kaum, eine unsichere Mehrheit im parlament, ja überhaupt ein starkes Parlament, ist für die führenden Politiker eher ein Greuel. Und bei einer Minderheitsregierung wäre Durchregieren keine Option.
Bleibt also die Möglichkeit der Neuwahlen. Dafür müsste zuerst eine Kanzlerwahl erfolgen. Bundespräsident Steinmeier müsste dem Bundestag Angela Merkel vorschlagen, die vermutlich nicht gewählt werden würde. Nach 14 Tagen wäre schon derjenige gewählt, der nur eine relative Mehrheit erhält, also einfach die meisten Stimmen. Dann liegt es am Bundespräsidenten, ob er diese Person zum Kanzler oder zur Kanzlerin ernennt, oder ob er den Bundestag auflöst, dann müssten binnen 60 Tagen Neuwahlen erfolgen. Theoretisch könnte man also am 21. November den ersten Wahlgang durchführen, am 6. Dezember den letzten, dann könnte der Bundespräsident einen Tag später den Bundestag auflösen und für den 4. Februar 2018 Neuwahlen ansetzen. Vermutlich wird es aber nicht so schnell gehen, sondern sich weit bis ins nächste Frühjahr ziehen.
Denn Neuwahlen halten für viele parteien unkalkulierbare Risiken bereit. In Deutschland geht nämlich die Angst um, die Angst vor Machtverlust und einer wütenden, unberechenbaren Bevölkerung, die unbedingt rechts wählen will. Darum versuchen alle wichtigen Parteien, sich gegenseitig rechts zu überholen. Gleichzeitig herrscht große Unzufriedenheit mit dem bisherigen Personal. So ist der Verhandlungsabbruch ein Erdbeben mit unvorhersehbaren Konsequenzen. Es gibt nur zwei parteien, die einer Wahl gelassen entgegengehen können: Die FDP, die sich ihren Wählern als prinzipienfest verkaufen kann, und die AFD, die gegen das Polittheater in berlin hetzen kann. Die SPD ist kopf-, führungs- und ideenlos und wird die Schuld für das Ende einer stabilen Regierung auf sich nehmen müssen, wie sie vorher die Schuld für die unpopulären Maßnahmen der alten Regierung auf sich nehmen musste. Die Grünen wollen sich unbedingt ein liberales Bild geben und suchen ihren Platz, die Linkspartei fischt auch mit ihrer verhaltenen Hetze gegen Flüchtlinge am rechten Rand. Alles ist jetzt auf rechts ausgerichtet, linke Alternativen sind endgültig nicht mehr vorhanden, eine Utopie für die Zukunft gibt es derzeit nicht in Deutschland.
Die parteien gehen teilweise mit neuem Personal in eine ungewisse Zeit, vielleicht sogar in einen Wahlkampf. Die FDP hat im Machtpoker zunächst einen Sieg errungen, denn sie wird neben der AFD vermutlich am meisten profitieren. Dass dabei die Regierbarkeit des Landes auf dem Spiel steht, kümmert den Ego-Shooter Christian Lindner wenig. Und damit sind wir wider am anfang. Wenn das Scheitern der Jamaika-Verhandlungen ein sogenannter kluger Schachzug der FDP gewesen sein sollte, trägt sie die Schuld für die möglichen Konsequenzen. Dumm nur, dass es in solchen Fällen niemanden mehr gibt, der die Verantwortlichen zur Rechenschaft zieht.