Schlutzkrapfen aus Kartoffelteig frittiert
Schlutzkrapfen sind der in Nudelteig gegossene Inbegriff Südtirols. Keine Hütte, kein Törggelen, kein Gasthaus kommt ohne die bunten Riesen-Ravioli mit hauchdünnem Nudelteig aus. Doch die Schlutzkrapfen, die wir heute genießen sind anders. Nicht bunt. Nicht gekocht. Kein Nudelteig. Stattdessen goldbraun, aus Kartoffel-Hefeteig und in heißem Fett frittiert. Warum? In Dolomitenlagen von 1500 Metern und höher ist Weizenanbau nicht möglich. Ohne Weizen kein helles Mehl und so suchten die Ladiner schon vor langer Zeit nach einer Alternative zum bewährten Weizenmehl-Nudelteig. Fündig wurden sie bei der Kartoffel.
Uli, die Kräuterhexe
Wir drehen in der Zwischenzeit eine Runde durch den gastronomischen Mikrokosmos von Ulrike Ties und ihrem Mann Roman. Zentrum ihres Schaffens ist die Osteria Plazores in St.Vigil. Ein altes Bauernhaus, das nur behutsam erneuert wurde und in jedem Zentimeter Geschichte und Detailliebe trägt. In der alten Stube steckt noch ein Weißheitszahn im Holz, eine Reminiszenz an einen uralten Brauch der Ladiner, um ihre Zähne zu konservieren. Das obligatorische Kruzifix hängt in der Ecke und jeder Tisch ist mit einem frisch gepfückten Strauß Wiesenblumen bestückt. Da stehen Margariten, Süßgräser, Klee, wilde Kamille oder Schafsgarbe – Wildkräuter, deren Einsatz sich im Plazores aber längst nicht auf dekorative Zwecke beschränkt.
Ladinische Tradition – bis heute gelebt
Zurück an der Hefeteigstation. Wir mengen den Kartoffelstampf , Ei, Salz und Gewürze (wichtig: Anis!) unter, kneten bis zur völlogen Homogenität und gönnen dem Teig noch einmal 10 Minuten Ruhe. Der Teig hat eine für mich noch nie erlebte Konsistenz, einen Hefeteig mit Kartoffelanteil habe ich ohnehin noch nie gegessen. Ulrike freut sich, dass wir so fasziniert auf den hellgelben Klumpen auf der Arbeitsfläche starren. „Meine Leidenschaft für mein Land, meine Tradition, meine Kultur und meine Leute kulinarisch mit anderen Menschen zu teilen, macht mir große Freude. Jeder, der sich dafür begeistert, auch nur ein bisschen, trägt ein Stück von uns hinaus in die Welt“ – das steht auf dem Rezeptbuch, das sie uns später mit nach Hause gibt.
Canci Checi kennt außerhalb des Ladins tatsächlich kaum jemand. Das sind die Momente, in denen meine Vorfreude auf die erste Geschmacksprobe ins Unermessliche steigt. Wir rollen den Teig aus, stechen Kreise aus und geben drei Füllungen hinein. Die erste aus Brennesseln, Zwiebeln und Ricotta – es ist das Originalrezept, das im Plazores seit Ewigkeiten serviert wird. Dazu zwei modernere Varianten aus Speck, Zwiebeln und Käse und die dritte mit Tomate, Mozarella und Bergbasilikum. Ulrike serviert uns nebenbei ein Glas Südtiroler Prosecco – der ist dringend nötig bei der Mittagshitze, die sich im Vorgarten des Restaurants jetzt breit gemacht hat.
Canci Checi zum Sattessen
Leicht berauscht aus den angenehmen Synergien von Alkohol und Sonne starren wir ins zischende Fett. Das Rapsöl perlt an der braunen Kunsperhülle ab, der Hefeteig bläht sich auf, die Füllung schmilzt. Der erste Biss ist eine Offenbarung. Der Teig noch lauwarm, fluffig weich und gleichzeitig saftig, die Ecken knuspern leicht und das Fett schwingt selbst die dezente Brennessel auf neue Höhen. Die Dolomiten-Kulissse in der wir dieses so ur-ladinische Teigtaschen-Mahl abhalten gibt dem Moment etwas fast kitschig schönes. Eine Ricotta-Panna Cotta und ein Espresso zum Dessert bringen uns wieder in Bodennähe. Mittlerweile sitzt die ganze Familie am Tisch und stibitzt die letzten Cani Cecchi vom Teller. Ein Tag, der als Kochkurs begann und für uns wie ein kleines Familienfest endet.