Am 7. November 2013 wäre Albert Camus 100 Jahre alt geworden. Sein Einfluss auf die Philosophie und die Literatur der Nachkriegsjahre ist unumstritten. Weniger bekannt ist, dass Camus auch ein sehr politischer Mensch war. Das im Laika-Verlag erschienene Buch “Libertäre Schriften 1948-1960” dokumentiert die Grundsätze und das Engagement des Schriftstellers.
Von Kerstin Völling
“Seine Größe zeigt man nicht, indem man sich zu einem Extrem bekennt, sondern in dem man beide in sich vereinigt.”
Nein, Albert Camus ließ sich nicht erzählen, dass individuelle Freiheit und Sozialismus inkompatible Widersprüche seien. Oft musste er sich dafür rechtfertigen, gar als “begriffsstutzig” titulieren lassen. Doch Camus weigerte sich bis zu seinem Tod am 4. Januar 1960, an Dogmen zu glauben. Gleichgültig, aus welcher politischen Richtung sie auch immer kamen. Die “Libertären Schriften” (OriginaL. “Camus et les libertaires (1948-1960)”) von Lou Marin zeichnen das anhand politischer Aufsätze Camus’ und im Kontext seines Schaffens nach. Camus ging es um den Menschen in einer absurden Welt. Sein Tenor: Wenn das Leben schon objektiv sinnlos ist, dann muss man es sich nicht auch noch gegenseitig schwer machen. Im Gegenteil. Man sollte zusehen, dass man es sich gegenseitig so angenehm wie möglich gestaltet. Das hieß aber nicht, Tyrannen oder Gewaltherrschern nachzugeben. Der Existentialist engagierte sich im Widerstand gegen die deutsche Besatzung. Andererseits warnte er die Franzosen aber schon bei Kriegsende davor, ihren Rachegelüsten nachzugeben. Dass Gewalt – wie der der Nazis – manchmal eben nur mit Gewalt zu bekämpfen ist, leugnete er nicht. Für Camus lag das Verbrechen jedoch im Gewaltexzess und darin, die Lust an der Gewalt auszuleben.
“Es ist bemerkenswert, dass niedrige Seelen immer dazu neigen, Missbrauch zu treiben mit den Bruchstücken der Macht, die der Zufall oder die Dummheit ihnen in die Hände gespielt hat.”
Camus war einer der wenigen gebürtigen Algerier, die die Unabhängigkeitsbestrebungen seiner Heimat kritisch sahen. Er stand aber keineswegs auf seiten des französischen Militärs, das sich zahlreicher Menschenrechtsverletzungen schuldig machte. Er sah nur, dass in Algerien Minderheiten lebten, darunter auch Juden, die drohten, in einem Bürgerkrieg unterzugehen. Denn die Widerstandsorganisationen waren heillos zerstritten.
Mai 1958: Demonstranten stürmen das Rundfunkgebäude in Oran. Rechte: rororo
Camus reiste in sein Heimatland, um zu vermitteln: Vergeblich. Noch heute wird er in Algerien weitgehend ignoriert. Wie nah er manchen Anarchisten stand, dokumentieren die “Libertären Schriften” ebenfalls. Die abgedruckten Aufsätze wurden weitgehend in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht, die dem anarchistischen Spektrum zugeordnet sind. In diesen Aufsätzen spricht sich Camus gegen die Todesstrafe aus, für Kriegsdienstverweigerung, die bis 1963 in Frankreich unter Strafe stand, und gegen das Franco-Regime. Er stellt sich auf die Seite der ostdeutschen Arbeiter am 17. Juni 1953 und bezieht auch Position für die Aufständischen in Ungarn 1956. Die Volksgemeinschaft geht ihm nie vor der Respektierung individueller Freiheitsrechte. Grundsätzlich setzt er beide gleich. Schon früh bricht er deshalb mit der kommunistischen Partei. Zum endgültigen Bruch mit Jean-Paul Sartre kam es nach “Mensch in der Revolte“. Hauptstreitpunkt war die revolutionäre Gewalt, die für Camus begrenzt gehörte. Camus wurde aber auch von syndikalistischen Anarchisten wie Gaston Leval vorgeworfen, Grundsätzliches gar nicht zu verstehen. Ein Großteil der “Libertären Schriften” dokumentiert diese Auseinandersetzung.
Ein absurder Tod beendet ein absurdes Leben: Die Reste des Autos, in dem Camus starb. Er hatte sich überreden lassen mitzufahren. Polizisten, die Camus’ Leiche fanden, entdeckten in seiner Manteltasche eine ungelöste Zugfahrkarte. Rechte:rororo
Die “Libertären Schriften” enden mit “Die letzte Nachricht von Albert Camus”, ein Interview, das er der Zeitung “Reconstruir” gab und im Januar 1960 in Buenos Aires veröffentlicht wurde. Daraus stammen Sätze wie dieser:
“Es gibt kein rein kapitalistisches Regime und auch kein rein kommunistisches Regime mehr. Es gibt Mächte, die koexistieren, weil sie sich gegenseitig Angst machen.”