Carlo Ancelotti trainiert den FC Bayern München. Er führt aber nicht ein Fußballlehrer, sondern wie ein Personalentwickler.
Bücher von Fußballern machen sich in meiner Biografien-Bibliothek wie Groschenromane zwischen Klassikern der Weltliteratur: Sie sind etwas versteckt platziert - aber deutlich abgegriffener als die meisten anderen Titel. Zwei meiner Lieblingsautoren unter den Kickern sind Helmut Rahn und Stefan Effenberg - der mit dem Mittelfinger... Und direkt daneben steht neuerdings Bayern-Trainer Carlo Ancelotti, der am Samstag ebenfalls seinen Mittelfinger gezeigt hat...
Aber Ancelotti ist anders. Er erzählt nicht von dramatischen Spielen, sondern von strategischen Zielen; nicht von von begnadeten Ballkünstlern mit Tigerfrisuren, sondern von akribischen Datenauswertungen; nicht von großen Gefühlen, sondern von taktisch dosierten Wutausbrüchen (wie am Samstag?); nicht von ewiger Vereinsliebe, sondern von Projekten. "Loyalität gilt Menschen, nicht Organisationen", heißt es einem der kapitelweise eingestreuten Merksätze, "Organisationen geht es nicht um Persönliches, sondern ums Geschäft." Dieses Geschäft hat Carlo Ancelotti verinnerlicht. Sein Buch stellt nicht einzelne Trainerstationen und -erfolge in den Mittelpunkt. Ancelotti hebt stattdessen die Vereinswechsel als jeweils nächste Karriereschritte hervor. Angefangen er bei kleineren italienischen Vereinen: dem AC Reggiana und dem AC Parma. Die Erfolge führten ihn auf die harten Trainerbänke der zum Erfolg verdammten Spitzenklubs Juventus Turin und AC Mailand. Danach hat Ancelotti die besten Teams der besten europäischen Ligen trainiert: den FC Chelsea in England, Paris Saint-Germain in Frankreich, Real Madrid in Spanien - und jetzt also den FC Bayern. Jeweils analysiert er weniger die Seele des Klubs, den er gerade trainiert, sondern die Mechanismen der Organisation.
Carlo Ancelotti, geboren 1959, stammt aus den unter Biografen berühmten kleinen Verhältnissen. Auf gewisse Weise ist er immer der fußballverückte Junge geblieben ist, der darüber staunt, dass er in den größten Stadien der Europas die wichtigsten Titel abräumt. Sein Erfolg beruht allerdings auch darauf, dass er sich selbst aus diesem Traum aufwecken kann. Er weiß, dass Fußballvereine international nur noch wettbewerbsfähig sind, wenn sie wie global agierende Konzerne geführt werden. Dieses Prinzip ist in den Vorstandsetagen längst angekommen. Ancelotti lebt es aber auch im sportlichen Bereich. Er schult seine Mannschaften nicht wie ein Fußballlehrer - dafür hat er Spezialisten, die er auch gerne von Verein zu Verein mitnimmt. Ancelotti betreibt Personalmanagement auf hohem Niveau. Er spricht nicht als Sportler zu Sportlern, er spricht als Führungskraft zu Fachkräften: ruhig, überlegt, immer auf Respekt bedacht Und er geht davon aus, dass sein Führungsstil nicht nur im Spitzensport ein Erfolgsmodelll ist: Deshalb hat er das Buch über seine "ruhige Philosophie" als eine Art Ratgeber für Führungskräfte geschrieben. Kapiteln über Kultur, Verantwortung oder Zusammenarbeit sind zusammenfassende Merksätze angehängt, die für sich zwar - typisch Ratgeber - wie Allerweltsweisheiten daherkommen, aber im Gesamtzusammenhang mit Ancelottis Beispielen und Anekdoten doch Überzeugungskraft entfalten. Das gilt allerdings nicht für die ebenfalls eingestreuten Lobhudeleien von allen möglichen Superstars von David Beckham über Zlatan Ibrahimovic und Cristiano Ronaldo bis zu Toni Kroos. Fast scheint es, als müsse sich Ancelotti den Erfolg seines Stils nochmals bestätigen lassen, um glaubwürdiger zu werden. Das Gegenteil ist der Fall. Soviel überschwängliche Verehrung macht eher skeptisch - jedenfalls mehr, als die lange Titelliste in Ancelottis Lebenslauf.
Fazit: Unterhaltsamer und bisweilen lehrreicher Ratgeber für Führungskräfte mit Fußball-Faible.