Progressive Synagoge in Berlin - Kreuz kann man hier trotz mehrmaligen Hinsehen nicht entdecken
Während mich die chassidischen Juden mit ihren Geschichten, Traditionen und Tänzen faszinieren, jedoch mit manchmal sehr „eigenen“ Meinungen hin und wieder verstören fühle ich mich oft im liberalen Judentum heimischer. Dieses ist europäischer als das Christentum, auch, wenn es hin und wieder den Anschein hat, dass einige liberale Juden im vorigen Leben Christen waren… oder es manchmal noch immer sind. In der Blütezeit des europäischen Judentums waren manche Juden – oder besser: versuchten manche Juden deutscher zu sein, als die Deutschen selbst. Immerhin hatte das reformierte Judentum genauso wie das reformierte Christentum seine Wurzeln in Deutschland. Eine Anekdote, die auf eine wahre Begebenheit im zweiten Weltkrieg schildert verdeutlicht diese Situation besonders originell:
Großbritannien, das ein Zufluchtsort für viele ehemals in Deutschland lebende Juden geworden ist befindet sich im Krieg mit Nazi-Deutschland und rekrutiert Soldaten. In einer der Schlangen zur Aufnahme finden sich auch viele jüdische Exil-Deutsche.
„Nächster!“ ruft der für die Rekrutierung zuständige Soldat gelangweilt „Name?“
„Adolf Wilhelm Deutsch!“ sagt der soeben hervorgetretene Teutone mit starkem, deutschem Akzent.
Der Soldat blickt ihn an:“Jetzt übertreiben sie aber“
Ungarn war auch eine Bastion des reformierten Judentums, jedoch auch ein Sonderfall, da es hier viele orthodoxe und chassidische Gemeinden gab, die dem Reformjudentum gegenüber skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden.
Während im Christentum jedes Schisma (Kirchenspaltung) eine Identitätskrise und neue Reformen auslöste sind im Judentum Abspaltungen eher die Regel als die Ausnahme.
Dieses Faktum ist bedingt durch das Nichtvorhandensein einer irdischen höchste Autorität, wie es etwa bei den Katholiken der Papst ist. Es obliegt jedem Einzelnen das zu tun, was er für richtig hält – für die Rechnung muss man anschließend auch selbst haften. Rabbiner können (lokale) Autoritäten sein, denen man vertrauen kann… bzw. können sollte, da sie sich auf ihrem Gebiet auskennen (sollten).
Ein Beispiel:
Ich möchte mich gesund ernähren, verstehe allerdings nichts von Lebensmitteln und deren Wirkungsweise auf den Körper. Daher frage ich einen Lebensmittelexperten, was ich zu mir nehmen sollte. Dieser empfiehlt mir einen fetten Speck in Butter herauszubacken, um ihn anschließend mit Öl zu genießen.
Ich kann hoffen, dass Gott diesen Scharlatan bestraft, weil er mir so einen Nebbich erzählt hat. Wenn ich das Zeug allerdings esse werde trotzdem ich den Schaden nehmen, obwohl ich so gesehen eigentlich gar nicht schuld bin.
Aus diesem Grund gibt und gab es im Judentum immer wieder neue Philosophien, die versuchen die Welt und das Leben zu erklären.
So finden sich im Chassidisch-Mystischen Bereich Gruppierungen wie Chabad Lubawitsch. Bei Chabad Lubawitsch gilt Rabbi Schneerson als Messias, doch nicht für alle – andere Lubawitscher sehen es als Sünde einen Menschen als Messias zu bezeichnen, der „offiziell“ keiner ist.
Wobei „offiziell“ bewusst geanführungszeichnet wurde, da es auf diesem Planeten noch keine offizielle Annahmestelle für Messias-Bewerber gibt.
Besonders spannend sind auch die Braslewer, die ihre Gründung Rabbi Nachman verdanken und die Freude bei allen Tätigkeiten im Leben – sei es beten, lernen oder der gewöhnliche Tagesablauf – als das höchste Gut ansehen. Trotzdem ist auch diese Gruppe gespalten – manche sehen Rabbi Nachman als Messias an (obwohl der meines Wissens nach nie so etwas proklamiert hatte), andere sehen das – wie ihre Kollegen von den Chabad – als Sünde…
Noch eine kurze Erläuterung: Chabad ist ein Akronym und bedeutet
- CH(A) - Chochma: Weisheit, oder ein Einfall bzw. eine Idee
- B (A) – Bina: Erkenntnis, oder die Weiterentwicklung einer Idee
- D – Daat: Wissen oder die Wirkung von Chochma und Bina auf den Menschen
Lubawitsch ist ein Ort in Russland, wo Rabbi Schneor Salman von Ljadi seine Gemeinde hatte. So verhält es sich auch mit Braslew, das in der heutigen Ukraine liegt und mittlerweile zu so etwas einem jüdischen „Wallfahrtsort“ wurde.
Doch zurück zum liberalen Judentum: Auch dieses ist sich nicht ganz so einig, was eine gemeinsame Philosophie betrifft. Immerhin gibt es kleinere und größere Unterschiede bei den Definitionen „reformiert“, „progressiv“ oder „liberal“. Manche Gemeinden akzeptieren Frauen als Rabbinerinnen, manche eher nicht.
So wie manche Katholiken Protestanten nicht als Christen ansehen wollen haben auch manche orthodoxe Juden nicht nur Vorbehalte gegenüber ihren liberaleren Glaubensgenossen sondern auch Zweifel, ob es sich bei ihnen überhaupt um Juden handelt.
Doch… gehen wir zurück nach Budapest in den Beginn des 20. Jahrhunderts, in dem die Aufklärung auch in den Religionen Europas kaum einen Stein auf dem Anderen ließ…
Während die Juden zwar in Ofen (Buda-Seite) Synagogen errichten durften blieb ihnen die Pest-Seite lange Zeit verwehrt. Mit der Erlaubnis in Händen beschloss man als Zeichen der Dankbarkeit die Synagoge nach dem Vorbild der europäischen Kirchen zu bauen.
Die Dohány Synagoge ist die größte Synagoge Europas. Auch, wenn sie wie eine Kirche aussieht
So sieht man beispielsweise synagogenuntypische Elemente wie eine Kanzel oder eine Orgel. Der Altar ist auch nicht wie gewohnt in der Mitte des Raumes (der es ermöglichte von allen Seiten die Toralesungen fast gleich gut mitzubekommen), sondern wie in einer Kirche am Ende.
Was heute undenkbar erscheint war damals noch Realität: Die jüdische Gemeinde bestand nicht aus jüdischen Gemeinden wie heute, sondern aus einer einzige Gemeinde, die sich aus liberalen und orthodoxen Kräften zusammensetzt. Besonders begeistert zeigte sich der orthodoxe Part jedoch nicht darüber, dass man in einer „christlichen“ Synagoge betete und es entstand die Rumbach-Synagoge, die ich hier gerne als Beispiel für eine orthodoxe ungarische Synagoge anführen würde.
So sieht eine orthodoxe Synagoge von außen aus
Die Dohány-Synagoge von außen (Maurischer Stil)
Die Rumbach-Synagoge von innen... Die Nichtreformbewegung bezeichnete sich als Status Quo Ante (Vorheriger Zustand)
Leider ist diese eher ein Beispiel dafür wie versucht wurde, das Judentum in Europa zu zerstören. Heute ist die Synagoge leer und dient nur noch als B-Sehenswürdigkeit. Mit „leer“ meine ich leer. Es gibt keinen Altar, keine Bänke und Schilder, die die Synagoge erklären könnte man eher als Sichtblockaden für den Bauschutt, der sich dahinter befindet auffassen. Während sich in der liberalen Dohány-Synagoge eine Führung an die nächste reiht und Touristen aus allen möglichen Ländern durchgeführt werden sitzt in dem Kartenhäuschen vor der Rumbach-Synagoge nur jemand, der gelangweilt keine ermäßigten Tickets verkauft.
Die Kuppel der Rumbach-Synagoge