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Unter Stalking oder Nachstellung wird das willentliche und wiederholte (beharrliche) Verfolgen oder Belästigen einer Person verstanden, deren physische oder psychische Unversehrtheit dadurch unmittelbar, mittelbar oder langfristig bedroht und geschädigt werden kann. Stalking ist in vielen Staaten ein Straftatbestand und Thema kriminologischer und psychologischer Untersuchungen. So jedenfalls beschreibt es Wikipedia.
Für die Opfer hat dies oft ungeahnte negative Folgen, und nicht selten führt Stalking bei ihnen zu Nachteilen, die einer Entschädigung wert sind.
In einer aktuellen Entscheidung (Urteil vom 7. April 2011Az: B 9 VG 2/10 R) hatte sich das Bundessozialgericht hiermit auseinander zu setzen, und der 9. Senat kam zu dem Ergebnis, dass Stalking-Opfer unter bestimmten Voraussetzungen mit Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz rechnen können – aber eben nicht generell.
Grundlage des Falls war folgender Sachverhalt: eine inzwischen 60-jährigen Frau hatte mehrere Monate mit einem alkoholkranken Mann zusammengelebt. Ab Oktober 2001 versuchte sie, diese Beziehung zu beenden. Der Mann akzeptierte dies nicht und stellte ihr über zwei Jahre lang nach: Er lauerte ihr immer wieder auf, um sie zu verfolgen und mit ihr zu sprechen, rief sie häufig zu jeder Tages- und Nachtzeit an und sandte ihr SMS, Briefe, Postkarten und „Geschenke“. Darüber hinaus veranlasste er missbräuchlich u.a. Einsätze von Polizei, Notarzt und Feuerwehr zur Wohnung der Frau. Wiederholt kam es zu Bomben- oder Todesdrohungen des Mannes ihr und ihren Familienangehörigen gegenüber. Obwohl gegen ihn zwei gerichtliche Schutzanordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz ergangen waren, ließ er nicht von der Frau ab, bis er schließlich wegen Bedrohung und mehrfachen Verstosses gegen die Schutzanordnungen zu Freiheitsstrafen verurteilt wurde. Über den gesamten Zeitraum der Nachstellungen kam es ‑ abgesehen von einem Griff an den Arm mit Herumreißen der Klägerin vor einem Geschäft ‑ nicht zu körperlichen Übergriffen.
Die Frau allerdings erkrankte aufgrund seines Verhaltens an einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Erschöpfungs‑ und Angstzuständen, Nervosität, Konzentrations‑ und Schlafstörungen; diese Erkrankung führte bei ihr zur Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft.
Für das Bundessozialgericht stellt sich nun die Frage, ob der Frau Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz zustehen; hiernach kann jemand Versorgungsleistungen beanspruchen, wenn er infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat.
Doch nach der Auffassung des Bundessozialgerichts ist Stalking, das seit 2007 ein besonderer Straftatbestand ist, nicht generell als tätlicher Angriff im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes zu werten. Dieser Begriff setzt grundsätzlich eine in feindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung voraus. Je geringer dabei die Kraftanwendung durch den Täter ist, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Drohung mit Gewalt ist nur dann als tätlicher Angriff anzusehen, wenn die Gewaltanwendung unmittelbar bevorsteht. Hingegen reichen „gewaltlose“, insbesondere psychische Einwirkungen auf das Opfer nicht aus.
Dementsprechend ist Voraussetzung für Entschädigungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz auch weiterhin ein nicht unerhebliches Mass an Gewalt. Das Landessozialgericht hatte noch dahingehend argumentiert, dass das Ziel des Stalkers nicht der Körper, sondern die Seele des Opfers sei, deswegen seien die jahrelangen Nachstellungen ein tätlicherAngriff; das BSG hingegen sah es heute anders.
Für mich leitet sich aus diesem Urteil die Frage ab, ob ergänzend zur Strafbarkeit des Stalkings eine Anpassung des Opferentschädigungsgesetzes erforderlich wird. Nicht nur für den juristischen Laien ist es verwunderlich, dass jemand Opfer einer Straftat werden kann – und dabei Folgen erleidet, die denjenigen einer körperlichen Misshandlung gleichstehen – und er trotzdem keine Entschädigung erhält, obwohl der Täter sich „nur“ eines anderen Mittels bedient hat, um das gleich Ziel zu erreichen.
Pressemitteilung des BSG