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Nun soll es ja Flugbegleiterinnen geben, die mutmasslich schon relativ früh den reichen Mann fürs Lebens finden und jedenfalls schon relativ zeitig nicht mehr arbeiten, um sich stattdessen dem süssen Nichtstun hinzugeben, Rosen zu züchten, Vögel zu füttern oder tagtäglich das Internet zu bevölkern, auf dass sie dort mehr oder weniger sinnreiche Kommentare über Gott und die Welt, Kachelmann und Narzissmus produzieren. Doch die Mehrheit der in diesem Beruf Tätigen geht auch über das 40. Lebensjahr hinaus ihrem Beruf nach – und einige sogar noch deutlich länger.
Eine solche langjährige Flugbegleiterin jedenfalls, die schon seit seit 1970 bei einer Fluggesellschaft tätig war, klagte aufgrund ihres Alters gegen eine Regelung im für sie geltenden Manteltarifvertrag Nr. 11 Kabinenpersonal LTU in der Fassung vom 1. Januar 2007, in dem unter anderem Folgendes bestimmt ist:
„§ 47. Erreichen der Altersgrenze
Das Arbeitsverhältnis endet – ohne dass es einer Kündigung bedarf – mit Ablauf des Monats, in dem die Zahlung einer Altersrente durch den gesetzlichen Versicherungsträger eintritt, spätestens jedoch mit Ablauf des Monats, in dem der Arbeitnehmer das 60. Lebensjahr vollendet hat.“
Sie bat die Fluggesellschaft um die Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses über die tarifliche Altersgrenze hinaus. Dies wurde jedoch abgelehnt. Sie reichte daraufhin Klage ein mit dem Ziel einer Weiterbeschäftigung, denn die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund der Altersgrenzenregelung sei unwirksam. Für eine Altersgrenze von 60 Jahren für Kabinenpersonal gebe es keinen sachlichen Grund. Außerdem bewirke die Regelung eine unzulässige Diskriminierung wegen Alters.
Die Fluggesellschaft hielt die Regelung und damit die Beendigung des Arbeitsverhältnisses für wirksam. Die tarifliche Altersgrenze diene ebenso wie die Altersgrenze von 60 Jahren für Cockpit-Personal der Flugsicherheit und sei daher von der Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien gedeckt. Das Kabinenpersonal sei in gleicher Weise wie das Cockpit-Personal außergewöhnlich hohen physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt. Wegen dieser besonderen Belastungen sei die Wahrscheinlichkeit eines altersbedingten Leistungsabbaus höher als bei anderen Arbeitnehmern. Der Ausfall eines Mitglieds des Kabinenpersonals könne die Flugsicherheit erheblich gefährden.
Die Altersgrenze von 60 Jahren für Kabinenpersonal sei auch aus Gründen der Gleichbehandlung mit Cockpit-Personal nach Art. 3 Abs. 1 GG sowie zur Verhinderung einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung des zu 95, 79 % männlichen Cockpit-Personals geboten.
Die Flugbegleiterin gewann ihren Prozess sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem Landesarbeitsgericht. Die Fluggesellschaft allerdings legte Revision ein, sodass das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden hatte.
Dies kam in seiner Entscheidung am 23.06.2010 (Az. 7 AZR 112/08 (A) zu dem gleichen Ergebnis wie die Vorinstanzen: die Klage der Flugbegleiterin sei zulässig und begründet, denn das Arbeitsverhältnis der Parteien habe nicht nach § 47 MTV Nr. 11 geendet. Die in dieser Bestimmung festgelegte Altersgrenze von 60 Jahren für Kabinenpersonal sei unwirksam, weil für sie kein sachlicher Grund iSv. § 14 Abs. 1 TzBfG bestehe.
Tatsächlich bestände beim Einsatz von Kabinenpersonal kein annähernd vergleichbares Risiko für die Sicherheit des Flugverkehrs wie beim Einsatz von Cockpit-Personal, für das nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats eine Altersgrenze von 60 Jahren sachlich gerechtfertigt sei – übrigens eine inzwischen auch überholte Altersgrenze, wie sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 13.11.2011 (Az. c-447/09 Prigge u.a.) ergibt, aber davon an anderer Stelle mehr.
Nach der bereits vor Inkrafttreten des TzBfG am 1. Januar 2001 entwickelten ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seien Altersgrenzen, die eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt vorsehen, in dem der Arbeitnehmer noch nicht die Möglichkeit hat, eine gesetzliche Altersrente zu beziehen, sachlich gerechtfertigt, wenn das Erreichen eines bestimmten Lebensalters wegen der vom Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeit zu einer Gefährdung wichtiger Rechtsgüter führen kann. Beim Kabinenpersonal sah aber auch das BAG keine nachvollziehbaren Anhaltspunkte für die Annahme, dass das altersbedingte Nachlassen der Leistungsfähigkeit von Mitgliedern des Kabinenpersonals zu einer ernsthaften Gefährdung von Leben und Gesundheit der Passagiere, der Flugbesatzung oder der Personen in den überflogenen Gebieten führen könne. Die Tarifvertragsparteien hätten daher die ihnen zustehende Einschätzungsprärogative und ihren Gestaltungsspielraum bei der Normsetzung überschritten. Das Sicherheitsrisiko beim Einsatz von Kabinenpersonal sei demjenigen von Cockpit-Personal nicht annähernd vergleichbar. Fälle, in denen der altersbedingte Ausfall eines Mitglieds des Kabinenpersonals die Passagiere, die Besatzung oder gar Menschen in überflogenen Gebieten in ernste Gefahr bringen könnte, seien derart theoretisch und unwahrscheinlich, dass sie nicht geeignet seien, eine generelle Altersgrenze für diese Personengruppen zu rechtfertigen. Falls ein Mitglied des Kabinenpersonals tatsächlich während eines Flugs altersbedingt ausfallen sollte, würden dadurch Leib und Leben der Flugpassagiere und der Besatzungsmitglieder oder sonstige wichtige Rechtsgüter nicht gefährdet. Allein mit der extremen Ausnahmesituation einer etwaigen Notlandung lasse sich die Altersgrenze nicht rechtfertigen.
Die Altersgrenze von 60 Jahren sei auch nicht deshalb sachlich gerechtfertigt, weil das Kabinenpersonal die Möglichkeit habe, Ansprüche auf eine von der Fluggesellschaft finanzierte, tariflich geregelte Übergangsversorgung zu erwerben. Eine Übergangsversorgung sei nach der ständigen Rechtsprechung des BAG allenfalls geeignet, eine an sich sachlich gerechtfertigte Altersgrenze als „noch eher zumutbar“ erscheinen zu lassen.
Da die Gefahrenlage für die Sicherheit des Flugverkehrs beim Ausfall von Mitgliedern des Kabinenpersonals derjenigen beim Ausfall von Cockpit-Personal nicht annähernd vergleichbar sei, sei die Normierung einer Altersgrenze von 60 Jahren für Kabinenpersonal nicht aus Gründen der Gleichbehandlung mit Cockpit-Personal geboten. Eine Ungleichbehandlung beider Personengruppen in Bezug auf die Altersgrenze verstosse daher weder gegen Art. 3 Abs. 1 GG, noch bewirke sie eine unzulässige geschlechtsspezifische Diskriminierung iSv. §§ 7,1 AGG des überwiegend männlichen Cockpit-Personals gegenüber dem überwiegend weiblichen Kabinenpersonal.
Das BAG sah übrigens auch das Feststellungsinteresse für die Klage als gegeben an, obwohl diese schon 2 Jahre vor Erreichen der letztendlich unwirksamen Altersgrenze eingereicht worden war. Für die Befristungskontrollklage bestehe nach § 17 Satz 1 TzBfG das erforderliche Feststellungsinteresse. An der alsbaldigen Klärung der Frage, ob eine Befristung wirksam ist, bestehe in der Regel bereits vor dem vereinbarten Vertragsende ein rechtliches Interesse der Parteien. Dies gelte jedenfalls dann, wenn sich der Arbeitgeber – wie im Streitfall – auf die Wirksamkeit der Befristung beruft. Dementsprechend werde die materiell-rechtliche Klagefrist des § 17 Satz 1 TzBfG nach ständiger Rechtsprechung des zuständigen 7. Senats des BAG auch durch die Erhebung einer Klage vor dem Ablauf der vereinbarten Vertragslaufzeit gewahrt (vgl. etwa BAG 13. Oktober 2004 – 7 AZR 654/03 - zu I 1 der Gründe, AP TzBfG § 14 Nr. 13 = EzA TzBfG § 14 Nr. 14; 10. März 2004 – 7 AZR 402/03 - zu I der Gründe, BAGE 110,38).
Nun, sollte also bei unserer gelangweilten und deswegen das Internet über die Massen strapazierenden Ex-Flugbegleiterin noch Bedarf an einer ihr angemessenen und entgeltlichen Beschäftigung bestehen – nur zu, die derzeitige zeitliche Befristung der Arbeitstätigkeit wird gebildet durch die Altersrente, und die ist ja sicherlich noch ein paar Tage hin, oder? Und wir Anderen merken uns: es besteht wohl doch ein Unterschied zwischen der Flugbegleiterin und der Pilotin – ebenso wie zwischen dem Sternekoch und dem Kellner.