BVerwG stärkt kleine Religionsgemeinschaften

Von Nicsbloghaus @_nbh

Schrein des Bab in Haifa, Israel
(unter Verwendung eines Fotos bei Wikipedia)

Ende November hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) ein Urteil gefällt, das für kleine Religions- und Weltanschauungsvereinigungen erheb­li­che Bedeutung haben wird: maß­geb­lich für die Anerkennung als Körperschaft des Öffent­li­chen Rechts ist nicht die Anzahl der Mitglieder als sol­che.

Am 28.11.2012 hat das BVerwG (Az. 6 C 8.12) ent­schie­den, dass der Religionsgemeinschaft der Bahá´i in Hessen die Rechte einer Körperschaft des Öffent­li­chen Rechts ver­lie­hen wer­den müs­sen. Das hatte das hes­si­sche Kultusministerium in der Vergangenheit abge­lehnt. Nach Auffassung des Ministeriums gehö­ren in Hessen den Bahá´i mit etwa 900 bis 950 Personen nicht hin­rei­chend genug Mitglieder die­ser Religionsgemeinschaft an. Verlangt wurde eine Mitgliederanzahl von wenigs­tens 0,1 Prozent der jewei­li­gen Landesbevölkerung, was bedeu­tet hätte, dass die Bahá´i in Hessen min­des­tens 6.000 Mitglieder hät­ten haben müs­sen; sie haben bun­des­weit ins­ge­samt jedoch nur etwa 5.000 Mitglieder.

Das BVerwG hat — wie schon zuvor der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel —  es abge­lehnt, sich aus­schließ­lich an der Mitgliederzahl einer Religionsgemeinschaft zu ori­en­tie­ren und statt­des­sen wesent­lich auf das Kriterium der Dauerhaftigkeit des Bestandes der Bahá´i-Organisation abge­stellt. Dies wurde unter ande­rem vom Gericht unter Hinweis dar­auf bejaht, dass die Bahá´i-Gemeinde in Deutschland bereits seit über 100 Jahren bestehe, ihre Verbote im Dritten Reich und wäh­rend der DDR-Zeit über­dau­ert habe und eine Altersstruktur auf­weise, die die Annahme einer wei­te­ren Existenz auf abseh­bare Zeit recht­fer­tige.

Die Bedeutung von Körperschaften des Öffent­li­chen Rechts

Das Grundgesetz setzt in Art. 140 i.V.m. 137 Abs.5 WRV für die Erlangung des Status einer Körperschaft des Öffent­li­chen Rechts vor­aus, dass eine Religionsgemeinschaft “durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bie­tet”. Bislang war eine Orientierung vor­ran­gig an der rei­nen Mitgliedergröße ver­brei­tete Verwaltungspraxis.

Folgen der Zuerkennung des Körperschaftsstatus sind u.a. die Berechtigung, von den Mitgliedern Steuern erhe­ben zu dür­fen und diese über die Finanzämter ein­zie­hen zu las­sen, Steuerbefreiungen und finan­zi­elle Vergünstigungen, beson­dere Regelungen im Straf-, Arbeits- und Sozialrecht sowie zum Schutz des Organisationseigentums. Sie eröff­net auch den Zugang zu Medienräten.

Für die Deutsche Buddhistische Union, die eben­falls den Körperschaftsstatus anstrebt, bis­lang auf­grund der Verwaltungspraxis aber davon aus­ging, dass sie nicht genü­gend Mitglieder habe, ist die jet­zige Entscheidung von gro­ßer Bedeutung. Diese Vereinigung wie auch die Alevitische Gemeinde Deutschlands stre­ben als wei­tere nicht­christ­li­che Religionsgemeinschaften eben­falls den Körperschaftsstatus an.

Bislang sind aus­schließ­lich christ­li­che Religionsgemeinschaften, dar­un­ter die christ­li­chen Großkirchen, jüdi­sche Gemeinschaften, sowie als Weltanschauungsgemeinschaften der Bund für Geistesfreiheit in Bayern sowie der Humanistische Verband Deutschlands in Niedersachsen sowie einige Freikirchliche Vereinigungen als Körperschaften aner­kannt.

Der Anerkennung mus­li­mi­scher Gemeinschaften ste­hen (bis­lang jeden­falls) erheb­li­che aus dem theo­lo­gi­schen Verständnis und der bis­he­ri­gen Praxis resul­tie­rende Organisationsprobleme ent­ge­gen. Schätzungen zufolge sind von etwa 4 Millionen Muslimen in Deutschland ledig­lich etwa ein Fünftel in reli­giö­sen Vereinen und Gemeinden orga­ni­siert.

Bundesverfassungsgericht ver­langt grund­sätz­lich Rechtstreue

Die Zuerkennung des Status einer Körperschaft des Öffent­li­chen Rechts erfor­derte eine grund­sätz­li­che Rechtstreue, wie das Bundesverfassungsgericht in sei­ner Entscheidung vom 20.09.2000 zur Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas aus­ge­führt hat. Dieses Erfordernis der Rechtsstreue, der Beachtung gel­ten­den Rechts, gelte aller­dings nur grund­sätz­lich, da viele Religionsgemeinschaften einen Vorbehalt zuguns­ten ihres Gewissens und ihrer aus dem Glauben begrün­de­ten Entscheidungen erhö­ben und dar­auf bestün­den, in einem unaus­weich­li­chem Konfliktfall den Glaubensgeboten mehr zu gehor­chen als den Geboten des Rechts. Derartige Vorbehalte seien, so das Bundesverfassungsgericht, Ausdruck der für Religionen nicht unty­pi­schen Unbedingtheit ihrer Glaubenssätze.

Als ver­pflich­tend für die Religionsgemeinschaften wird in dem Urteil ange­se­hen, dass die in Art. 79 Abs. 3 GG für unab­än­der­bar (Ewigkeitsklausel) umschrie­be­nen fun­da­men­ta­len Verfassungsgrundsätze und die Grundprinzipien des frei­heit­li­chen Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes sowie die Menschenwürdekonzeption und die Grundrechte akzep­tiert wür­den.

Zur Beurteilung der Gewähr eines recht­streuen Verhaltens stellt das Bundesverfassungsgericht hin­sicht­lich einer stets anzu­stel­len­den kom­ple­xen Prognose nicht auf den Glauben der Religionsgemeinschaf, son­dern auf ihr kon­kre­tes Verhalten ab. Dem Staat sei es unter­sagt, Glaube und Lehre als sol­che zu bewer­ten, der Staat habe im Bereich genuin reli­giö­ser Fragen nichts zu regeln und nichts zu bestim­men, was ihn aber nicht daran hin­dere, das Verhalten der Religionsgemeinschaft nach welt­li­chen Kriterien zu bewer­ten. Für die Binnenstruktur der Gemeinschaft habe der Staat keine Vorgaben zu machen, solange der ver­fas­sungs­mä­ßige Ordnungsrahmen nicht beein­träch­tigt werde, etwa durch Anstreben einer Theokratie.

Die Bahá´i-Religion und ihre Grundsätze

Die Bahá´i-Religion zum Beispiel ent­stand als Abspaltung aus dem schii­ti­schen Islam in der Mitte des 19.Jahrhunderts. Aktuell gehö­ren der Religionsgemeinschaft, die ihren Hauptsitz in Haifa hat, welt­weit mehr als fünf Millionen Mitglieder (die Schätzungen rei­chen bis zu über sie­ben Millionen) in rund 100.000 Orten sowie mehr als 2.100 Volks- und Stammesgruppen an. Die Bahá’í-Religion wird als die viel­fäl­tigst orga­ni­sierte Gemeinschaft der Erde bezeich­net.

In Deutschland war diese Religion in der Nazi-Zeit seit dem 21. Mai 1937, durch einen­Son­der­be­fehl des Gestapo-Chefs Heinrich Himmler, ver­bo­ten. Sie war dann aller­dings auch in der DDR ver­bo­ten.

Die Bahá’í-Religion ist mono­the­is­tisch mit einem Glauben an einen tran­szen­den­ten Gott und dem Glauben an die Einheit der Menschheit. Die Bahá’ís gehen von einer Dualität von Körper und Seele aus, leh­nen die Evolutionslehre nicht ab, son­dern geben ihr eine eigene Deutung.

Von wesent­li­cher Bedeutung in den Glaubenslehren der Bahá’í- ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die sie als gleich­wer­tig anse­hen sowohl hin­sicht­lich ihrer Seelen als auch bezüg­lich ihrer Stellung in der Gesellschaft: “Die Menschenwelt hat zwei Flügel: Den einen bil­den die Frauen, den ande­ren die Männer. Erst wenn beide Flügel gleich­mä­ßig ent­wi­ckelt sind, kann der Vogel flie­gen. Bleibt ein Flügel schwäch­lich, so ist kein Flug mög­lich.” (Abdu’l-Bahá, eines der his­to­ri­schen Oberhäupter der Bahá’í.)

Die Emanzipation der Frau im Sinne einer voll­stän­di­gen Gleichberechtigung der Geschlechter wird als Voraussetzung für die Entwicklung eines moralisch-psychologischen Klimas ange­se­hen, was wie­derum Voraussetzung für einen Weltfrieden ist. Die Verweigerung der Emanzipation wird als Unrecht gegen­über der Hälfte der Weltbevölkerung gewer­tet.

Sexualität sehen die Bahá’í nur inner­halb der Ehe als zu prak­ti­zie­ren an. Homosexualität wird mit den Glaubensvorstellungen als unver­ein­bar ange­se­hen, aber Homosexuelle sol­len nicht dis­kri­mi­niert wer­den. Die Bahá’í unter­stüt­zen nicht die Forderung nach gleich­ge­schlecht­li­chen Ehen / Lebensgemeinschaften, leh­nen aber bewusst ein Vorgehen dage­gen ab.

Für sie ist die “Förderung der Entwicklung des ein­zel­nen Menschens und Eintreten für soziale Gerechtigkeit“ ebenso zen­tra­ler Glaubensinhalt wie umfas­sende Bildung und Ausbildung sowohl der Jungen als auch der Mädchen. In den Bahá’í -Schriften wird die Wissenschaft als “Entdecker der Wirklichkeiten” bezeich­net.

Ein reli­giö­ses Weltbild, wonach der Mensch von Grund auf “schlecht” oder aggres­siv sei, wird von den Bahá’i ebenso ver­wor­fen wie sol­che theo­lo­gi­sche Richtungen, die ein “schul­di­ges, sün­di­ges Menschenbild” leh­ren. Sie gehen von einer “neu­tra­len” mensch­li­chen Veranlagung aus, es hänge — so erklä­ren sie — vom Menschen selbst ab, wie er seine Anlagen ent­wi­ckele.

Verfolgung der Bahá’í vor allem in Iran

Solche Auffassungen sind auch ein Grund dafür, dass die Bahá’í, ins­be­son­dere im ira­ni­schen “Gottesstaat”, der keine Religionsfreiheit akzep­tiert, blu­tig ver­folgt wer­den. Hinsichtlich der etwa 300.000 im Iran leben­den Bahá’í kommt es regel­mä­ßig zu Schikanen, Diskrimierungen, aber auch zu Inhaftierungen und Hinrichtungen.

Auch wenn in säku­la­ren und huma­nis­ti­schen Kreisen Manches und sogar Grundsätzliches bezüg­lich der Organisierung von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des Öffent­li­chen Rechts strit­tig ist: auf dem Hintergrund der welt­wei­ten Verfolgung die­ser Religion und ihres frü­he­ren Verbotenseins in Deutschland erscheint die Zuerkennung des Körperschaftsstatusses an die Bahá’í wie ein Akt aus­glei­chen­der Gerechtigkeit,

Walter Otte

[Erstveröffentlichung: hpd]