Ein wahrlich merkwürdiges Kleinod bietet der mexikanische Film CARLOS EL TERRORISTA von 1979 – und sicherlich, so ist zu vermuten, ein gänzlich konträres Gegenstück zu dem, was Oliver Assayas zum legendären Profi- und Auftragsterroristen der 1970er und beginnenden 1980er Jahre vorlegen dürfte.
Regisseur René Cardona Jr., der sich vor allem mit B- und C-Unterhaltung im Abenteuer- und Horror-Fach wie LA NOCHE DE LOS MIL GATOS / DIE NACHT DER TAUSEND KATZEN (1972), ¡TINTORERA! (1977) oder EL TRIÁNGULO DIABÓLICO DE LAS BERMUDAS (1979) hervorgetan hat, macht hier ungeniert einen Terroristen zum Helden, der im Flughäfen oder im nahöstlichen Gassengewirr in die Menge schoss und diverse Autos samt Insassen in die Luft jagt – und der jetzt zwischen die Fronten geraten ist.
Mit breiter Brust, die er gern zum Besten gibt, spielt das muskulöse, nichtssagende „Sexsymbol“ Andrés García, in einer Garderobe, die selbst schon ein Zeitdokument der eigenen Art ist. Frau und Kind werden dem Helden geraubt, ein mysteriöses Ränkespiel zwischen CIA und der terroristischen Community spielt sich da ab, in Südamerika (gedreht u.a. in Rio de Janeiro), aber was genau geschieht, bleibt über die Nummernfolge so beiläufig wie egal – dies freilich im besten Sinne.
CARLOS EL TERRORISTA gemahnt nämlich in Sachen Reduktion, Maulfaulheit und Coolness der Helden an Filme wie BULLITT (1968) – auch Carlos darf im grünen Sportflitzer zwar nicht durch San Francisco, doch durch die lateinamerikanische Pampa eine unterspielte Hatz bieten und schließlich gar das Automobil den Berg hinunterstoßen und den Bus nehmen, um seine Verfolger abzuschütteln. Oder an John Boormans POINT BLANK (1967) mit Lee Marvin, ebenfalls als Loner, der sich von Station zu Station hangelt. Doch in seiner zehnjährigen Verspätung gerät CARLOS EL TERRORISTA noch konsequenter: Der Film verzichtet gänzlich auf Dialoge; lediglich einige erläuternd distanzierte Off-Kommentare erklären die (Welt-) Lage; zweimal bekommt man Carlos‘ Gedankenstimme zu hören.
So erfahren wir von dem Terrorismus-Krieg und seiner „Internationalen“ der 1970er gegen Israel; ineinandergeschachelt ist dies: vom Nahost- bis zum hinein in den Ost-West-Konflikt. Carlos ist hier Profi, will, soll überlaufen, wird auch Feind der ehemaligen Verbündeten. So muss er zunächst vor Mördern fliehen und sich gegen sie handfest zur Wehr setzen; alsdann einen ehemaligen Freund und Kampfgenossen davon abhalten, eine Weltfriedenskonferenz am nächsten Tag in die Luft zu jagen: Nachts huscht er hinterher ins bewachte Kongresshotel und entschärft in Badehose die Bomben, die der Ex-Kompagnon gerade erst in Ninja-ähnlicher Tracht versteckt hat. Um ihn schließlich – nächste „task“ –, in dessen Hotel beseitigen. Mit Wumms, natürlich. Anschließend soll er einen Scheich auf Staatsbesuch ausschalten, da dieser den Terrorismus finanziert. Er tut’s, mit präpariertem ferngesteuertem Flugzeugmodell und im Adidas-Dress.
Zuletzt verrät er noch, was er weiß und darf am südamerikanischen Strand wieder mit seiner Familie zusammenkommen. Doch kaum, dass seine Infos verifiziert sind, wird er, der Nutzlose, schon erschossen, vor den Augen seiner Familie, derweil vor den eigenen, inneren Augen (oder als moralische Montage fürs Publikum; der Genre-Schluss wird wieder zum Fanal der Soll-Welt jenseits der Leinwand), seine explosiven Schandtaten zu seinem Zeitlupen-Zusammenbrechen geschnitten werden. Ein sonderlicher Spoiler ist das Verraten dieses Ende nun nicht – eben jene Szene wurde als Trailer von CARLOS EL TERRORISTA verwendet; wohl das einzige Mal, dass man den Schluss und Tod des „Helden“ für die Promotion eines Filmes verpulvert.
Doch gerade als Terrorismusfilm ist Cardonas CARLOS EL TERRORISTA so bizarr wie bestechend, so aussagekräftig wie sprachlos: sowohl im Stil wie im historischen Verweisen.
Dreißig Jahre bevor Quentin Tarantinos INGLORIOUS BASTERDS (2009) für seine Frechheit gefeiert wird, Hitler antihistorisch sterben zu lassen – gerade so, als hätte Christopher Roths BAADER (2002), der ob dieser Unverfrorenheit gespaltener aufgenommen wurde (und: nein, hier wird jetzt nicht Hitler mit Andreas Baader verglichen oder gleichgesetzt!) – dreißig Jahre zuvor jedenfalls bedient sich CARLOS EL TERRORISTA einer berüchtigten Figur gänzlich schamlos und geht zugleich zu ihr und ihren politischen Implikationen auf Distanz. An einer Stelle wird tatsächlich im Voice-Over von einem „anderen“ Carlos geredet (dem „echten“), und man kann sich fragen, ob damit ein Sicherheitsabstand eingenommen werden soll: „Unser“ Carlos ist gar nicht der, der die OPEC-Konferenz 1975 stürmte, dem Beginn des „Mythos Carlos“ (Karsten Kammholz in der WELT-Besprechung von Magdalena Kopps Buch Die Terrorjahre. Mein Leben an der Seite von Carlos). Doch dafür ist der Titel zu reißerisch für seine Zeit; zu steif und starr Andrés Garcías Blick auf dem Passfoto, mit Koteletten zu nah am „Original“. Auch der „echte Carlos“, der 1949 in Caracas geborene Illich Ramirez Sanchez (und zu südamerikanische war eben die „mythische“ Virilität, die ihn zu Recht oder nicht, populär machte) hatte seine Frau (eben M. Kopp). Auch er wurde „Aussteiger“ oder zumindest Freischaffender.
CARLOS EL TERRORISTA reduziert und trivialisiert „seinen“ Carlos jedoch, dass es ein Fest ist, wobei er gar nicht verschweigt, dass und wie sein Terrorismus sein Business ist: Schmutzig, wüst, letztlich einsam und ohne klare Linie. Carlos ist hier der Gangster als amoralischer und zugleich gebrochener Held (wie eben Walker in POINT BLANK), darum muss er zuletzt auch sterben, zumindest hier. Denn die Welt, in der er lebt, ist eine so schmutzige und unübersichtliche wie banale. Es ist eine exotische-schillernde Abenteuerwelt der Geheimagenten, Scheichs und Terroristen, es ist die der 1970er. Ohne avancierte Technik, also mit Zufällen und Verfolgungsjagden (auch mal zu Fuß), mit Maskeraden und eben: dem einfachen taffen Mann, der wirkt und bewirkt. Darum lässt sich nicht nur CARLOS EL TERRORISTA Zeit um zu zeigen, wie der (noch nicht mal Anti-) Held verwundet flieht, alles mögliche anstellt, um nach dem Anschlag auf den Scheich nicht entdeckt zu werden, seine Schusswunde verarztet … – der Film hat diese Zeit und gerät darüber so intensiv wie wahrhaftig.
Noch gibt es zu jenem Zeitpunkt keine ikonischen Bilder (natürlich sind sie die, die es werden, in dem Moment schon gemacht!), solche, die nachinszeniert werden müssen. Aber es gibt diese so aufregende wie lakonische Parallelwelt hinter den Schlagzeilen sowie ein diffuses Gespür dafür. Eben diese liefert dieser schnodderige packende Film, der zwischen Costa-Gavras ÉTAT DE SIÈGE / DER UNSICHTBARE AUFSTAND (1972) und MISSING (1982) natürlich schon wusste, dass die CIA gerade in Südamerika keine strahlend weißen Helden abgaben – so man denn ohnehin aufs Kino jener Zeit dafür angewiesen war.
CARLOS EL TERRORISTA ist ein kleines kostbares Zeitdokument, gerade weil dieser Film sich in seiner Unbekümmertheit so wenig um das Historische und Politische schert und scheren muss. Er ist kein subversiver Undergroundfilm, sondern ein B-Movie mit gehörigem Stilwillen (wenn auch nicht immer -Können); aber die Gelassenheit, die doch im Film selbst nicht (und nie!) ohne immanente Spannung zu haben ist – warum muss dann doch Sprache sein; ein Kontext kreiert werden? –, eine Spannung, die sich letztlich auch einschleicht, weil doch nicht einfach nur amoralische und entsprechend zeitlos archetypische (und spekulative) Zwielichtigkeit dargeboten wird: sie sagt mentalitätsgeschichtlich vielleicht mehr (und zumindest lokal authentischer etwas) zum Bild des internationalen Terrorismus aus, als aus der Gegenwart zurückprojizierte Reenactments und hyperreale Tableaus.
Bernd Zywietz