Leitsatz zum Beschluss des Ersten Senats vom 12. Oktober 2010 - 1 BvL 14/09 -
Übernimmt ein Elternteil, dessen Kind aufgrund der Trennung der Eltern nicht ständig bei ihm lebt, im Rahmen des ihm rechtlich möglichen Maßes tatsächlich Verantwortung für sein Kind und hat häufigen Umgang mit diesem, der ein regelmäßiges Verweilen und Übernachten im Haushalt des Elternteils umfasst, entsteht zwischen Elternteil und Kind eine häusliche Gemeinschaft im Sinne des § 116 Abs. 6 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch, die in gleicher Weise dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG unterliegt wie diejenige, bei der Elternteil und Kind täglich zusammenleben.
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
zur verfassungsrechtlichen Prüfung,
ob § 116 Abs. 6 Satz 1 SGB X insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als er eine Haftungsprivilegierung des nicht in häuslicher Gemeinschaft lebenden, zum Unterhalt verpflichteten Kindesvaters im Gegensatz zu in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen nicht vorsieht,
- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Landgerichts Memmingen vom 27. April 2009 (2 O 2548/05) -
hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - am 12. Oktober 2010 beschlossen:
§ 116 Absatz 6 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch vom 18. Januar 2001 (Bundesgesetzblatt I Seite 130) ist mit dem Grundgesetz auch insoweit vereinbar, als nach dieser Vorschrift nicht ausgeschlossen ist, dass bei nicht vorsätzlicher Schädigung durch einen zum Unterhalt verpflichteten Elternteil, der im Zeitpunkt des Schadensereignisses mit seinem geschädigten Kind nicht in häuslicher Gemeinschaft lebt, Ansprüche nach Absatz 1 auf den Sozialhilfeträger übergehen.
§ 116 Absatz 6 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch ist im Lichte von Artikel 6 Absatz 1 und Absatz 2 des Grundgesetzes dahingehend auszulegen, dass auch derjenige Elternteil die Tatbestandsvoraussetzung eines Lebens in häuslicher Gemeinschaft erfüllt, der zwar getrennt von seinem Kind lebt, jedoch seiner Verantwortung für das Kind in dem ihm rechtlich möglichen Maße nachkommt und regelmäßigen wie längeren Umgang mit dem Kind pflegt, sodass dieses zeitweise auch in seinen Haushalt integriert ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat einen weiteren Schritt unternommen, die Rechte von ledigen Vätern ein wenig zu stärken. Diese sind allerdings mal wieder an bestimmte Bedingungen geknüpft:
c) Trägt ein Elternteil mit dem anderen Elternteil, bei dem sich sein Kind vorrangig aufhält, gemeinsam die Sorge für das Kind oder ist allein aus Kindeswohlgründen nicht ihm, sondern dem anderen Elternteil die Alleinsorge eingeräumt, zahlt er regelmäßig den vereinbarten oder gerichtlich festgesetzten Kindesunterhalt und praktiziert den verabredeten oder ihm eingeräumten regelmäßigen Umgang mit dem Kind, der auch ein Verweilen des Kindes in seinem Haushalt umfasst, kommt dieser Elternteil in vollem, ihm rechtlich möglichen Umfang seiner elterlichen Verantwortung seinem Kind gegenüber nach. Einer solchermaßen gelebten familiären Beziehung zwischen dem Kind und seinem Elternteil kann nicht allein aufgrund dessen, dass beide nicht ständig zusammenleben, ein Leben in häuslicher Gemeinschaft abgesprochen werden. Das gilt nicht nur für den Fall, dass sich das Kind im Wechsel gleichlange Zeit bei jedem Elternteil aufhält, sondern auch dann, wenn das Kind in regelmäßigen Abständen einige Tage bei dem Elternteil verbringt und währenddessen bei ihm übernachtet, dort zumindest einen festen Schlafplatz hat, von ihm verköstigt wird und insofern bei ihm ein zweites Zuhause hat. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist von einer häuslichen Gemeinschaft zwischen dem Elternteil und dem Kind auszugehen, die von ausgeübter Verantwortung für das Kind und einem zumindest zeitweisen Zusammenleben und Haushalten mit dem Kind getragen ist.
Es bleibt daher die Frage offen, welche Rechte jene Väter haben, die sich aus diversen Gründen weniger um ihre Kinder kümmern (dürfen).