Begründet, denn es kostet nicht viel Mut und Überwindung, es bedarf keiner Eier. Wie viel schwerer ist es da, eine quirlige, sympathische Frau im Supermarkt anzusprechen, einen Fremden um Hilfe zu bitten, seine Stimme zu erheben, wenn der Kollege es wieder einmal zu weit getrieben hat?
Ein Grund, warum der Camino einen so vital, so lebendig, so strotzend vor Lebenskraft zurückkommen lässt, ist sicher, dass alles REAL ist. Hier ist man noch wirklich an der Luft unterwegs, anstatt einem Helden auf der Leinwand vom Sessel aus zu folgen. Hier spricht man noch wirklich mit Einheimischen, Mitpilgern, schaut ihnen in die Augen, hört ihr Lachen, schenkt ihnen eine Umarmung und eine Berührung, wenn das Herz es will. Und nichts, ja wirklich nichts kommt diesem Gefühl der absoluten Lebendigkeit gleich. Selbst der verkopfteste Mensch spürt hier sein Herz und seinen Körper, lässt für einen Moment mal seine Gedanken ziehen und ist einfach nur „da“. Für einen Moment angekommen, an einem Ort, wo er immer hinwollte, im jetzt. Manche nennen diesen Zustand „Flow“.
Das lustige ist, dass dies alles fast wie von selbst passiert, ist man einmal auf dem Camino gestartet. Du machst nur den ersten Schritt, stolperst noch etwas unbeholfen in das erste Gespräch, und bist schon freier im nächsten. Losgehen ist das Geheimnis. To show up is 80% of life, hat jemand gesagt. Der Rest passiert von alleine.
Der von mir überaus geschätzte Reiseschriftsteller Andreas Altmann gibt etwaigen „Online-Beschwerern“ und Lästerern auf seiner Homepage folgende warnende Worte mit: „Bitte: Don’t write! Bedenken Sie, wie jämmerlich Sie als virtueller Maulheld wirken. Drängt es Sie tatsächlich, loszuprusten, dann kommen Sie zu einer Lesung, stehen hinterher auf und machen Ihrem geschundenen Herzen Luft. Das hat Format, das bringt Glanz in Ihr Leben.“ Wie wahr. Und wie viel Mut es doch braucht.
Dieser Text ist zugleich ein Beitrag zur Blog-Party von Lebenskünstler.at