Bukowski, Charles: Faktotum

Charles Bukowski liebt man oder hasst man. Die eine Hälfte sieht in ihm einen wichtigen Vertreter des urbanen Naturalismus und die andere Hälfte einen abgehalfterten Alkoholiker, der Vulgarität und Obszönität zur Kunstform erklärte. Wahrscheinlich wird die Wahrheit irgendwo dazwischen liegen. Wie auch immer man zu ihm steht – seine authentischen Milieubeschreibungen der Verlierer und Außenvorgelassenen sind lesenswert. Das gilt auch für „Faktotum“.


Klappentext

Lapidar beginnt Charles Bukowski einen illusionslosen Roman, der sich nirgends über die Perspektive eines jungen Mannes erhebt, der essen, trinken und gelegentlich eine Frau haben will und dafür arbeiten muss. Was kann daran fesseln? Nichts als die radikale Ehrlichkeit dieses Mannes, den die Ansprüche bürgerlicher Moral nie gequält haben, der nur eines will: Überleben. Und dadurch die Freiheit gewinnt, dass er sich niemals für irgendwelche „Karrieren“ hat einspannen lassen.

Der erste Satz

Es regnete, als ich um 5 Uhr morgens in New Orleans eintraf.


Ein prall gefülltes Buch hat Bukowski da abgeliefert – 87 Kapitel auf 211 Seiten, sechs Handlungsorte mit etlichen Bleiben, etlichen Frauen und noch mehr verschiedenen Gelegenheitsjobs. Bukowski bleibt seinem autobiografisch gefärbtem Erzählstil treu und und greift abermals auf sein Alter Ego Hank Chinaski zurück, den er unsanft auf die Verliererstraße schickt. Chinaski kommt in einer Stadt an, findet eine Unterkunft, betrinkt sich, findet einen Job, betrinkt sich, verliert den Job wieder, betrinkt sich, findet kurzfristigen Spaß mit einer Frau, betrinkt sich und verlässt die Stadt wieder. Zugegebenermaßen ist das überspitzt und sicherlich kommt es zu einigen Ausnahmen von der Regel, doch eine wirkliche Handlung mit einer Weiterentwicklung des Protagonisten sucht man hier vergebens.

Ohne über eine nennenswerte Ausbildung zu verfügen, besteht sein einziger Ehrgeiz darin, möglichst mühelos genügend Kleingeld für den nächsten Vollrausch aufzutreiben und bei Verlangen eine Frau für die Nacht zu finden. Jede Arbeit, die ihn einschränkt, wird gekündigt. Die guten Jobs verliert er von allein – sei es durch Faulheit, Aufsässigkeit oder Betrunkenheit. Chinaski lässt sich hemmungslos treiben und versucht erst gar nicht, seinen Platz in der Gesellschaft oder im Leben zu finden. Er hat sich in der Rolle des Außenseiters eingerichtet und gefällt sich als noch unentdeckten Schriftsteller; dabei schreibt Chinaski zwar viel, veröffentlicht jedoch kaum etwas. Seine Verwahrlosung überhöht er hingegen bereits zu einer notwendigen und romantischen Unangepasstheit, die allen Genies gleich ist. Wie viel davon innere Überzeugung und wie viel Selbstbetrug ist, lässt Bukowski unbeantwortet.

Die nächsten vier oder fünf Tage lief ich durch die Gegend. Dann betrank ich mich zwei Tage lang. Ich gab mein Zimmer auf und zog ins Greenwich Village um. Eines Tages las ich in Walter Windhell’s Kolumne, daß O. Henry seine ganzen Bücher an einem Tisch in irgendeiner berühmten Literatenkneipe geschrieben hatte. Ich fand die Kneipe, ging hinein und erwartete… tja, was erwartete ich eigentlich?

Diese mangelnde Nähe zur Psyche Chinaskis ist für mich eine der großen Schwächen von „Faktotum“; in anderen Büchern sind Bukowski wesentlich intimere und glaubhaftere Einblicke gelungen (Das Liebesleben der Hyäne). Selbst tiefste Einschnitte wie der unvermeidliche Bruch mit den kleinbürgerlich geprägten Eltern wird geradezu lakonisch und teilnahmslos hingenommen. Als Leser konnte ich dem nur schwer folgen. Daneben strapaziert auch der streng zyklische Handlungsablauf die Geduld, so dass man sich einen Ausbruch von der Routine und ein Hinsteuern auf die Essenz herbeiwünscht. So mancher wird sicherlich auch an der wenig verschleiernden und drastisch vulgären Sprache Anstoß nehmen, die dem schmalen Grat zur Frauenfeindlichkeit das eine oder andere Mal gefährlich nahe kommt.

Wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen, erwartet einen ein Buch, das in aller Derbtheit und Offenheit ein schonungsloses Portrait der Verlierer und Außenseiter zeichnet. Fasziniert betrachtet man, wie Chinaski sich seiner Zukunft beraubt und fortwährend scheitert. Sein Scheitern bricht ihn jedoch nicht. Zwar verweigert er sich kategorisch gesellschaftlicher Anpassung, träumt dennoch in aller Konsequenz den amerikanischen Traum. Wo hunderttausend Andere diesen aufgrund der Notwendigkeit einer Existenzsicherung aus den Augen verlieren, geht er aufs Ganze und riskiert nicht weniger als alles. In diesem Kontext betrachtet, steht Chinaski in dem fast heroischen Licht des Künstlers, der bereit ist, für seine Überzeugung jeden Unbill in Kauf zu nehmen. Ob ihn hingegen tatsächlich dieser innere Drang treibt oder ihn schlichtweg nur die eigene Faulheit bremst, bleibt ungewiss. „Faktotum“ lebt von dieser Ambivalenz und entwickelt eine Spannung, die jenseits der Handlung wirkt und funktioniert.


Was bleibt?

Ich bin wahrlich kein uneingeschränkter Anhänger von Bukowski, aber seine Bücher faszinieren mich. In einer absolut einfachen Sprache kreiert er stilsicher eine Welt, die aus Pferderennbahnen, schäbigen Absteigen und billigen Spelunken besteht. Seine Handlungsorte triefen vor Schmutz und Grobheit, seine Charaktere sind versoffen und verroht. Sympathie oder Anteilnahme zu empfinden, fehlt mir da eher schwer. Und dennoch übt genau das einen unwiderstehlichen Reiz aus und ist ein hervorragendes Beispiel für die Wirkungskraft authentischer und wahrhaftiger Literatur. Bukowski ist ein Meister dieser Pulp Fiction und „Faktotum“ schon seit langem ein Klassiker.

Bukowski, Charles: Faktotum. Aus dem Amerikanischen von Carl Weissner. Erstmals erschienen 1975.

Taschenbuchausgabe: dtv. 224 Seiten. ISBN 978-3-423-12387-7. € 9,90


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