Camp 14

Von Nicsbloghaus @_nbh

Aufgrund mei­ner Biographie kenne ich natür­lich das Buch “Nackt unter Wölfen“ von Bruno Apitz. Wird darin jedoch von einer his­to­ri­schen Person in einem Konzentrationslager berich­tet, ist “Camp 14″ eher so etwas wie eine Biografie. Die Lebensgeschichte eines jun­gen Mannes, dem als ers­tem die Flucht aus einem Lager Nordkoreas gelang und der bis nach Südkorea und die USA gelangte.

Berichtet Apitz noch ver­dich­tet über die bei­spiel­haf­ten Schicksale von KZ-Häftlingen in Buchenwald, erzählt das Buch von Blaine Harden die Lebensgeschichte des jun­gen Shin Dong-hyuk, die in vie­len Interviews in Erfahrung gebracht wurde.

Selbst das Wissen drum, dass das Buch eine poli­ti­sche Botschaft ver­mit­telt und in den USA erst­ma­lig erschie­nen ist schmä­lert nicht die Aussagen. Solcherart gra­vie­rende Menschenrechtsverletzungen kann sich auch kaum jemand ein­fach nur aus­den­ken, weil es in ein ideo­lo­gi­sches Stickmuster passt.
Auch wenn man ein­ge­steht, dass Vieles von dem, was Shin Dong-hyuk berich­tet, kaum nach­zu­prü­fen sein wird; das, was berich­tet wird, ist so erschre­ckend, dass es manch­mal wirk­lich schwer­fällt, wei­ter­zu­le­sen. Das Hirn wei­gert sich, das Geschilderte auf­zu­neh­men.

Shin wurde im Lager 14 gebo­ren. Da ist es erklär­lich, dass er, der nie mit den ethi­schen Vorstellungen unse­rer Gesellschaft kon­fron­tiert war und daran auch kaum zu mes­sen ist, seine Mutter und sei­nen Bruder ver­rät. Und dar­über spä­ter auch keine Scham emp­fin­det, son­dern – selbst noch Jahre nach der Hinrichtung der bei­den – den Opfern die Schuld daran gibt, dass sie ihn in Schwierigkeiten brach­ten.

Wer dar­auf trai­niert wurde, nicht zu den­ken, nicht zu hin­ter­fra­gen, kennt sol­cher­lei Skrupel nicht; kann sie nicht ken­nen. Und von die­sen, dem Leser fast uner­träg­li­chen, psy­chi­schen Verwerfungen zu erfah­ren ist fast noch schlim­mer, als über all das Leid, den Dreck, den Hunger, das Elend, die Kälte, die Nässe, den Hunger, die Angst, die Krankheiten, den Hunger zu lesen. Was wird aus Menschen, wenn sie Gesetzen unter­wor­fen wer­den, die kaum noch mensch­li­ches haben? Sie wer­den zu Tieren. Zu Tieren, die kei­nen ethi­schen Werten; kei­nen mora­li­schen Vorstellungen unter­wor­fen sind. Die ein­fach nur fres­sen und leben wol­len. Selbst wenn das den Nächsten das Leben kos­tet.

Immerhin: ein Rest von Scham muss auch in Shin Dong-hyuk erwacht sein; aber erst, als er in Sicherheit, fort aus Nordkorea war. Erst als er der Autorin des Buches gestand, dass er es war, der seine Mutter und den Bruder bei der Lagerverwaltung ange­zeigt hat, machte er den ers­ten Schritt in das, was wir “mensch­li­che Gesellschaft” nen­nen. In den Vernehmungen zuvor hatte er seine “Schuld” immer bestrit­ten. In der Zeit im Lager, in den ers­ten 20 Jahren sei­nes Lebens, waren ihm diese Gefühle nicht nur fern; er kannte sie tat­säch­lich nicht.

Bekannt ist, dass die Zustände im Camp 14 – einem der bei­den (bekann­ten) Lager für “poli­ti­sche” Gefangene -  die schlimms­ten von allen Lagern in der Volksrepublik Nordkorea sind.  Doch Berichte von ande­ren Menschen, denen die Flucht gelang, spre­chen von ähn­li­chen Grausamkeiten auch in den “gemä­ßig­ten” Lagern. Schläge, Hunger und die Mißachtung der ein­fachs­ten Menschenrechte sind die Normalität in einem Land, des­sen Bürger kaum Rechte haben. Die Camps sind die Potenzierung der nord­ko­rea­ni­schen Gesellschaft.

Das Buch ist bei all sei­nen Schwächen ein Aufklärungsbuch. Es kommt oft wie zu has­tig erzählt daher, Vieles bleibt unklar – oder bes­ser: unscharf. Die Sprache ist rela­tiv ein­fach gehal­ten und es man­gelt an Hintergrundinformationen über die Innenpolitik und die gesell­schaft­li­che Normalität Nordkoreas: es ist oft ein­fach nur pla­ka­tiv.

Apitz ver­dich­tet die Leben Vieler zu emo­tio­nal auf­wüh­len­der Literatur; Harden schaut aus der Distanz dem Leid zu.

Und doch ist es lesens­wert, denn es berich­tet aus einem Land, wie es fer­ner nicht sein kann. Es gibt Informationen über einen Staat, den wir in den Medien nur dann wahr­neh­men, wenn die Herrscherclique unter Kim Jong-un ein­mal mehr mit den Säbeln ras­selt. Über die Menschen, die in dem Land leben (müs­sen), wis­sen wir nur wenig. Und hier stößt das Buch eine fest ver­schlos­sene Tür einen Spalt weit auf; auch wenn es ein Blick auf das Gräßlichste ist, was Menschen Menschen antun kön­nen.

Nic

Blaine Harden (Autor), Udo Rennert (Übersetzer): Flucht aus Lager 14. Deutsche Verlagsanstalt, 256 Seiten, ISBN: 978-3421045706, gebundene Ausgabe EUR 19,99, TB 10,99

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[Erstveröffentlichung: hpd]

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Nic Frank