Bundesversicherungsamt: Klare Richtlinien für Verträge und Vertragsverhandlungen nach §127 SGB V – und eine schallende Ohrfeige für einige Krankenkassen

Bundesversicherungsamt: Klare Richtlinien für Verträge und Vertragsverhandlungen nach §127 SGB V – und eine schallende Ohrfeige für einige Krankenkassen

© S. Hofschlaeger / pixelio.de

Ich hatte ja schon vorab berichtet, dass das Bundesversicherungsamt strenge Richtlinien zum Inhalt der Verträge nach §127 SGB V und zum Ablauf der Vertragsverhandlungen durch Rundschreiben bekanntgeben wollte (BVA: Verträge nach §127 II SGB V müssen strenge Kriterien erfüllen « Rechtsanwaltssozietät Scherer & Körbes).

Und tatsächlich ist dies Rundschreiben jetzt unter dem Datum 28.12.2010 veröffentlicht, ich dokumentiere es nachfolgend sowohl im Wortlaut als auch inhaltlich.

Nur Eines vorab: Juristen, die nicht täglich mit den Verträge und den Vertragsverhandlungen nach §127 SGB V zu tun haben, werden sich wundern, wieso die nachfolgend dokumentierten Richtlinien des Bundesversicherungsamtes (BVA) keine Selbstverständlichkeit sind, denn immerhin wähnt man sich ja gemeinhin bei den Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts gut aufgehoben und geht davon aus, dass dort Fairness im Umgang mit Vertragspartnern und rechtmässiges Verhalten jederzeit zu erwarten ist.

Und tatsächlich wird das Rundschreiben  in den Vertragsabteilungen vieler Krankenkassen lediglich Schulterzucken auslösen, weil man sich dort an die Spielregeln eines fairen und im gegenseitigen Respekt geführten Austausch mit den Leistungserbringern und ihren Vertretern hält – in Kenntnis des Gesetzes und der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sowie der Vorgaben des Bundesversicherungsamtes.

Aber bei einigen Krankenkassen, die in den letzten Monaten mit grosser Agressivität Verträge in den Markt gedrückt haben, die einseitig zu Lasten der Leistungserbringer gestaltet waren und ein wirtschaftliches Arbeiten praktisch unmöglich machten, wird dieses Rundschreiben wie eine Bombe eingeschlagen sein. Diese Kassen werden nicht nur ihre Verträge überdenken müssen – und zwar grundlegend -, sondern auch ihr Verhalten in Vertragsverhandlungen. Sie werden akzeptieren müssen, dass sie nicht mehr einseitig Vertragsverhandlungen verhindern und/oder blockieren können und dass sie zukünftig auf einen Ausgleich mit den Leistungserbringern angewiesen sind.

Aber auch auf die Leistungserbringer und ihre Interessengemeinschaften kommt ein Umdenken zu: sie müssen endlich zu gleichwertigen Verhandlungs- und Vertragspartnern der Kasse werden, und sie werden verstehen müssen, dass solche Verträge ausgehandelt werden müssen – und dass Vertragsverhandlungen bei den nun einmal vorgegebenen Interessengegensätzen durchaus auch einmal mit härteren Bandagen geführt werden müssen.

Kuschelkurs war gestern!

In diesem Zusammenhang rate ich durchaus zu einem Seitenblick auf die Tarifvertragsparteien des Arbeitsrechts – harte Vertragsverhandlungen um neue Arbeitsbedingungen führen keineswegs zwangsläufig dazu, dass man nach Abschluss eines Vertrages nicht wieder kooperativ zusammenarbeitet – und machen wir uns nichts vor, für die Leistungserbringer im Gesundheitswesen haben die Verträge mit einer gewissen Anzahl von (grossen und marktbeherrschenden) Krankenkassen ähnlich existenzielle Bedeutung wie Tarifverträge für die betroffenen Arbeitnehmer.

Das BVA jedenfalls scheint das von den Leistungserbingern schon lange als machtmissbräuchlich empfundene Verhalten einiger Krankenkassen zukünftig nicht mehr dulden zu wollen; es eröffnet deswegen sein Rundschreiben auch mit einer mehr als überraschenden Formuliereng:

„Die Praxis hat gezeigt, dass Krankenkassen … eine Verhandlungsposition erlangt haben, die verschiedentlich missbräuchlich gegenüber den Leistungserbringern ausgenutzt wird.“

Und auf eine Passage des Rundschreibens kann nicht deutlich genug hingewiesen werden:

Der Gesetzgeber hat das Betrittsrecht nach § 127 Abs. 2a SGB V nachträglich eingeführt, weil die Vertragsverhandlungen nach § 127 Abs. 2 SGB V derart schleppend vorangingen, dass ein Versorgungsausschluss der Leistungserbringer drohte. Ziel der Beitrittsregelung war es, die Rechtsposition der Leistungserbringer zu stärken. Die Übergangsfrist des § 126 Abs. 2 S. 3 SGB V ist Ende 2009 ausgelaufen. Unter dem Druck dieser Frist haben zahlreiche Leistungserbringer von ihrem Recht auf Vertragsbeitritt Gebrauch gemacht, um überhaupt noch zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen abrechnen zu können. In vielen Fällen ist es daher nicht zu Vertragsverhandlungen mit den Kassen gekommen. Die Leistungserbringer haben daher u.U. Vertragsinhalte gegen sich gelten lassen, die sie selbst nicht ausgehandelt hätten. Nach Auffassung des Bundesversicherungsamtes sind die Kassen ungeachtet der ausgesprochenen Vertragsbeitritte weiterhin verpflichtet, Angebote von Vertragspartnern zur teilweisen Abänderung der Beitrittsverträge ernsthaft zu prüfen.

Diesen Absatz müssen sämtliche Leistungserbringergruppen ernst nehmen und umgehend durch neue Vertragsverhandlungen in die Tat umsetzen, wenn sie nicht ihre Vertretungsberechtigung für die Leistungserbringer aufgeben wollen.

Das Rundschreiben endet im übrigen mit dem durchaus drohenden Satz in Richtung der Krankenkassen:

„Wir bitten Sie, die dargestellte Rechtslage in ihrem Vertragsgeschäft zu beachten.“

Dies ist eine mehr als deutliche Aufforderung, die durchaus berechtigte Hoffnungen nährt, dass das BVA willens ist, die nun aufgestellten Grundsätze auch in der Praxis durchzusetzen.

Zu  den Vorgaben in dem Rundschreiben im Einzelnen:

  • Die Krankenkassen dürfen Leistungserbringer nicht ohne sachlichen Grund von Vertragsverhandlungen ausschließen oder gegenüber anderen Leistungserbringern benachteiligen.
  • Die Leistungserbringer haben keinen Anspruch auf Vertragsabschluss zu den von ihnen benannten (Preis-) Konditionen, da die vertragsrechtliche Ausgestaltung sich aus dem Verhandlungsgeschehen im freien Spiel der Kräfte entwickelt .
  • Die Krankenkassen sind verpflichtet, Vertragsangebote der Leistungserbringer ernsthaft zu prüfen.
  • Bei dem Recht gemäß § 127 Abs. 2a SGB V handelt es sich um ein Beitrittsrecht und nicht um eine Beitrittspflicht. Die Krankenkassen können daher Vertragsverhandlungen nicht mit Verweis auf andere beitrittsfähige Leistungserbringerverträge ablehnen; dies gilt nur dann nicht, wenn der Abschluss eines Vertrages begehrt wird, der mit einem bereits bestehenden Vertrag inhaltsgleich/ identisch ist, denn dann sind die Rechte der Leistungserbringer aus Art. 12, 2 GG durch den möglichen Vertragsbeitritt gewahrt.
  • Die Angemessenheit einzelner Vertragsregelungen ist entsprechend § 61 S. 2 SGB X, § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V, §§ 305 ff. BGB überprüfbar, also anhand der allgemeinen Regelungen des BGB, insbesondere des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen. Dies wiederum setzt voraus, dass es sich um vorformulierte Vertragsklauseln handelt, die nicht zur Disposition der Vertragspartner gestellt wurden. Dies ist im Einzelfall zu prüfen – und wird nach meiner Einschätzung bei den derzeit im Umlauf befindlichen Verträgen zwingend zu einer Anwendung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen führen, da diese Vertragstexte einseitig durch die Krankenkassen ohne Diskussion vorgelegt worden sind.
  • Die Absicht von Vertragsschlüssen ist bekannt zu machen, wobei ein ausreichendes Maß an Öffentlichkeit zu gewährleisten ist. Dieser Verpflichtung kann sich eine Krankenkasse nicht dadurch entziehen, dass sie dem Vertrag einer anderen Krankenkasse, eines Landesverbandes oder einer Arbeitsgemeinschaft beitritt – ein klassisches Beispiel für einen Verstoss dürften da die Beitritte zum GWQ-Vertrag durch Betriebskrankenkassen sein.
  • Jedem Leistungserbringer steht ein umfassender und vollständiger Informationsanspruch zu, und zwar nicht nur, wenn er schon leistungsberechtigt ist, sondern auch, wenn er dies in absehbarer Zeit wird. Die Informationen haben kostenfrei zu erfolgen – zB. durch die Möglichkeit des Downloads im Internet – und beziehen sich auf den vollständigen Vertragstext einschliesslich aller Anlagen – also nicht nur auf verkürzte Auszüge aus dem Vertrag, sogenannte „Vertragssteckbriefe“.
  • Werden Hilfsmittelverträge nach § 127 Abs. 2 SGB V von Arbeitsgemeinschaften oder Landesverbänden der Krankenkassen geschlossen, steht dem Leistungserbringer ein Wahlrecht zu, ob er seine Anfrage nach § 127 Abs. 2 Satz 4 SGB V an die Krankenkasse oder den in der vertraglichen Vereinbarung genannten Vertragspartner richtet.
  • Gemäß § 127 Abs. 2a SGB V können Leistungserbringer den Verträgen nach § 127 Abs. 2 SGB V zu gleichen Vertragsbedingungen beitreten. Auf der Leistungserbringerseite wird hierdurch der jeweils Beitretende eigener Vertragspartner der Kasse. Allerdings besteht kein Anspruch auf einen auf einzelne Vertragsklauseln beschränkten Vertragsbeitritt (bspw. einzelne Produktgruppen). Sollten die Kassen dies zulassen, wird ein neuer Vertrag geschlossen, zu dem wiederum ein Vertragsbeitritt eines Dritten nach § 127 Abs. 2a SGB V möglich ist.
  • § 127 Abs. 2a SGB V befreit die Krankenkassen nicht von ihrer Verpflichtung, Vertragsverhandlungen zu führen, denn es besteht ein Beitrittsrecht, nicht aber eine Beitrittspflicht. Die Krankenkassen sind daher nicht berechtigt, Leistungserbringer ausschließlich auf vorliegende Verträge nach § 127 Abs. 2 SGB V zu verweisen und weitergehende Vertragsverhandlungen abzulehnen. Die Krankenkassen können interessierte Leistungserbringer zunächst auf ihre Palette an „Musterverträgen“ verweisen, um die Vertragsverhandlungen zu verkürzen. Der auch hier grundsätzlich bestehenden Pflicht zum Führen von Vertragsverhandlungen kommen die Krankenkassen nach, wenn sie neben dem Angebot, einem dieser Verträge beizutreten, gleichzeitig im Bedarfsfall Bereitschaft zeigen, einzelne individuelle Vertragsregelungen zu prüfen.
  • Ein Anspruch auf einen Vertragsabschluss zu bestimmten Konditionen besteht nicht . Insbesondere sind die Krankenkassen nicht verpflichtet, Preiskalkulationen, die sie anlässlich des Abschlusses von „Musterverträgen“ bereits geprüft haben, einer erneuten individuellen Prüfung zu unterziehen (Hier sei mir allerdings die Anmerkung gestattet, dass die abgeschlossenen Verträge tatsächlich auf nachvollziehbaren, kostendeckenden und damit wirtschaftlichen Preiskalkulationen beruhen müssen – was bei bestimmten Verträge doch eher nicht anzunehmen ist).
  • Der Gesetzgeber hat das Betrittsrecht nach § 127 Abs. 2a SGB V nachträglich eingeführt, weil die Vertragsverhandlungen nach § 127 Abs. 2 SGB V derart schleppend vorangingen, dass ein Versorgungsausschluss der Leistungserbringer drohte. Ziel der Beitrittsregelung war es, die Rechtsposition der Leistungserbringer zu stärken. Die Übergangsfrist des § 126 Abs. 2 S. 3 SGB V ist Ende 2009 ausgelaufen. Unter dem Druck dieser Frist haben zahlreiche Leistungserbringer von ihrem Recht auf Vertragsbeitritt Gebrauch gemacht, um überhaupt noch zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen abrechnen zu können. In vielen Fällen ist es daher nicht zu Vertragsverhandlungen mit den Kassen gekommen. Die Leistungserbringer haben daher u.U. Vertragsinhalte gegen sich gelten lassen, die sie selbst nicht ausgehandelt hätten. Nach Auffassung des Bundesversicherungsamtes sind die Kassen ungeachtet der ausgesprochenen Vertragsbeitritte weiterhin verpflichtet, Angebote von Vertragspartnern zur teilweisen Abänderung der Beitrittsverträge ernsthaft zu prüfen.
  • Eine Beschränkung in den Verträge auf Vertragspartner, die eine bundesweite Versorgung sicherstellen können, ist unzulässig, denn sie schliessen Leistungserbringer unrechtmässig aus oder zwingen sie in eine ebenfalls unzulässige Subunternehmerstellung.
  • Eine elektronische Kostenabrechnung kann gefordert werden.
  • Elektronische Kostenvoranschläge hingegen können nicht einseitig durch die Krankenkassen verlangt werden, ebenso können die Krankenkassen nicht einseitig einen Anbieter vorschreiben oder Rechnungskürzungen vornehmen, wenn nicht aufgrund eines eKV geliefert wird.
  • Die einseitige Belastung der Leistungserbringer mit den Kosten eines elektronischen Kostenvoranschlags benachteiligt diese unangemessen – und zwar jede einseitige Belastung, egal, in welcher Höhe!
  • Eine einseitige Vorgabe der Krankenkasse zur Zertifizierung ist unzulässig.
  • Vertragsstrafen müssen sich an den allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts orientieren, sodass sie grundsätzlich nur angemessen sind, wenn sie eine Obergrenze von 5% der Auftragssumme vorsehen.
  • Eine Pauschalierung von Schadensersatz ist nur bei einer dem Grunde nach bestehenden Schadensersatzpflicht und der Einhaltung der Vorgaben des § 309 Nr. 5 BGB wirksam, d.h. sie darf den in den geregelten Fällen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden oder die gewöhnlich eintretende Wertminderung nicht übersteigen und dem anderen Vertragsteil muss der Nachweis gestattet sein, dass der Schaden oder eine Wertminderung nicht entstanden oder wesentlich niedriger als die Pauschale ist.
  • Eine als AGB vorgegebene Vertragsklausel, die es einer Krankenkasse ermöglicht, Vertrags- inhalte an sich ändernde Verhältnisse einseitig anzupassen, ist nur zulässig, wenn sie sich im Rahmen des Angemessenen hält, die Änderungsgründe geregelt sind und die angemessene Berücksichtigung der Interessen des Vertragspartners erkennen lässt.

Das Rundschreiben insgesamt lesen Sie nachfolgend. Sie finden es zum Download auch hier: (Bundesversicherungsamt – Rundschreiben zum Thema Krankenversicherung).

Photo: www.pixelio.de

Bundesversicherungsamt: Klare Richtlinien für Verträge und Vertragsverhandlungen nach §127 SGB V – und eine schallende Ohrfeige für einige Krankenkassen


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