Mangels Zeit – oder besser: dank Schulschluss-Stress – gibt’s diese Woche nur einen kurzen Beitrag. Das passt, weil diesmal kein wirklich grandioser Film in meiner Auswahl mit dabei war…
Beim letzten Eintrag hätte ich am liebsten alle drei Filme zum „Film der Woche“ nominiert, dieses Mal ist das Gegenteil der Fall: Keiner der drei Streifen, die ich mir für die letzte Woche vorgenommen hatte, genügen dem hohen Standard, den ein „Film der Woche“ erfüllen muss (mindestens acht Wertungs-Punkte). Einer davon ist allerdings doch aussergewöhnlich genug, um ihn hier vorzustellen und ihn trotz des massivem Lobs, das ihm allenthalben zuteil wird, kontrovers zu diskutieren.
FILM DER WOCHE
(dt.: Capatain Fantastic – Einmal Wildnis und zurück)
USA 2016
Mit Viggo Mortensen, George MacKay, Nicholas Hamilton, Frank Langella, Kathryn Hahn u.a.
Buch und Regie: Matt Ross
Musik: Alex Somers
Zunächst taucht die Kamera tief ein in die endlosen, verlassenen Wälder des Staates Washington. Hier sagen sich Hirsch und Wildschwein gute Nacht. Kein Mensch… aber was ist das? Ein paar Augen beobachten einen jungen Hirsch. Hinter einem Busch entdeckt der Zuschauer eine dreckverschmierte, kauernde Gestalt, die sich im nächsten Moment auf das Tier stürzt. Gleichzeitig brechen weitere dreckstarrende Gestalten aus dem Unterholz. Ein Clan von Wilden? Ureinwohner? Nein, es ist die Cash-Familie; genauer: Vater Ben (Mortensen) und seine sechs Kinder. Die Mutter ist in der Zivilisation, im Krankenhaus.
Die Eltern Cash, allen voran Ben, sind Anarchisten, Aussteiger, die der Zivilisation den Rücken gekehrt haben und in den Wäldern in unerbittlicher konsequenz ein einfaches Leben mit der Natur durchziehen. Alle ihre sechs Kinder sind so aufgewachsen. Mit Jagen, Zimmern, Überlebenstraining, „home schooling“, im Einklang mit der Natur, abgeschieden und isoliert von der Zivilisation.
Was geschieht, so hat sich Regisseur und Drehbuchautor Matt Ross gefragt, was geschieht, wenn diese Kinder plötzlich mit der Zivilisation konfrontiert werden? Was macht das mit ihnen?
Zu diesem Zweck lässt er die Mutter im fernen Krankenhaus sterben.
Nun müssen die verbleibenden Cashs ‚raus aus dem Wald. Die letzten Dinge regeln. Eine Beerdigung steht an. Der Schwiegervater gibt Ben die Schuld am Tod seiner Tochter. Es wird schwierig.
Im Grunde eine hoch interessante Ausgangslage. Daraus könnte man was machen.
Die erste Hälfte von Captain Fantastic überzeugt und packt denn auch. Das Leben im Wald ist in seiner Ambivalenz hervorragend herausgearbeitet. Das erste Eintauchen in die moderne Welt ebenfalls. Die Sequenz, in der die Cash-Family bei Bens Schwester und deren Mann und Kindern zu Gast sind, ist die stärkste des ganzen Films, der eigentliche Kern der Sache. Da entlarvt der Autor unsere moderne Welt in der Gegenüberstellung der beiden entgegengesetzten Lebensentwürfe als hoffnungslos verweichlicht, verwässert und verdämlicht. Um gleich in der nächsten Szene die Problematik und die Schädlichkeit von Bens dogmatischem Idealismus aufzuzeigen.
Hätte der Film da aufgehört oder genauso weitergemacht, er wäre wohl ein Meisterwerk. Diese kurze Sequenz lässt einen nicht mehr los, sie lässt einen grübeln – und das ist das Verdienst von Captain Fantastic.
Doch leider geht er anders weiter.
Die Kontroverse wird aufgeweicht. Es wird relativiert, verwedelt. „Es ist doch nicht so schlecht, was Ben den Seinen da zumutet“. „Aber unsere Welt hat ja eigentlich auch ihr Gutes…“ „Jedem das seine….“.
Der Tod der Mutter – ein Selbstmord – wird dem Vater angelastet. Doch man erfährt viel zu wenig über sie und auch über ihn, als dass man dies festmachen und als Kritik am harten Aussteigerdasein werten könnte. Am Ende hängt alles irgendwie in der Luft. Hat den Regisseur der Mut verlassen – oder hat das Studio interveniert?
Schade, schade…
Die Thematik des Film klingt hochinteressant – leider ist die Umsetzung enttäuschend oberflächlich.
Die Regie: 8 / 10 – Solide; bisweilen sensibel und behutsam, insgesamt aber doch recht konventionell
Das Drehbuch: 7 / 10 – Leider hält Matt Ross die Ambivalenz seiner Story nicht durch und verwässert ab der zweiten Filmhälte, was er an anregenden Konflikten angerissen hat
Die Schauspieler: 7 / 10 – Ebenfalls solide; Kinderdarsteller in dieser Häufung empfinde ich allerdings immer als etwas heikel
Die Filmmusik: 8 / 10 – Solide, dezent, bisweilen etwas blass
Gesamtnote: 7,5 / 10
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Kurzkritiken
IN THE HEATH OF THE NIGHT
(dt. In der Hitze der Nacht)
USA 1967
Mit Sidney Poitier, Rod Steiger, Warren Oates, Lee Grant u.a.
Drehbuch: Stirling Silliphant nach einer Vorlage von John Ball
Regie: Norman Jewison
Musik: Quincy Jones
Nach Rat mal, wer zu Essen kommt der zweite 1967 gedrehte „Rassismus-Film“ mit Sidney Poitier. Komischerweise bin ich von beiden ziemlich enttäuscht. Beide gelten als Meisterwerke, beide sind aber heute derart überholt, dass ihre Schwächen deutlich zutage treten. In Jewisons Film ist es die Inszenierung; sie ist zwar durchaus solide, aber für einen Film mit diesem Ruf ist sie doch ziemlich gesichts- und einfallslos, „gewöhnlich“ halt. Die gelegentlichen Highlights stehen im Drehbuch.
Natürlich war der Film damals in der Behandlung der Rassenthematik mutig und ein Durchbruch, ebenso für die Schwarzenbewegung. Doch gemessen an der heutigen cinematografischen Behandlung derelben Thematik wirkt er eher wie ein Museumsstück. Und wie bereits gesagt, ohne die rosa Meisterwerk-Brille werden die Schwächen sichtbar. Auch im Drehbuch, welches den Mordfall nur zum Vorwand nimmt, einen Rassenkonflikt im amerikanischen Hinterland durchzuspielen. Die schrittweise Auflösung der Missetat ist ziemlich banal und entbehrt jeglicher Spannung. Die beiden Hauptdarsteller überzeugen, doch immer wieder und wie so oft bei diesem Regisseur geschieht es, dass die Akteure sich nicht ganz im Griff haben (oder besser: er sie). Einige der Nebendarsteller neigen zum Over-Acting, allen voran Rod Steiger, und das nervt mit zunehmender Filmdauer.
Ein wichtiger Film, durchaus – jedenfalls für Amerika – aber nicht unbedingt ein grosser Film.
Die Regie: 7 / 10 –
Das Drehbuch: 7 / 10 –
Die Schauspieler: 7 / 10 –
Die Filmmusik: 9 / 10 –
Gesamtnote: 7,5 / 10
KID MILLIONS
USA 1934
Mit Eddie Cantor, Ethel Merman, Ann Sothern, Warren Hymer, George Murphy, Berton Churchill, the Nicholas Brothers u.a.
Drehbuch: Arthur Sheekman, Nat Perrin und Nunally Johnson
Regie: Roy Del Ruth
Musik: Alfred Newman
Der vergessene Film der Woche:
Eddie Cantor war ein bekannter Musicalstar am Broadway, später beim Radio, der in den 30er-Jahren den Sprung auf die Leinwand wagte, dort für kurze Zeit Erfolg hatte und sich dann wieder auf die Bühne konzentrierte. Im deutschsprachigen Raum wurde er nie bekannt.
Kid Millions gehörte zu seinen erfolgreichsten Filmen – heute wirkt er angestaubt und vor allem albern. Auf nervige Art.
Es geht um den Erben eines verstorbenen Ägyptologen, der von einer ganzen Aramada von Erbschleichern ins Land der Könige begleitet wird. Der Film stammt aus einer Zeit, wo die Musicalnummern die Handlung zum Stillstand brachten. Das kann funktionieren, wenn diese Nummern überzeugen. In Kid Millions ist dies leider nicht der Fall: Die Musiksequenzen sind schlecht gemachte, krude Möchtegern-Busby-Berkeley-Kopien.
Da der Film eine Farce ist, bleiben die Gags, die mehrheitlich im Verbalen angelegt sind. Die einen zünden, die anderen nicht – je nachdem, von welchem der drei Autoren sie stammen.
Insgesamt ist Kid Millions furchtbar albern; manchmal erwächst dieser Albernheit ein Highlight wie etwa die Scheichstochter, welche den Hauptprotagonisten in breitestem Brooklyn-Slang umgarnt. Mehr als leidlich unterhaltsam ist der Film aber nicht.
Die Regie: 6 / 10 –
Das Drehbuch: 5 / 10 –
Die Schauspieler: 7 / 10 –
Die Filmmusik: 7 / 10 –
Gesamtnote: 6 / 10
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Vorschau
Die folgenden drei Filme werden im nächsten Blog-Beitrag vorgestellt. Einer davon wird zum „Film der Woche“ gekürt…
La nuit americaine (dt.: Die amerikanische Nacht; Frankreich 1973)
The Last Shot (dt.: The Last Shot – Die letzte Klappe; USA 2004)
The Last Stand (USA 2013)
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