Chaos gibt Sicherheit

Erstellt am 3. August 2012 von Lupocattivo

Der Reichtum der Golfmonarchien.

Der Katar und Saudi-Arabien gewährleisten die eigene Sicherheit, indem sie die Strategie des „gesteuerten Chaos“ gegen ihre Nachbarn anwenden. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass das Chaos außer Kontrolle gerät und die Lager der Strategen heimsucht.

Quelle einschl. Fotos & deren Herkunftsnachweise: expert.ru - gefunden bei apxwn

Für den „Arabischen Frühling“, welcher Umordnungsprozesse im gesamten Nahen Osten angeworfen hat, gibt es objektive Ursachen. Das sind die Bruchlinien, die im Nahen Osten nach dem Abzug der Kolonialmächte geblieben sind, die Trägheit der Regimes, welche wenig zur Glättung der bestehenden Widersprüche unternommen haben, der Zerfall der bipolaren Weltordnung und schließlich die weltweite Krise.

Allerdings hat die Situation erst durch einen recht subjektiven Faktor das gegenwärtige Ausmaß erreicht – am Anheizen des „Arabischen Frühlings“ sind jeweils auswärtige Mächte interessiert. In erster Linie kommen als solche hier europäische Länder in Betracht, allerdings gehen die kräftigsten Stimuli der Ereignisse im Nahen Osten von den beiden Führungsmächten im Golf-Kooperationsrat (GCC), den reichen wahhabitischen Monarchien Saudi-Arabien und Katar, aus.

Es gibt die weit verbreitete und sicher in vielerlei Hinsicht gerechtfertigte Meinung, diese Staaten seien Satelliten der Vereinigten Staaten von Amerika und letztlich nichts als willenlose Marionetten, die den Willen ihrer Herren umsetzen. Allerdings ist das nur teilweise wahr und es wäre ein Fehler, die Lage dieser beiden Staaten nur im Lichte eines Untertanenverhältnisses gegenüber den USA zu sehen. Nachdem sie in den 1970er Jahre ein wirksames Druckmittel in Form eines entscheidenden Einflusses auf den Preis für Öl und Gas bekamen, haben sie dieses Instrument auch in ein finanzielles umgewandelt. Die enormen Geldströme haben es ihnen gestattet, ihre innere soziale Situation wesentlich zu verbessern; die Scheichs, Emire und Prinzen sind alle durch das Symptom von Neureichen hindurch – noch gestern litten sie ein ärmliches Dasein, und nachdem sie Zugang zu allen denkbaren und undenkbaren Luxusgütern bekommen haben, gingen sie ernsthaft daran, Politik zu treiben.

Allerdings sind die anderen Mitgliedsstaaten des GCC – Bahrain, Oman, Kuwait und die VAE – durchaus nicht von den politischen Ambitionen ihrer Nachbarn begeistert, da sie die ihnen drohende Gefahr naturgemäß besser spüren. Das vom Katar und Saudi-Arabien gespeiste Feuer des „Arabischen Frühlings“ hat den Bahrain bereits erreicht, die anderen werden als nächste in dessen Genuss kommen. Dabei können Oman, Kuwait und die VAE den Emir des Katar und den saudischen König natürlich nicht veranlassen, das Projekt dieses „Frühlings“ einzustellen, da ihre Lage die einer vollkommenen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Abhängigkeit gegenüber den Genannten ist.

Saudi-Arabien: teilen und abmurksen

Aus völlig objektiven Gründen ist Saudi-Arabien nicht dazu in der Lage, im Rahmen des üblichen Wirtschaftsmodells mit dem Iran oder auch nur mit Ägypten zu konkurrieren. Sicher, Riad investiert seit der Herrschaft des vorigen Königs Fahd, besonders aber unter der Herrschaft des derzeitigen Königs Abdallah gigantische Summen in seine eigene Infrastruktur. Allerdings waren das, genauer betrachtet, Investitionen ins Nichts. Das harsche Klima, welches nur kleine Bereiche des großen Staatsgebiets bewohnbar und für Wirtschaftstätigkeit zugänglich macht, das Fehlen von qualifiziertem Personal, der chronische Wassermangel sowie der Mangel an übrigen natürlichen Rohstoffen schufen und schaffen kolossale Schwierigkeiten beim Aufbau einer entwickelten und diversifizierten Industrie. Am Transit kann man auch nicht allzu viel verdienen, denn die Haupthandelsrouten liegen zwar in der Region, gehen aber alle an Saudi-Arabien vorbei. Das Land kann letztlich nur durch den Haddsch und durch sein Öl an Mittel kommen.

Das Fehlen einer soliden industriellen und wirtschaftlichen Basis schadet nicht nur der Wirtschaft, sondern auch der Verteidigungspolitik des Landes und macht es gegenüber dem Iran sehr verwundbar. Schon allein deshalb, weil Saudi-Arabien keine eigene Rüstungsindustrie hat – seine militärische Macht stützt sich einzig auf im Ausland eingekaufte Waffen und Militärtechnik.

Unter solchen Bedingungen trifft die saudische Führung die auf den ersten Blick gerechtfertigte und begründete Entscheidung, eine Neuordnung in der gesamten Nahost-Region unter Zuhilfenahme der Strategie des „gelenkten Chaos“ zu unternehmen. Gemäß dieser Strategie werden im Zuge der Umgestaltung alle schon vorhandenen und bislang noch verdeckten Bruchlinien in der Region aktiviert, das auf den Ruinen der vergangenen Zeit eingetretene Chaos wird so lange wie möglich aufrechterhalten, indem man zu jedem Zeitpunkt die Schwächsten gegen die Stärkeren unterstützt. In Riad ist man der Meinung, dass das „gelenkte Chaos“ im Endeffekt den Todfeind der Saudis – die Islamische Republik Iran – vernichten kann. Allerdings scheinen sie nicht zu sehen, dass sie sich ihr eigenes Grab schaufeln.

König Abdallah von Saudi-Arabien.

Foto: Abbas / Magnum Photos / Agency.Photographer.Ru

Die Sache ist nämlich, dass es genügend solcher Bruchlinien auch in Saudi-Arabien gibt. Der Gründer des „Königreichs der beiden Heiligtümer“ Abd al-Aziz ibn Saud sammelte die historisch bis dato voneinander unabhängigen Bereiche der Arabischen Halbinsel – Nadschd, Hedschas und asch-Scharqiyya, die östlichen Provinzen, unter seiner starken Hand und führte einen andauernden und schweren Kampf mit dem Jemen um die Grenzprovinzen Asir, Dschaizan und Nadschran. Die Eroberung von Mekka und Medina erforderte einen Krieg mit den Haschimiten, deren Nachkommen 700 Jahre lang die Scherifen von Mekka waren. Da die Eliten dieser Bezirke bis heute nicht der Meinung sind, dass sie zu einem einheitlichen Staat gehören, bildet jedes der Stücke vom saudischen Mosaik – mit Ausnahme der Ursprungsregion der saudischen Dynastie Nadschd – gegenüber den Nachbarprovinzen eine solche Bruchlinie. Die größte Gefahr stellen natürlich die von Schiiten bewohnten ölreichen Gebiete des Landes dar. Die auf allerlei Weise unterdrückten Schiiten begehren dann und wann, aber regelmäßig auf und fordern mal Gleichberechtigung, mal Unabhängigkeit.

Bisher sind diese Bruchlinien einzig aus dem Grund nicht zum Tragen gekommen, dass die Dynastie der Saud das Königreich zentralisiert mit eiserner Faust beherrscht. Ein Problem zeichnet sich aber bereits jetzt ab: in gar nicht so langer Zeit wird dieses System mit Sicherheit erschüttert werden, die Dynastie wird sich ihren inneren Konflikten zwischen verschiedenen ihrer Gruppierungen widmen müssen.

Der Kern des Problems besteht in einer recht ungünstigen Thronfolge: das Erbe geht nicht vom Vater auf den Sohn über, sondern von einem Sohn des Begründers des Königreichs auf einen anderen seiner Söhne. Aus rein biologischen Gründen ist diese “Reservebank” inzwischen fast leer – die gesamte zweite Generation geht nach und nach ins Jenseits. Der derzeitige König Abdallah ist 89 Jahre alt, sein Nachfolger, Kronprinz Salman ist 76. Unter solchen Voraussetzungen wäre es sinnvoll, eine neue Vorschrift über die Thronfolge zu definieren, aber der König ist schwerkrank, der Kronprinz ist wahrscheinlich von sich aus nicht in der Lage, einen solch verantwortungsvollen Schritt zu unternehmen (im Gegensatz zu dem vor Kurzem verstorbenen Kronprinz Naif hat es den Anschein, dass Salman charakterlich schwach ist und weder die Autorität noch die Tatkraft zu solchen Eingriffen besitzt). Denn eine solche Entscheidung bedürfte eines Konsens innerhalb der gesamten herrschenden Saud-Dynastie – und dabei zählt bereits die dritte Generation fast 300 Prinzen, deren Kinder und Enkel sind es um die 10 Tausend. Unter solchen Myriaden potentieller Thronfolger finden sich immer Unzufriedene, die es einfach in Kauf nehmen, das Land zerfallen zu lassen und sich oder ihrem dabei Clan ein möglichst ölreiches Stück davon sichern wollen.

Katar: Der kleine Gigant im großen Osten

Die Situation im Katar stimmt in einiger Hinsicht mit der in Saudi-Arabien überein. Das selbe unerträgliche Klima, die gleichen kargen Ressourcen, eine zahlenmäßig unbedeutende Bevölkerung, dazu noch gehört dem Katar flächenmäßig ein sehr kleiner Fetzen Land, auf dem es schon rein physisch unmöglich ist, ein sinnvolles industrielles Potential aufzubauen. Allerdings hat das Emirat einen alternativen Entwicklungsweg für sich entdeckt, der allem Anschein nach effektiver ist als der seines südlichen Nachbarn.

Der Emir des Katar, Hamad bin Chalifa Al Thani.

Foto: East News

Die Überlebensstrategie des Katars ist in mehreren Richtungen angelegt, und auch sie erfordert die Aufrechterhaltung eines “gesteuerten Chaos”. Erstens investiert der Katar geradezu phantastische Mittel in die Schaffung von Infrastrukturobjekten und zielt damit darauf ab, zur größten Verkehrsdrehscheibe der gesamten Region zu werden. Zum Ende des Jahres 2012 wird es im Emirat einen neuen Flughafen geben, der bis zu 24 Millionen Passagiere pro Jahr abfertigen kann – das wäre das Zwölffache der Bevölkerung des Landes. Doch damit nicht genug – bis 2015 soll dieser Flughafen bereits wieder erweitert sein und seine Kapazität verdoppelt haben. Gleichzeitig werden in Hafennähe drei neue Eisenbahnterminals gebaut. Dieses Projekt soll 2016 zum Abschluss kommen. Um diese Kapazitäten auszulasten, muss der Katar eine Menge an Kunden vom größten Hafen im Persischen Golf, Basra, an seine Küsten ziehen. Das ist einer der Nebengründe dafür, dass der Katar um eine Destabilisierung der Lage in Syrien bemüht ist – fällt das Regime Assad, kann es durchaus zu einem größeren Krieg in der Region kommen.

Zweitens rechnet der Katar mit dem größten Erdgasvorkommen der Region – das Erdgasfeld North- und South Pars. Derzeit besitzt das Emirat das Vorkommen gemeinsam mit dem Iran und geht offensichtlich davon aus, dass die Klärung der Frage des iranischen Atomprogramms dazu führt, den Katar als alleinigen Herren des Vorkommens zu etablieren. Das Emirat bereitet nämlich indes bereits dessen intensive Ausbeutung vor; insbesondere ist geplant, die ohnehin schon Respekt einflößende Flüssiggas-Tankerflotte ungefähr zu verdoppeln. Die neuen Frachter sind in südkoreanischen Werften bereits in Auftrag gegeben und sollen 2014 vom Stapel laufen – passend zum Beginn der Ausbeutung des South-Pars-Erdgasvorkommens.

Mozah, Flüssiggastanker der Q-Max-Klasse (Katar).

Erdgas braucht aber Abnehmer, und dazu verfolgt der Katar eine äußerst aggressive Politik beim Erschließen der wichtigsten Märkte der Welt, in erster Linie des europäischen Marktes. Es werden Regasifikationsterminals nahe der deutsch-polnischen Grenze, in England und in Südeuropa gebaut. Einer der natürlichen Konkurrenten des Katar, Libyen, ist infolge des “Arabischen Frühlings” im Kampf um den europäischen Markt bereits gefallen. Der nächste dieser natürlichen Konkurrenten harrt seiner Reihe – das wäre Algerien.

Um seine Positionen im Nahen Osten zu festigen und die führenden Länder der Region, die seinen Plänen in die Quere kommen könnten, auszuschalten, sponsert der Katar jeweils lokale Islamisten. Doch während Saudi-Arabien sich bei dieser Taktik auf radikale Organisationen salafitischer Ausrichtung stützt, finanziert der Katar die eher moderaten Strömungen, speziell die Moslembrüder. Es genügt fast festzustellen, dass einer der herausragenden Ideologen dieser Bewegung, Jussef al-Karadawi, in Doha lebt und vollauf vom Katar unterstützt oder gar kontrolliert wird. Daneben wird die Ressource Information aktiv genutzt – im Unterschied zu den erzkonservativen Saud haben die katarischen Al Thani das Spektrum an Möglichkeiten verstanden, welches ihnen durch die Kontrolle über die Vierte Gewalt in die Hände gegeben ist. Und so hat Hamad Al Thani schon im zweiten Jahr nach seiner Machtübernahme das Projekt “Al-Dschasira” ins Leben gerufen – den ersten arabischen Satellitenkanal, dessen Kern aus ehemaligen Mitarbeitern der arabischen Abteilung des BBC besteht. Die Professionalität und der recht investigative Journalismus von Al-Dschasira gewannen recht schnell Anerkennung unter den Völkern der gesamten Region. Die Kombination aus Nachrichten in arabischer Sprache und westlichen Journalismusstandards, die Beleuchtung verschiedener Standpunkte (religiöser, weltlicher, selbst israelischer) führte zum Status von Al-Dschasira als unbestreitbare Autorität in der arabischen Welt. Und das gesamte Gewicht dieser Autorität wurde nun dazu eingesetzt, den “Arabischen Frühling” anzuheizen. Nicht ohne Grund sagt man in Ägypten halb im Scherz, halb im Ernst: Nasser wurde durch Gift, Sadat durch eine Kugel und Mubarak durch Al-Dschasira entmachtet.

Durch das Entfachen des “Arabischen Frühlings” riskiert der Katar aber nicht minder als Saudi-Arabien. Der Katar besitzt keine strategisch wichtige territoriale Größe oder Tiefe. All seine Reichtümer, also die Öl- und Gasterminals, befinden sich auf einem kleinen Fetzen Festland in gefährlicher Nähe zum Iran. Außerdem befindet sich ausgerechnet auf diesem Landfetzen der größte Militärstützpunkt der US-amerikanischen Luftstreitkräfte in Übersee – Al-Udeid, der im Falle einer Gewaltlösung des iranischen “Atomproblems” für einen iranischen Gegenangriff zu einem Ziel mit höchster Priorität würde. Um das katarische Gasparadies in den Zustand eines leblosen Stücks Wüste zurückzuverwandeln, reichen ein paar Raketen.

Oman: Der Sultan hängt hinterher

Während Saudi-Arabien und Katar versuchen, ihre Fahnen nach dem Wind der Umwälzungen im Nahen Osten hängen (und dabei hoffen, dass ihnen ihre Fahnen dabei nicht zerreißen), so suchen sich Oman, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate eher Schutz davor.

Qabus ibn Said, Sultan des Oman. Foto: East News

Für den Oman hat der “Arabische Frühling” zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt begonnen. Gerade eben erst begannen im Land Prozesse in Richtung eines Übergangs zu einem normalen, effektiven Staat. In seiner gesamten Geschichte wurde der Oman ständig durch Stammesfehden, Kriege und Zusammenstöße erschüttert, wobei die höchste Autorität des Sultans in vielerlei Hinsicht nur nominell war. Wie viele seiner Zeitgenossen bekam Sultan Qabus ibn Said Al Said bei seiner Thronbesteigung im Jahre 1970 ein Erbe, um das man ihn nicht beneiden konnte: territoriale Streitigkeiten mit den Nachbarn, eine schwierige sozialökonomische Situation bis hin zu offener Rebellion einiger Provinzen. Eine davon, Dhofar, befand sich fast vollständig in der Hand der linksgerichteten Rebellenbewegung, die substantielle Unterstützung aus Südjemen erhielt. Hilfe konnte der Oman damals weder von schiitischen, noch von sunnitischen Staaten der Region erwarten (teils deshalb, weil ein bedeutender Teil seiner Bevölkerung Ibaditen, also Angehörige einer anderen islamischen Glaubensrichtung ist).

Der zum Zeitpunkt der Inthronisation erst knapp 30-jährige Qabus hat ohne zu zögern Reformen in den Richtungen angestoßen, die eine Einheit des Landes gewährleisten und dabei keinen einzelnen Clan und keine Gruppe außen vor lassen würden. Sein Verdienst ist unter anderem eine administrative Reform des Oman, in deren Zuge eine Neuziehung der Provinzgrenzen erfolgte, die nicht mehr den Stammesterritorien entsprach. Die Gouverneure konnten so die in Maskat getroffenen Regelungen umsetzen, ohne die Meinung örtlicher Stammes- und Clanfürsten zu berücksichtigen. Qabus setzte auf die Entwicklung des Unternehmertums und des Handels, festigte die Stellung der Armee, indem er sie mit moderner Waffentechnik ausstattete und den Sold um ein Vielfaches erhöhte. Schließlich hat er viele der strittigen Grenzfragen klären können, die durch Fall des Kolonialismus und den Weggang der Europäer von der Arabischen Halbinsel übriggeblieben waren. Die Unruhen in Dhofar wurden mit Hilfe des Iran (damals noch unter dem Schah) und Großbritannien beigelegt.

Qabus ließ auch eine teilweise Liberalisierung im Sozialbereich zu. In den 1990er Jahren wurde im Oman eine Verfassung verabschiedet, die Bevölkerung bekam für die Region verhältnismäßig große Freiheit und Rechte, bis hin dazu, dass Frauen sich für Staatsposten zur Wahl stellen konnten. Dabei hat der Sultan jedoch die persönliche autoritäre Gewalt, die es ihm gestattet, sein Land hart und im Alleingang zu regieren, praktisch unangetastet gelassen.

Doch diese Reformen sind noch nicht beendet. Momentan versucht man im Oman, die Energiepolitik zu reformieren, geplant ist der Bau neuer petrochemischer Werke, was für ein Land mit nur rund 3 Millionen Einwohnern eine beeindruckende und großangelegte Aufgabe für die nahe Zukunft ist. Aus diesem Grunde ist das Sultanat wie kein anderes Land an Stabilität auf der Arabischen Halbinsel interessiert.

Der “Arabische Frühling” stellt für den Oman eine ernsthafte Gefahr dar. Unter anderem auch wegen der sehr hohen Arbeitslosigkeit (ungefähr 35% der Bevölkerung) gehört dieses Land zur Risikogruppe. Da der Baby-Boom des Landes noch nicht so lang zurückliegt, besteht fast ein Drittel der Arbeitslosen aus heißblütigen jungen Arabern – ähnlich wie im durch den Virus des “Frühlings” zusammengebrochenen Ägypten oder Tunesien.

Der Sultan hat natürlich versucht, sich abzusichern – im Gegensatz zu Zine el-Abidine Ben Ali und Hosni Mubarak hat Qabus sogleich nach den ersten Protestkundgebungen den Erlass von einer ganzen Reihe von populären Gesetzen verkündet, unter anderem über einen Mindestlohn und verschärfte Maßnahmen gegen die Verteuerung insbesondere von Lebensmitteln. Außerdem wurde ein umfangreiches Beschäftigungsprogramm für Jugendliche und Schulabgänger angestoßen (10 Tausend Arbeitsplätze allein in den Strukturen des Innenministeriums und 15 Tausend bei Privatunternehmen). Allerdings wird die allgemein instabile Lage, die wohl kaum innerhalb von einem oder zwei Jahren vorüber sein wird, durch die wichtigste Bruchlinie im Oman verschärft: das ist das Fehlen eines Thronerben. Der 71-jährige Sultan hat keine Kinder, aber dafür eine Menge an ambitionierten Verwandten. Und selbst wenn Qabus einen Nachfolger benennt, ist es nicht ausgeschlossen, dass nach dem Tod des jetzigen Monarchen jemand über diese Benennung anderer Meinung sein wird. Dazu käme ein “omanischer Frühling” gerade gelegen.

Kuwait: Verlockende Beute

Während der “Arabische Frühling” für den Oman eher mittelfristig eine Gefahr darstellt, so können dem Emirat Kuwait bereits in nächster Zeit große Unannehmlichkeiten dadurch entstehen. Man wird einfach wieder versuchen, es “zu schlucken”.

Emir Scheich Sabah al-Ahmad al-Dschabir as-Sabah, Kuwait

Genaugenommen ist Kuwait nichts weiter als ein überdimensionierter Sandkasten über einem gigantischen Erdölvorkommen. Aus diesem Grund war das Emirat immer schon ein Leckerbissen für den Großteil seiner Nachbarn, vor allem für den Irak. Geradezu alle Herrscher des Irak haben Kuwait – unabhängig von ihren politischen Vorlieben – in dieser oder jener Weise als ihnen gesetzlich zustehende Beute betrachtet. Seit den 1930er Jahren erhob man im Irak immer wieder Anspruch auf kuwaitisches Territorium und berief sich dabei auf allerlei historische Dokumente. Als diplomatische Bemühungen um eine Annexion scheiterten, hat der Irak Anfang der 1960er Jahre versucht, die Sache mit Gewalt zu lösen. Damals konnte sich die kuwaitische Dynastie der As-Sabah mithilfe Großbritanniens und der arabischen Monarchien dieses Zugriffs erwehren. Als 1963 im Irak die Baath-Partei an die Macht kam, schien es, als sei dieses Problem endgültig gelöst (die Baath erkannte die Unabhängigkeit des Kuwait an), allerdings zeigte die Besetzung 1990 durch Saddam Hussein, dass der Kuwait immer verwundbar bleibt.

Deshalb hat selbst die Besetzung Bagdads durch die Amerikaner den As-Sabah keine Zuversicht gegeben. Zu jeglichen Initiativen mit territorialer Note seitens des Irak verhält sich Kuwait sehr voreingenommen. Zum Beispiel ist Kuwait nach wie vor, wie auch zu Zeiten Saddams, gegen die Verlegung einer Pipeline durch sein Gebiet (und dieser Standpunkt wird nicht nur von der herrschenden Dynastie, sondern auch von der Gesellschaft im Kuwait geteilt), ebenso auch gegen eine Verpachtung der Inseln Bubiyan und Warbah. Die Kuwaitis fürchten, dass sobald die Iraker einmal Zugriff auf ihr Territorium bekommen, sie sich dort auf ewig festsetzen werden.

Solche Verdächtigungen seitens des Kuwait bezeichnet man im Irak als Paranoia. Zusammen mit der Ablehnung der von Washington vorgeschlagenen “Abschreibung” der Reparationszahlungen an den Irak im Zusammenhang mit der Okkupation von 1990 (mehr als 200 Milliarden US-Dollar, von denen 100 Milliarden Kompensation für direkte finanzielle Einbußen darstellen) ist solch ein Verhältnis aber nicht dazu geeignet, die irakisch-kuwaitischen Beziehungen auch nur ein wenig zu entfrosten. Jegliche Festigung der Positionen des Irak in der Region (oder im Falle eines Auseinanderbrechens desselben der Positionen des weitgehend durch den Iran kontrollierten Südirak) stellt eine direkte Bedrohung für die Sicherheit Kuwaits dar.

In diesem Zusammenhang gerät das Emirat in ein noch größeres Abhängigkeitsverhältnis von zweien seiner äußeren Schutzmächte – von den Vereinigten Staaten und Saudi-Arabien, und diese Abhängigkeit kann Kuwait verderben. Erstens deshalb, weil im Falle eines Kriegs mit dem Iran Kuwait (das, genau wie Katar, amerikanische Militärstützpunkte beherbergt) eines der ersten Ziele für iranische Raketen oder für eine Intervention proiranischer Kräfte aus dem Irak würde. Zweitens könnte Kuwait im Zusammenhang mit einer möglichen Desintegration Saudi-Arabiens einfach von der Landkarte verschwinden. Sollte es zur Schaffung eines schiitischen Staates im Osten der Arabischen Halbinsel kommen oder Saudi-Arabien einfach in konkurrierende Fürstentümer zerfallen, so könnten die des Erdöls beraubten westlicheren Herrscher durchaus nach den kuwaitischen Reserven schielen. Die As-Sabah sind der Meinung, die Saud stünden in ihrer Schuld (kuwaitische Herrscher unterstützen den ersten saudischen König Abdel Aziz in der schwierigsten Zeit der Heranbildung des saudischen Königreichs), wenn es allerdings um Geld geht, pflegt man sich nicht um moralische Verbindlichkeiten zu bekümmern.

VAE: Richte dich nach dem eigenen Geldbeutel

Auch den Vereinigten Arabischen Emiraten bereitet der “Arabische Frühling” die gleichen Kopfschmerzen, wie auch den übrigen Golfmonarchien: die Welle der Revolution spült alle inneren Probleme der VAE an die Oberfläche und schneidet sie von den Ertragsquellen ab.

VAE: Premierminister

Scheich Muhammad bin Raschid Al Maktum

Die VAE haben eine recht eigenartige Territorialverwaltung – es ist eine Föderation aus sieben absoluten Monarchien. Sie ist stabil, aber man kann schlecht eine einheitliche, entschiedene Politik auf dem gesamten Territorium verfolgen. Einen bedeutenden Teil der Entscheidungen wird von den Emiren selbständig getroffen, und das bei weitem nicht immer rational. Als sich plötzlich und unerwartet herausstellte, dass die Ölquellen auch versiegen können, waren die Emire gezwungen, sich um ihre Zukunft zu sorgen und haben in diesem Zusammenhang einige wenig durchdachten Dinge durchgesetzt. Der Emir von Dubai zum Beispiel unternahm in der Hoffnung auf einen Tourismus- und Investitionsboom den Bau der berühmten aufgeschütteten Inseln. Allerdings sind die Investitionsmodelle, die eher an Finanzpyramiden erinnerten, mit Eintreten der Weltwirtschaftskrise praktisch in sich zusammengestürzt. Die unabhängigen Emirate gerieten in eine enorme Abhängigkeit vom größten unter ihnen – Abu Dhabi (das eine extrem konservative Innenpolitik verfolgt und sich wünschte, die anderen sechs Mitglieder der VAE würden das auch tun) sowie von den benachbarten arabischen Monarchien, welche auch für die Verluste aus ihrer nicht sehr weitsichtigen Politik aufkamen.

Es ist Saudi-Arabien, von dem nicht nur die Finanzierung, sondern auch die Gewährleistung der Sicherheit der Emirate abhängt. In den VAE wachsen soziale Spannungen, in erster Linie aufgrund von Migranten, die es in jeder kleinen, mehr oder minder korrupten arabischen Monarchie gibt. Die Bevölkerung der Emirate zählt 5 Millionen Menschen, davon sind ungefähr 70% Gastarbeiter aus den Ländern Südost- und Zentralasiens sowie aus Indien. Wie auch im Katar sind sie in den VAE elementarer Grundrechte beraubt. Dabei haben die Zwergemirate nicht genügend eigene Kräfte, welche im plötzlichen Falle meuternder Migranten letztere in Schach halten könnten. Die Emire müssten dann dem Beispiel des Bahrain folgen und ungeachtet dessen, dass es ungeklärte territoriale Fragen mit den Saud gibt (diese gehen auf die Zeit der Bildung der VAE zurück, als Saudi-Arabien einen Teil der Küste zwischen diesen und dem Katar annektierte und die beiden Gebilde so voneinander trennte), von Saudi-Arabien Sicherheitskräfte und Militär anfragen.

Diese merkliche Abhängigkeit der VAE von Saudi-Arabien zwingt die Emire, sich vollauf an der saudischen Außenpolitik zu orientieren und zu hohen Opfern bereit zu sein. Das gilt in erster Linie hinsichtlich des Iran: im Fall einer Verschärfung des Verhältnisses mit Teheran könnte Riad die VAE durchaus “bitten”, auf eine stabile und sehr lukrative Einnahmequelle zu verzichten – nämlich auf den Warenschmuggel mit dem Iran, oder auch die iranischen Aktiva auf Eis zu legen (denn die iranische Elite kauft massenweise Immobilien in den Emiraten, so dass die dortigen Immobilienmakler inzwischen bereits Farsi zu sprechen gelernt haben). Das würde die Emire in noch größere finanzielle Abhängigkeit von den Saud und sie so unter die ersten Opfer eines gerechten Zorns der Islamischen Republik bringen.


Noch lässt der “Arabische Frühling” in den Golfmonarchien auf sich warten.