Berichtet Apitz noch verdichtet über die beispielhaften Schicksale von KZ-Häftlingen in Buchenwald, erzählt das Buch von Blaine Harden die Lebensgeschichte des jungen Shin Dong-hyuk, die in vielen Interviews in Erfahrung gebracht wurde.
Selbst das Wissen drum, dass das Buch eine politische Botschaft vermittelt und in den USA erstmalig erschienen ist schmälert nicht die Aussagen. Solcherart gravierende Menschenrechtsverletzungen kann sich auch kaum jemand einfach nur ausdenken, weil es in ein ideologisches Stickmuster passt.
Auch wenn man eingesteht, dass Vieles von dem, was Shin Dong-hyuk berichtet, kaum nachzuprüfen sein wird; das, was berichtet wird, ist so erschreckend, dass es manchmal wirklich schwerfällt, weiterzulesen. Das Hirn weigert sich, das Geschilderte aufzunehmen.
Shin wurde im Lager 14 geboren. Da ist es erklärlich, dass er, der nie mit den ethischen Vorstellungen unserer Gesellschaft konfrontiert war und daran auch kaum zu messen ist, seine Mutter und seinen Bruder verrät. Und darüber später auch keine Scham empfindet, sondern – selbst noch Jahre nach der Hinrichtung der beiden – den Opfern die Schuld daran gibt, dass sie ihn in Schwierigkeiten brachten.
Wer darauf trainiert wurde, nicht zu denken, nicht zu hinterfragen, kennt solcherlei Skrupel nicht; kann sie nicht kennen. Und von diesen, dem Leser fast unerträglichen, psychischen Verwerfungen zu erfahren ist fast noch schlimmer, als über all das Leid, den Dreck, den Hunger, das Elend, die Kälte, die Nässe, den Hunger, die Angst, die Krankheiten, den Hunger zu lesen. Was wird aus Menschen, wenn sie Gesetzen unterworfen werden, die kaum noch menschliches haben? Sie werden zu Tieren. Zu Tieren, die keinen ethischen Werten; keinen moralischen Vorstellungen unterworfen sind. Die einfach nur fressen und leben wollen. Selbst wenn das den Nächsten das Leben kostet.
Immerhin: ein Rest von Scham muss auch in Shin Dong-hyuk erwacht sein; aber erst, als er in Sicherheit, fort aus Nordkorea war. Erst als er der Autorin des Buches gestand, dass er es war, der seine Mutter und den Bruder bei der Lagerverwaltung angezeigt hat, machte er den ersten Schritt in das, was wir “menschliche Gesellschaft” nennen. In den Vernehmungen zuvor hatte er seine “Schuld” immer bestritten. In der Zeit im Lager, in den ersten 20 Jahren seines Lebens, waren ihm diese Gefühle nicht nur fern; er kannte sie tatsächlich nicht.
Bekannt ist, dass die Zustände im Camp 14 – einem der beiden (bekannten) Lager für “politische” Gefangene - die schlimmsten von allen Lagern in der Volksrepublik Nordkorea sind. Doch Berichte von anderen Menschen, denen die Flucht gelang, sprechen von ähnlichen Grausamkeiten auch in den “gemäßigten” Lagern. Schläge, Hunger und die Mißachtung der einfachsten Menschenrechte sind die Normalität in einem Land, dessen Bürger kaum Rechte haben. Die Camps sind die Potenzierung der nordkoreanischen Gesellschaft.
Das Buch ist bei all seinen Schwächen ein Aufklärungsbuch. Es kommt oft wie zu hastig erzählt daher, Vieles bleibt unklar – oder besser: unscharf. Die Sprache ist relativ einfach gehalten und es mangelt an Hintergrundinformationen über die Innenpolitik und die gesellschaftliche Normalität Nordkoreas: es ist oft einfach nur plakativ.
Apitz verdichtet die Leben Vieler zu emotional aufwühlender Literatur; Harden schaut aus der Distanz dem Leid zu.
Und doch ist es lesenswert, denn es berichtet aus einem Land, wie es ferner nicht sein kann. Es gibt Informationen über einen Staat, den wir in den Medien nur dann wahrnehmen, wenn die Herrscherclique unter Kim Jong-un einmal mehr mit den Säbeln rasselt. Über die Menschen, die in dem Land leben (müssen), wissen wir nur wenig. Und hier stößt das Buch eine fest verschlossene Tür einen Spalt weit auf; auch wenn es ein Blick auf das Gräßlichste ist, was Menschen Menschen antun können.
Nic
Blaine Harden (Autor), Udo Rennert (Übersetzer): Flucht aus Lager 14. Deutsche Verlagsanstalt, 256 Seiten, ISBN: 978-3421045706, gebundene Ausgabe EUR 19,99, TB 10,99
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[Erstveröffentlichung: hpd]