“…Nur langsam geraten einige wenige Details über die Geheimverhandlungen an die Öffentlichkeit. Während die etablierte Politik das geplante Abkommen begrüßt, mehrt sich in der Bevölkerung Widerstand. Verbraucherschützer und Gewerkschaften kritisieren insbesondere, daß es zu einer Angleichung von Normen und Standards in den USA und der EU kommen soll. Dies hätte zur Folge, daß EU-Bürgerinnen und -bürger sich auf deutliche Verschlechterungen bezüglich der bisherigen Finanzmarktregeln, Arbeitnehmerrechte und Umweltstandards einstellen müssen, die weitgehend an die bestehenden Regelungen der Vereinigten Staaten angepaßt werden sollen.
Auch die im TTIP vorgesehenen juristischen Privilegien für Investoren und der angestrebte Abbau regulatorischer »Hindernisse« für Unternehmen stößt zunehmend auf Kritik. Ebenso, daß die Verhandlungen nicht transparent geführt werden. Virginia Robnett von der »Coalition for Sensible Safeguards« (Koalition für sinnvolle Schutzmaßnahmen) mit Sitz in Washington DC, die kürzlich von der Linksfraktion als Sachverständige für eine Anhörung im Bundestag benannt worden war, bescheinigte TTIP noch weniger Transparenz als den meisten vorigen Abkommen. So hatte etwa US-Unterhändler Dan Mullaney im Juli 2013 in einem Schreiben an EU-Verhandlungsführer Ignacio Garcia-Bercero die Vorgaben des US-Handelsbeauftragten für die Vertraulichkeit der TTIP-Verhandlungstexte dargelegt. Demnach sollten »sämtliche Dokumente im Zusammenhang mit der Verhandlung bzw. Entwicklung des TTIP-Abkommens, darunter auch die Verhandlungstexte, die beiderseitigen Vorschläge, das erklärende Begleitmaterial, die Diskussionspapiere, die E-Mails im Zusammenhang mit dem Inhalt der Verhandlungen sowie sonstige Informationen, die im Rahmen der Verhandlungen ausgetauscht werden, vertraulich untereinander geteilt werden und vertraulich bleiben«. Sie sollten nur den Personen zugänglich gemacht werden, die sie nach Meinung des US-Handelsbeauftragten »notwendigerweise zu sehen bekommen müssen«.
Eben diese Geheimstrategie soll auch bei Protesten von Bürger- und Menschenrechtsorganisationen kritisiert werden, die in diesem Jahr – zum Beispiel am 30. August in Berlin – erneut unter dem Motto »Freiheit statt Angst« gegen die uferlose Überwachung der Bevölkerung durch US-Geheimdienste wie die NSA auf die Straße gehen wollen. Aufgrund der nicht enden wollenden Spitzeleien der US-Dienste hatten unter anderem Abgeordnete der Linksfraktion im Bundestag gefordert, die TTIP-Verhandlungen zu stoppen. Die Regierungskoalition aus Union und SPD lehnt dies nach wie vor ab – allerdings gibt es in ihren Reihen auch kritische Stimmen: Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach hat seine bisherige Position kürzlich revidiert und nach der Enttarnung von Zuträgern der US-Geheimdienste in deutschen Ministerien einen Verhandlungsstopp ins Gespräch gebracht: »Mein Rat: jetzt mal eine Zäsur bei den Verhandlungen, um mal über Datenschutz und Datensicherheit mit den Amerikanern zu sprechen«, forderte Bosbach im Deutschlandfunk und verwies darauf, daß gerade Wirtschafts- und Industriespionage für eine exportstarke Nation wie Deutschland mit vielen wissensbasierten Produkten von erheblichem Nachteil sei.
Während Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) das TTIP wegen der Spionageaffäre bereits in Gefahr sieht, hält Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) störrisch an den Verhandlungen fest. Maas hingegen warnte, daß man »für ein solches Abkommen ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Zustimmung in Deutschland« brauche. »Und die läuft uns im Moment wegen der Spionageaffäre davon«, sagte er am 12. Juli der Frankfurter Rundschau.
Daß eben dieses Mindestmaß nicht vorhanden ist, liegt auch an der bisherigen Politik der Bundesregierung. Deren Antworten auf eine große Anfrage der Linksfraktion in Sachen TTIP haben die Fragesteller Mitte Juli veröffentlicht – nachdem sie mehr als fünf Monate darauf waren mußten. Zufrieden sind sie mit den Antworten nicht:. »Die Kunst der doppelten Null beherrscht die Bundesregierung virtuos. Sie redet entweder nichtssagend wie die Diplomaten, oder sie schweigt eisern wie die Mafia«, kritisierte die Linksfraktion. Die Qualität der insgesamt 125 Antworten stehe im »krassen Mißverhältnis« zu der langen Bearbeitungszeit. »Es ist schon ein starkes Stück, mit welcher Unverbindlichkeit und wie ausweichend die Bundesregierung antwortet«, kommentierte der Linken-Abgeordnete Klaus Ernst. »Dabei treiben all die Fragen, die wir stellen, auch viele Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und ganz Europa seit Monaten um. Werden die hohen Schutzstandards und das Vorsorgeprinzip unter anderem bei der Zulassung von Inhaltsstoffen von Arzneimitteln und Kosmetika oder generell von Chemikalien weiter so hoch bleiben wie bisher? Sind arbeitsrechtliche Standards oder gar ein Mindestlohn künftig ein Handels- und Investitionshindernis? Und werden diese und unzählige andere Regeln, Normen und Standards durch Entscheidungen von außergerichtlichen, privaten Schiedsgerichten kassiert, so daß am Ende klagende Unternehmen auch noch teuer mit Steuermitteln entschädigt werden müssen?« fragte sich Ernst.
Tatsächlich ist die von TTIP ausgehende Gefahr für die arbeitende Bevölkerung nicht zu unterschätzen. Ist das Abkommen einmal geschlossen, sind die darin enthaltenen Regelungen nur noch mit Zustimmung beider Verhandlungspartner änderbar – und somit nicht ohne Zustimmung der USA.
Quelle: http://www.jungewelt.de/2014/07-30/051.php