Cage & Joyce am i-camp – Touitis “Center of Gravity”

Von Theatertogo @MarieGolueke

Eine marmorweiße Hand bricht durch eine Bergkette und schiebt sich in die Lüfte. Daraufhin krümmt sie sich zur Faust und verschwindet wieder im Berg. Vor dieser Videoprojektion setzt der Choreograph Dali Touiti in seiner neuen Tanzperformance „Center of Gravity“ zwei Tänzerinnen in Bezug zu Klang-Kompositionen von John Cage. Im Zentrum steht dabei das durch „Finnegans Wake“ von Joyce beeinflusste Werk „Roaratorio“, wodurch sich das Team inspirieren ließ und Topoi daraus assoziativ wiederaufgreift.

Die aufbäumende Geste der Hand entspricht der Körpersprache der Tänzerinnen, welche sich zunächst unabhängig und räumlich getrennt den Klangmassen ausliefern: Die hell gekleidete Edith Buttingsrud wird im Vordergrund von sich steigernden und unrhythmischen Kontraktionen in ihren Bewegungen beherrscht. Sie baut jegliche Distanz zur Komposition von Cage ab und scheint vielmehr dagegen anzukämpfen, während ihr langes Haar verschwitzt ins Gesicht schlägt. Die dunkel gekleidete Mariko Yamada hingegen agiert im Hintergrund deutlich souveräner und distanzierter zur Musik. Durch ruhige Bewegungen, gehaltene Posen und äußerlich demonstrierte Ruhe, ist sie fähig ihre Kinesphäre kontrolliert und scheinbar autonom zu gestalten. Dieses Verhältnis kehrt sich bei den harmonischen Klängen von „Sixty-Eight“ hingegen um: Yamada windet sich nun gequält und bedrängt am Boden, wodurch ein Aufbäumen und Anschluss an ihren vorherigen Bewegungsfluss nicht mehr gelingt. Buttingsrud wird allmählich fähig, sich kontrolliert den Klängen von Cage hinzugeben, sie gleichsam auf sich herabrieseln zu lassen. Schlussendlich gelingt es ihr sogar, mit der anderen Tänzerin zu interagieren. Sie ermöglicht der sich gleichsam in einem Wahn befindenden Yamada kurzzeitig und harmonisch in Embryohaltung zu verharren, während sich am Hintergrundprospekt die Hand zur Faust schließt. Gleichsam ausgetauscht lassen sich die Tänzerinnen anschließend impulsiv und freimütig über die Bühne treiben, wozu “once upon a time / the world was round / and you could go on it / around and around” als Sprechkanon aus Cages „Living Room Music“ ertönt.

Der Stil Touitis zeichnet sich durch Geschlossenheit und wiederkehrende Elemente aus. Die Bewegungen in den einzelnen Körperpartien erscheinen trotz ihres für sich stehenden Charakters immer im Zusammenhang mit dem Tänzerkörper zu stehen. Körperlicher Ausdruck entsteht mehr durch Bewegungen der Arme, des Kopfes und des Torsos, als durch Beinarbeit oder Mimik. Die hohe Kohärenz der Bewegung zum Klang und zahlreiche weitere Interferenzen stellen sicherlich einen der Gründe für die überzeugende Gesamtwirkung des Abends dar. Beeindruckend treibt der Choreograph dieses Prinzip in der Schlusssequenz auf die Spitze, wenn er Ton und Licht abschalten lässt und jenen durch ein hochpräzises und rhythmisches Atmen und Keuchen der sich weiterbewegenden Tänzerinnen ersetzt. Warum die Zuschauer hingegen während der halbstündigen Aufführung auf dem nackten Bühnenboden sitzen müssen und der Handzettel durch oberflächlichen und unkonkreten Informationsgehalt besticht, bleibt ein Rätsel.

Besuchte Vorstellung: 22.12.2012

Konzept / Choreographie: Dali Touiti; Tänzerinnen: Edith Buttingsrud, Mariko Yamada; Musik: John Cage, Geert Multer, Rupert Schwarzbauer, Dali Touiti; Licht: Dali Touiti, Rainer Ludwig; Videoinstallation: Felix Leon Westner