Offiziell gilt Santiago de Compostela als Ziel des Jakobswegs. Hier soll das Grab des Heiligen Jakobus sein, hier ist das Ziel des Pilgerwegs so vieler Menschen seit vielen hundert Jahren. Die Gründe für die Pilgerreise sind heute unterschiedlicher als damals, ebenso sind es so unfassbar verschiedene Menschen unterwegs, was das Aufeinandertreffen so wunderbar spannend und interessant macht. Eines haben aber alle seit jeher gemeinsam: Santiago de Compostela als Ziel. Ob es wirklich der physische Ort ist oder ‘nur’ der Weg mit seinen unzähligen Pfeilen und Richtungsweisern nach Santiago – es ist eine Gemeinsamkeit.
Jeder Pilger, der auf dem Jakobsweg unterwegs war und Santiago de Compostela erreicht hat wird mir zustimmen, dass der Weg mit dem Ankommen in der Stadt keineswegs zu Ende ist. Die meisten kommen wie ich bewegt, inspiriert und vielleicht auch verändert wieder nach Hause in ihren Alltag und nehmen den Camino im Herzen mit. Das Ankommen gestaltet sich für eigentlich jeden, von dem ich bisher gehört oder gelesen habe, schwierig. Die Umstellung von einem einfachen Rhythmus und einem aufs Äußerste reduzierte Leben wieder hin zum Alltag – ich habe in den ersten Wochen nach meinem ersten Camino schwer gekämpft, viel geweint und hatte arge Probleme, wieder zurück zu finden in ein Leben, das so gar nicht mehr wie meines schien.
Kennt ihr schon meine Infos zur Camino-Vorbereitung?
- Vorbereitung auf den Jakobsweg: Die Ausrüstung.
- Vorbereitung auf den Jakobsweg: Das Training.
- Vorbereitung auf den Jakobsweg: Die Planung und der Kopf.
Immer wieder lese ich von Wiederholungstätern wie mir, die es regelmäßig wieder auf den Weg zieht, die zurück wollen, ja vielleicht sogar zurück müssen. Die folgenden Reisen kommen niemals an den ersten Camino heran, können die Erfahrungen und Begegnungen nicht wiederholen, können die Emotionen nicht in gleichem Maß hervorrufen. Sie können Herz und Kopf aber wieder tief treffen und ein wunderbares Wohlgefühl hervorrufen – sie können dafür sorgen, dass man sich wieder zu Hause fühlt.
Im Oktober sind es fünf Jahre, seit ich meinen ersten Camino erlebt habe, im kommenden Monat sind es drei Jahre, seit ich das letzte Mal auf ihm unterwegs war. Umso schöner ist der Gedanke, dass ich heute in 38 Tagen zurück sein werde. Diesmal zwar auf einem neuen Weg, dennoch zurück auf dem Camino. In der Zwischenzeit habe ich oft an ihn gedacht, habe von ihm geträumt und bin in Gedanken zurück gereist, wenn es mir schlecht ging und ich es brauchte. Ich kann noch heute ganze Wegstrecken im Kopf nachgehen, weiß, was hinter welchen Kurve kommt und was ich wo gefühlt und gedacht habe. Es sind oft die kleinen Dinge, deren Erinnerung mich zum Schmunzeln oder Seufzen bringt, daher dieser Beitrag über ein paar Sehnsuchtsaspekte meines Caminos.
Die Zeichen
Gelbe Muscheln auf blauem Grund und gelbe Pfeile, aufgemalt, an Wände gesprüht, auf Schilder gedruckt. Farbige Steine, in Laufrichtung als Pfeil auf dem Boden gelegt, aus Stöcken hinterlassene Wegweiser. Ausgelatschte Schuhe, die als Stilleben oder gar als Wegweiser am Wegesrand zurück gelassen wurden: die Zeichen des Caminos sind vielfältig und nicht zu übersehen!
Wie schon einmal in meinem letzten Beitrag erwähnt, ist die Furcht vor dem Verlaufen oder gar Verlorengehen auf dem Jakobsweg mehr als nur unbegründet. Vielmehr ist es so dass das Pilgerauge fast schon konditioniert wird und auch zu Hause noch über Wochen und Monate hinweg nach den bekannten und vermissten Zeichen Ausschau hält. Und wenn dann mal ein gelber Pfeil irgendwo auftaucht, wagt das Herzchen ein paar freudige Sprünge. Auch wenn die Markierung gar nichts mit dem Camino zu tun hat. Das ist dann aber auch egal.
Die Freundschaft
Auf meinem ersten Camino habe ich meine Begleitung sehr schnell (vollkommen beabsichtigt) verloren, konnte ab diesem Moment aber auf andere Menschen zu gehen und, was viel wichtiger war: sie kamen auf mich zu, nahmen mich in ihren Kreis auf und machten diesen Camino zu etwas ganz Besonderem für mich. Neben sprituellen Momenten, emotionalen Befreiungen und dem sportlich-körperlichen Aspekt war der Camino nämlich eines für mich: Ein Camino der Begegnungen.
Ich habe hier tiefe Bande geknüpft, Freundschaften fürs Leben geschlossen, die mir so schnell so viel bedeutet haben, dass ich kurzerhand auch meinen Plan für den Abschluss des Jakobswegs geändert hatte. Statt nach der Ankunft in Santiago de Compostela bis nach Finisterre zu laufen und dort irgendwas feierlich zu verbrennen und alleine dort zu sein, bin ich mit Bus und Taxi zurück nach Triacastela gefahren. Ich hatte über die Tage zuvor Kontakt zu meinen Freunden gehalten, konnte aufgrund meiner Etappen einschätzen, wann sie wo sein würden und habe mich für diesen Ort entschieden. So habe ich noch drei wunderbare Tage mit Herzensmenschen auf dem Camino verbringen können und kann bis heute sagen, dass dies ein schönerer Abschluss für mich war, als alleine am Kap von Finisterre aufs Meer zu starren.
In den Folgejahren war ich mit drei, bzw. einem Freund wieder auf dem Camino unterwegs und auch in dieser Konstellation haben wir tolle Menschen kennengelernt – die Bandbreite reichte hier von gleicher Wellenlänge bis hin zu einem Paar, das mit Sicherheit Vorlage für Hape Kerkelings Schnabbel und Gerd gestanden hat.
Dieses Jahr starte ich alleine, weiß aber, dass ich schon am ersten Abend, spätestens am nächsten Tag nette Menschen kennenlernen werde, die mich die 16 Lauftage lang begleiten werden. Der Camino gibt Dir, was Du brauchst! – ich brauche Ruhe und Zeit für mich, aber gleichzeitig die Gesellschaft netter Menschen am Abend oder in den Pausen. Und daher weiß ich, dass es so kommen wird!
Das Alleinsein
Und abermals der wichtige Punkt des Alleinseins. Ich kann das. Ich bin allerdings auch Einzelkind und habe aufgrund meiner Historie keine wirklichen Kindheitsfreunde, wie es irgendwie die meisten Menschen haben. Ich habe gute Freunde, sicherlich. Wenige, aber ich habe sie. Ich kenne es aber auch gut, alleine zu sein. Vielleicht hilft mir das ein wenig dabei, besser mit dem Alleinsein klar zu kommen, als andere, die regelrecht Furcht davor haben. Furcht davor, die eigenen Gedanken und Emotionen zu konfrontieren und Furcht davor, nicht damit klar kommen zu können.
Aber: wenn da etwas ist, das konfrontiert werden muss, sollte es nicht im Verborgenen bleiben. Letztendlich ist es aber die Entscheidung jedes Einzelnen. Ich kann nur empfehlen: Versucht es. Lernt euch kennen. Arbeitet Dinge auf. Denkt über Dinge nach, die nicht aufgeschoben werden sollten. Lasst es raus und fühlt euch freier dabei. Der Camino hilft euch dabei!
Der Rhythmus
Ein Grund, weshalb das Ankommen im Alltag schwieriger ist, als man sich das jemals im Vorfeld vorstellen könnte, ist der strikte und unkomplizierte Rhythmus, der einen auf dem Camino durch den Tag trägt. Ganz heruntergebrochen sind es nur wenige Dinge, an denen man sich auf der Pilgerreise festhält: Schlafen, Essen, Laufen, Essen, Schlafen.
Das klingt langweiliger und eintöniger als es ist, erleichtert das Leben in diesem kurzen Zeitraum enorm und hält einem vor Augen, dass es eigentlich nur wenig braucht, um Körper, Herz und Seele glücklich zu stimmen.
Der weite Blick
Auf dem Camino Francés, dem klassischen Jakobsweg, durchstreift der Pilger mit Navarra, Rioja, Nordkastilien und Galicien vier große Regionen und durchquert quasi einmal Spanien. Die Landschaft ändert sich während der Reise enorm, so beginnt der Weg in den Ausläufern der Pyrenäen und endet an der Küste. Bei schönem Wetter bietet sich so oft ein wunderbar weiter Blick, der den Augen Entspannung schenkt und das Herz frohlocken lässt. Die scheinbar endlosen Wege in der Meseta können die Nerven aufreiben und von Zeit zu Zeit auch zermürben, die Schönheit der Landschaft macht hier aber auch in den schmerzhaftesten Momenten so viel wett!
Die Stillleben
Der Hobby-Fotograf findet überall ein schönes Motiv, das Auge irrt umher und bleibt auf einem Kleinod hängen, das von vielen anderen einfach übersehen wird. Andere Länder haben da mit Sicherheit ebenso viel zu bieten wie Spanien, doch sind es die zur Mittagszeit scheinbar verlassenen Dörfer, die Ruhe und Gemächlichkeit und das wunderbare Licht, die so viele schöne Motive bieten.
Sind wir doch mal ein bißchen dankbar dafür, dass wir nicht mehr in der Zeit von 24er- oder 36-Filmen leben, sondern so viel Schönheit festhalten können!
Camino-Sehnsucht is a post from: Jakobswege, Rezepte und tolle Orte