Buddhismus in einer Nussschale: Die vier Siegel des Dharma

Die vier Siegel des Dharma – Ein Vortrag von Dzongsar Khyentse Rinpoche

Die Leute fragen mich oft: „Was ist Buddhismus in einer Nussschale?“ Oder sie fragen mich: „Was ist die besondere Sicht oder Philosophie im Buddhismus?“ Unglücklicherweise scheint der Buddhismus im Westen in der religiösen Abteilung gelandet zu sein, oder auch in der Abteilung für Selbsthilfe oder Selbstentwicklung und ganz klar in der zeitgeistigen Meditationsabteilung. Ich möchte die gängige Definition von buddhistischer Meditation herausfordern. Viele Leute glauben, Meditation hat etwas mit Entspannung zu tun, mit dem Betrachten eines Sonnenuntergangs oder den Wellen am Strand. Nette Phrasen wie „loslassen“ oder „sorgenfrei sein“ kommen einem da in den Sinn. Aus buddhistischer Sicht ist Meditation ein wenig mehr als dies. Zuerst, glaube ich, sollten wir über den wirklichen Kontext der buddhistischen Meditation sprechen. Dies bezieht sich auf Sicht, Meditation und Handlung; zusammengenommen schafft dies eine wirklich geschickte Art vom Verständnis des Pfades. Auch wenn wir solche Ausdrücke in täglichen Leben vielleicht nicht benutzen, agieren wir bei genauerer Betrachtung doch immer mit einer gewissen Sicht, Meditation und Handlung. Wenn wir beispielsweise ein Auto kaufen wollen, wählen wir eines, von dem wir glauben, dass dies das Beste, das sicherste usw. ist. Daher ist die „Sicht“ in diesem Fall die Idee oder der Glaube, den wir haben, dass dies ein gutes Auto ist. Die „Meditation“ ist dann das Nachdenken und das Nutzen dieser Idee und die „Handlung“ ist das eigentliche Kaufen des Autos, das Fahren und Verwenden. Dieser Vorgang ist nicht notwendigerweise etwas Buddhistisches; es ist etwas, was wir die ganze Zeit über machen. Man muss es nicht Sicht, Meditation und Handlung nennen. Man kann es auch als „Idee“, „Gebrauch davon machen“ und „Erlangen“ ansehen. Was ist nun die besondere Sicht, die Buddhisten zu nutzen versuchen? Buddhismus wird von vier Merkmalen oder „Siegeln“ ausgezeichnet. Wenn nun all diese vier Siegel in einem Pfad oder einer Philosphie angefunden werden, ist es egal, ob man es buddhistisch nennt oder nicht. Man kann es wie auch immer bezeichnen. Die Worte „Buddhist“ oder „Buddhismus“ sind nicht wichtig. Der Punkt ist, wenn der Pfad diese vier Siegel beinhaltet, kann er als Pfad des Buddhas erkannt werden. Daher werden diese vier Merkmale als die „Vier Siegel des Dharma“ bezeichnet. Diese sind:

  1. Alle zusammengesetzten Dinge sind vergänglich.
  2. Alle Emotionen sind leidvoll. Das ist etwas, worüber nur Buddhisten sprechen würden. Viele Religionen beten Dinge wie Liebe durch Feiern und Lieder an. Buddhisten denken: „Das ist leidvoll.“
  3. Alle Phänomene sind leer; sie sind ohne inhärente Existenz. Dies ist eigentlich die letztendliche Sicht des Buddhismus; die anderen drei gründen auf diesem dritten Siegel.
  4. Das vierte Siegel ist, dass Nirvana jenseits der Extreme ist.

Ohne diese vier Siegel würde der buddhistische Pfad theistisch, zu einem religiösen Dogma werden und sein ganzer Nutzen würde verloren gehen. Andernfalls könnte man einem ein Surfer Belehrungen geben, wie man am Strand sitzt und den Sonnenuntergang beobachtet: wenn das, was er sagt, die vier Siegel beinhaltet, dann wäre es Buddhismus. Die Tibeter, die Chinesen oder die Japaner mögen es vielleicht nicht, aber Belehrungen müssen nicht unbedingt eine „traditionelle“ Form haben. Die vier Siegel sind ziemlich mit allem in wechselseitiger Beziehung, wie ihr sehen werdet.

Das erste Siegel - Alle zusammengesetzten Dinge sind unbeständig

Jedes Phänomen, an das wir denken, ist zusammengesetzt und daher ein Fall der Unbeständigkeit. Gewisse Aspekte der Vergänglichkeit, wie den Wandel des Wetters, können wir einfach akzeptieren, aber es gibt ein paar offensichtliche Dinge, die wir nicht akzeptieren. Beispielsweise unser Körper ist sichtbar vergänglich und wird jeden Tag älter, und dennoch ist das etwas, was wir nicht akzeptieren wollen. Gewisse beliebte Zeitschriften, die auf Jugend und Schönheit ausgerichtet sind, nutzen dieses Verhalten aus. Bezüglich Sicht, Meditation und Handlung haben deren Leser vielleicht eine Sicht, dass sie glauben, nicht zu altern oder dem Prozess des Alterns irgendwie entkommen können. Sie denken über diese Sicht von Beständigkeit nach und ihre daraus resultierende Handlung ist, in Fitness-Zentren zu gehen, sich plastischer Chirurgie zu unterziehen und allem anderen lästigen Kram unterziehen.
Erleuchtete Wesen würden denken, dass dies lächerlich ist und auf einer falschen Sicht basiert. Hinsichtlich der unterschiedlichen Aspekte von Vergänglichkeit, Älter werden und Sterben, dem Wandel des Wetters usw. haben Buddhisten eine einzige Bezeichnung dafür, nämlich das erste Siegel: Phänomene sind vergänglich, weil sie zusammengesetzt sind. Alles, was zusammengefügt ist, wird früher oder später auseinander gehen.
Wenn wir „zusammengesetzt“ sagen, dann schließt das die Dimensionen von Raum und Zeit mit ein. Die Zeit ist zusammengesetzt und daher unbeständig: ohne Vergangenheit und Zukunft gibt es nichts anderes als die Gegenwart. Wenn der gegenwärtige Moment beständig wäre, gäbe es keine Zukunft, weil die Gegenwart immer da wäre. Jede Handlung, die man macht – sagen wir, das Pflanzen einer Blume oder das Singen eines Liedes – hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Wenn im Falle eines Liedes, der Anfang, die Mitte oder das Ende fehlen würden, gäbe es nicht so etwas wie das Singen eines Liedes. Das bedeutet, das Singen eines Liedes ist zusammengesetzt.
„Na und?“ fragen wir. „Was schert uns das? Was soll das Getue? Es gibt einen Anfang, eine Mitte und ein Ende – na und?“ Es ist nicht so, dass sich Buddhisten wirklich über Anfang, Mitte und Ende sorgen; das ist nicht das Problem. Das Problem ist, wenn es Zusammengesetztes und Vergänglichkeit gibt, wie dies in zeitweiligen und materiellen Dingen gibt, es Unsicherheit und Leid gibt.
Manche Leute glauben, dass Buddhisten pessimistisch sind, weil sie immer über Tod, Vergänglichkeit und Altern reden. Aber das ist nicht notwendigerweise wahr. Vergänglichkeit ist eine Erlösung! Ich habe heute keinen BMW und der Vergänglichkeit dieser Tatsache habe ich möglicherweise morgen einen. Ohne Vergänglichkeit hänge ich im Nicht-Besitzen eines BMWs fest und ich kann nie einen haben. Ich fühle mich heute ziemlich niedergedrückt und dank der Vergänglichkeit fühle ich mich morgen vielleicht großartig. Unbeständigkeit ist nicht notwendigerweise eine schlechte Nachricht; es hängt von der Art des Verständnisses ab. Selbst wenn der BMW heute von Vandalen beschädigt wird oder unser bester Freund uns niedermacht, dann wird man sich, wenn man eine Sicht der Vergänglichkeit hat, nicht sorgen.
Täuschungen entstehen, weil wir nicht begreifen, dass alle zusammengesetzten Dinge vergänglich sind. Aber wenn wir diese Wahrheit realisieren, tief drinnen und nicht nur intellektuell, dann ist das genau das, was wir Befreiung nennen: erlöst aus diesem eindimensionalen, kleingeistigen Glauben an Beständigkeit. Alles, ob man es mag oder nicht – selbst der Pfad, der kostbare buddhistische Pfad – ist zusammengesetzt. Er hat einen Anfang, er hat eine Mitte und er hat ein Ende.
Wenn man versteht, dass „alle zusammengesetzten Dinge vergänglich sind“, dann ist man vorbereitet, die Erfahrung des Verlusts zu akzeptieren. Weil alles unbeständig ist, wird dies erwartet.

Das zweite Siegel - Alle Emotionen sind leidvoll

Das tibetische Wort für Emotion ist in diesem Zusammenhang „zagche“, was „verunreinigt“ oder „befleckt“ bedeutet, in Sinne von durchdrungen von Verwirrung oder Dualität.
Bestimmte Emotionen, wie Aggressionen oder Eifersucht, erkennen wir natürlicherweise als Qual. Aber was ist mit Liebe und Anhaftung, Freundlichkeit und Hingabe, die netten, leichten und lieblichen Emotionen? Wir bedenken sie nicht als leidvoll; nichts desto trotz beinhalten sie Dualität und das bedeutet, dass sie am Ende eine Quelle des Leidens sind.
Der dualistische Geist beinhaltet jeden Gedanken, den wir haben. Wieso ist dies leidvoll? Weil es missverstanden wird. Jeder dualistische Geist ist ein missverständlicher Geist, ein Geist, der nicht die Natur der Dinge versteht. Wie können wir nun Dualität verstehen? Es ist ein Subjekt und Objekt: uns selbst auf der einen Seite und unsere Erfahrung auf der anderen. Diese Art der dualistischen Wahrnehmung ist falsch, wie wir im Fall von unterschiedlichen Personen sehen, nehmen diese dasselbe Objekt auf verschiedene Arten wahr. Ein Mann glaubt, eine bestimmte Frau ist schön und das ist seine Wahrheit. Aber wenn dies eine Art absolute, unabhängige Art von Wahrheit wäre, dann würde jeder andere sie ebenfalls als schön ansehen. Klarerweise ist das keine Wahrheit, die unabhängig von irgendetwas anderem ist. Es hängt von unserem Geist ab; es ist unsere eigene Projektion.
Der dualistische Geist schafft viele Erwartungen – eine Menge Hoffnung, eine Menge Furcht. Solange es einen dualistischen Geist gibt, gibt es Hoffung und Furcht. Hoffnung ist perfekte, systematische Qual. Wir tendieren dahin zu glauben, dass Hoffnung nicht leidvoll ist, aber eigentlich ist es eine große Qual. Was die Qual der Furcht angeht, gibt es nichts zu erklären.
Der Buddha sagte: „Versteht Leiden.“ Das ist die erste Edle Wahrheit. Viele von uns verstehen Leiden fälschlich als Erfreuen – das Erfreulich, dass wir jetzt haben, ist eigentlich die Ursache für das Leiden, das wir früher oder später erfahren. Ein weiterer buddhistischer Weg des Erklärens ist, wenn eine große Qual kleiner wird, dass wir dies Erfreuen nennen. Das nennen wir dann Glück.
Weiters haben Emotionen keine inhärente wahrhafte Existenz. Wenn durstige Leute eine Wasserspiegelung sehen, dann haben sie ein Gefühl von Befreiung: „Großartig, da gibt’s Wasser!“ Aber wenn sie näher kommen, löst sich die Fata Morgana auf. Das ist ein wichtiger Aspekt bei Emotionen: Emotion ist etwas, das keine unabhängige Existenz hat.
Daher fassen Buddhisten alle Emotionen als qualvoll zusammen. Weil sie vergänglich und dualistisch sind, sind sie unsicher und immer von Hoffnungen und Ängsten begleitet. Aber letztendlich haben sie keine und hatten keine inhärent existierende Natur, daher sind sie nicht besonders viel wert. Alles, was wir durch unsere Emotionen schaffen, ist am Ende sinnlos und leidvoll. Daher praktizieren Buddhisten Shamatha- und Vipassana-Meditation – dies hilft, die Fesseln, die unsere Emotionen über uns haben, zu lösen und die Zwangsvorstellungen, die wir wegen ihnen haben.

Frage: Ist Mitgefühl eine Emotion?
Antwort: Leute wie wir haben ein dualistisches Mitgefühl, wohingegen das Mitgefühl der Buddhas kein Subjekt und Objekt benötigt. Aus der Sicht eines Buddhas benötigt Mitgefühl kein Subjekt und Objekt. Dies wird „Mahakaruna“ – großes Mitgefühl – genannt.
Frage: Ich kann es schwer akzeptieren, dass alle Emotionen Leid sind.
Antwort: Okay, wenn du eine etwas philosophische Ausführung willst, kannst du das Wort „Emotion“ wegnehmen und einfach sagen, „alles, was dualistisch ist, ist Qual“. Aber ich verwende gerne das Wort „Emotion“, weil es provoziert uns.
Frage: Ist Leiden/Qual nicht auch vergänglich?
Antwort: Ja! Wenn du das weißt, dann ist alles in Ordnung. Weil wir das nicht wissen, versuchen wir mit vielen nutzlosem Kram unsere Probleme zu lösen. Und das ist das zweite große Problem, das wir haben – unsere Probleme zu lösen versuchen.

Das dritte Siegel - Alle Phänomene sind leer; sie sind ohne inhärente Existenz

Wenn wir „alles“ sagen, dann bedeutet dies wirklich alles, einschließlich dem Buddha, der Erleuchtung, dem Pfad usw. Buddhisten definieren ein Phänomen als etwas mit Merkmalen und als ein Objekt, das von einem Subjekt ersonnen wurde. Daran festzuhalten, dass ein Objekt etwas Äußeres ist, ist Unwissenheit und daher hindert uns daran, das Wahre von diesem Objekt zu sehen.
Das Wahre eines Phänomens wird Shunyata – Leerheit – genannt, was impliziert, dass ein Phänomen keine wahrhaftig existierende Essenz oder Natur hat. Wenn eine verblendete Person oder ein Subjekt etwas sieht, wird dieses Objekt als etwas wirklich Existierendes interpretiert. Wie man sehen kann, die Existenz, die man durch das Subjekt unterstellt wird, ist eine falsche Annahme. Solch eine Annahme basiert auf verschiedenen Bedingungen, die dazuführen, dass ein Objekt als wahrhaft erscheint. Allerdings existiert das Objekt nicht wirklich so. Es ist, als ob wir eine Fata Morgana sehen: da gibt es kein wirklich existierendes Objekt dort, obwohl es so danach aussieht. Mit der Leerheit meint der Buddha, dass Dinge nicht wahrhaft existieren, wie wir fälschlicherweise glauben, dass sie es tun. Und sie sind wirklich leer von dieser falschen, hinzugefügten Existenz.
Weil sie daran glauben, dass ihre verwirrten Projektionen wirklich sind, leiden die fühlenden Wesen. Es war daher ein Heilmittel dafür, dass der Buddha den Dharma lehrte. Einfach gesagt, wenn wir über Leerheit reden, meinen wir, dass die Art, wie die Dinge erscheinen, nicht die Art ist, wie sie wirklich existieren. Wie ich schon früher sagte, als wir über Emotionen gesprochen haben, sieht man eine Fata Morgana und denkt, dass dies etwas Reales wäre, aber wenn man dann näher kommt, löst sich die Fata Morgana auf, egal wie wirklich sie anfangs erschien.
Leerheit kann sich manchmal auf den Dharmakaya beziehen und in einem anderen Zusammenhang könnten wir sagen, dass der Dharmakaya beständig, unwandelbar, alles durchdringend ist, und all die schönen, poetischen Worte verwenden. Dies sind die mystischen Ausdrücke, die zum Pfad gehören, aber im Moment befinden wir uns noch im Erdgeschoß und versuchen ein intellektuelles Verständnis zu erlangen. Auf dem Pfad porträtieren wir vielleicht Buddha Vajradhara als Symbol für den Dharmakaya oder der Leerheit, aber aus akademischer Sicht ist selbst das Zeichnen des Dharmakayas ein Fehler. Der Buddha lehrte drei unterschiedliche Annäherungen zu drei verschiedenen Gelegenheiten. Diese sind als die „Drei Drehungen des Rades“ bekannt, aber sie können in einer einzigen Aussage zusammengefasst werden: „Geist; es gibt keinen Geist; Geist ist Leuchtkraft.“
Die erste – „Geist“ – bezieht sich auf die erste Garnitur von Belehrungen und zeigt, dass der Buddha lehrte, dass es einen „Geist“ gibt. Dies geschah, um die nihilistische Sicht aufzulösen, dass es keinen Himmel, keine Hölle, keine Ursache und kein Ergebnis gäbe. Als dann der Buddha sagte, „es gibt keinen Geist“, meinte er, dass Geist einfach ein Konzept ist, und dass es nicht so ein Ding wie einen wahrhaft existierenden Geist gibt. Schließlich sagte er, „Geist ist Leuchtkraft“. Dabei bezog er sich auf die Buddha-Natur die unverschleiert oder uranfänglich existierende Weisheit.
Der große Kommentator Nagarjuna sagte, der Zweck der ersten Drehung war, um sich von Unheilsamen zu reinigen. Woher kommt das Unheilsame? Es kommt daher, weil man entweder Eternalist oder Nihilist ist. Um nun den unheilsamen Taten und Gedanken ein Ende zu bereiten, gab der Buddha seine erste Belehrung. Die zweite Drehung des Dharma-Rades, als der Buddha über Leerheit sprach, geschah, um das Haften an einem „wahrhaft existierenden Selbst“ und an „wahrhaft existierenden Phänomenen“ aufzulösen. Schließlich wurden die Belehrungen der dritten Drehung gegeben, um alle Sichtweisen – selbst die eines Nicht-Ich – aufzulösen. Die drei Garnituren der Belehrungen des Buddhas versuchten nicht etwas Neues einzuführen; ihr Zweck war einfach darin, die Verwirrung zu beseitigen.
Als Buddhisten praktizieren wir Mitgefühl, aber wenn es uns an Verständnis des dritten Siegels mangelt – dass alle Phänomene leer sind – geht unser Mitgefühl nach hinten los. Wenn man am Ziel des Mitgefühls anhaftet, während man versucht, ein Problem zu lösen, bemerkt man möglicherweise nicht, dass die Idee der Lösung gänzlich auf der eigenen persönlichen Auslegung basiert. Und vielleicht endet man als Opfer von Hoffnung und Furcht und hat schließlich Unannehmlichkeiten. Man fängt mit „ein guter Mahayana-Praktizierender“ an und ein- oder zweimal versucht man fühlenden Wesen zu helfen. Aber wenn man kein Verständnis vom dritten Siegel hat, wird man müde und gibt auf, fühlenden Wesen zu helfen.
Es gibt noch ein weiteres Problem, das aus dem fehlenden Verständnis von Leerheit entsteht. Dies tritt mit ziemlich oberflächlichen und sogar mit abgestumpften Buddhisten auf. In buddhistischen Kreisen, wenn man Leerheit nicht akzeptiert, ist man nicht cool. Man gibt also vor, dass man Leerheit versteht und gibt vor, dass man darauf meditiert. Aber wenn man Leerheit nicht wirklich versteht, dann stellt sich eine schlechte Nebenwirkung ein. Man sagt vielleicht: „Oh, alles ist Leerheit. Ich kann machen, was mir beliebt.“ Dann ignorieren und verletzen die Details von Karma, die Verantwortung für unsere Handlung. Wir werden „geschmacklos“ und wir entmutigen andere beim Geschäft. S.H. der Dalai Lama spricht oft von diesem Verfall durch das fehlende Verständnis von Leerheit. Ein korrektes Verständnis der Leerheit führt dahin, dass wir sehen, womit die Dinge wirklich verbunden sind und wie wir für unsere Welt verantwortlich sind. Man kann Millionen von Seiten über dieses Thema lesen. Nagarjuna allein schrieb fünf verschiedene Kommentare, die sich hauptsächlich dem widmeten und dann gibt es noch die Kommentare seiner Nachfolger. Es gibt endlose Belehrungen um diese Sicht zu begründen. In den Mahayana-Tempeln oder Klöstern singen die Leute die Prajnaparamita Herz-Sutra – dies ist ebenfalls eine Belehrung zum dritten Siegel.
Philosophien oder Religionen sagen vielleicht: „Dinge sind Illusion, die Welt ist Maya, Illusion.“ Aber da gibt es immer ein oder zwei Begriffe, die weggelassen werden, die als wahrhaft existent angesehen werden: Gott, kosmische Energie, was auch immer. Im Buddhismus ist dies nicht der Fall. Alles in Samsara und Nirvana – vom Kopf Buddhas angefangen bis zu einem Stück Brot – ist alles Leerheit. Es gibt nichts, das nicht in dieser letztendlichen Sicht enthalten wäre.

Frage: Wenn wir selbst dualistisch sind, können wir dann jemals Leerheit verstehen, die doch jenseits von Beschreibung ist? 

Buddhisten sind sehr schlau. Da hast du recht. Man kann niemals über die absolute Leerheit sprechen, aber man kann über eine „Vorstellung“ von Leerheit sprechen – etwas, dass man überprüfen kann und worüber man nachdenken kann, sodass am Ende die wirkliche Leerheit erlangt. Man sagt vielleicht: „Also das ist zu einfach. Das ist Käse.“ Aber dazu sagen Buddhisten: „Zu schlecht, so funktioniert’s nun mal.“ Wenn man auf jemanden trifft, den man niemals zuvor gesehen hat, kann ich ihn dir beschreiben oder dir ein Foto von ihm zeigen. Und durch die Hilfe dieses Fotos kann man sich dann aufmachen und die wirkliche Person finden. Letztendlich gesprochen ist der Pfad irrational, aber relativ gesprochen, ist er sehr rational, weil er die relativen Bezüge unserer Welt benutzt. Wenn ich über Leerheit spreche, hat alles, was ich sage mit diesem „Bildnis“ von Leerheit zu tun. Ich kann dir keine wirkliche Leerheit zeigen, aber ich kann dir erzählen, warum Dinge nicht inhärent existieren.
Im Buddhismus gibt es so viele Abbildungen, dass man möglicherweise denkt, dass dies das Objekt der Meditation wäre oder ein Objekt der Anbetung. Aber aus unseren Belehrungen heraus versteht man, dass dies alles nicht-existent ist?
Wenn man in einen Tempel geht, sieht man viele schöne Statuen, Farben und Symbole. Diese sind für den Pfad wichtig. Dies bezieht sich alles darauf, was wir „Darstellungs-Weisheit“, als „Abbild-Leerheit“ nennen. Während wir dem Pfad folgen und uns auf seine Methoden stützen, ist es sehr wichtig zu wissen, dass der Pfad selbst letztendlich eine Illusion ist. Eigentlich können wir dies nur dann richtig schätzen.

Das vierte Siegel – Nirvana ist jenseits der Extreme

Da ich nun Leerheit erklärt habe, finde ich, dass das vierte Siegel „Nirvana ist jenseits von Extremen“, ebenfalls abgehandelt wurde. Aber in aller Kürze, das letzte Siegel ist ebenfalls etwas einigartig Buddhistisches. In vielen Philosophien oder Religionen ist das finale Ziel etwas, dass man erhält und behält. Das letzte Ziel ist das einzige Ding, das wirklich existiert. Aber Nirvana ist nicht hervorgebracht, daher ist das nicht etwas, das man bekommen kann. Dies bezieht sich auf „jenseits der Extreme“.
Wir glauben manchmal, dass wir irgendwo hingehen können, wo wir ein besseres Sofa oder ein besseres Duschset, ein besseres Abwassersystem, ein Nirvana, wo man keine Fernbedienung braucht, wo alles sofort vorhanden ist, wenn man es nur denkt. Aber ich sagte früher, es ist nicht, dass wir etwas neues hinzufügen, das vorher nicht bestanden hat. Nirvana ist erlangt, wenn alles entfernt wurde, was künstlich und verschleiernd war.
Es macht nichts aus, ob man ein Mönch oder eine Nonne ist, dies sich dem weltlichen Leben entsagt haben oder ob man ein Yogi ist, der die tiefgründigen tantrischen Methoden praktiziert. Wenn man versucht, Anhaftung an die eigenen Erfahrungen aufzugeben oder zu verwandeln, versteht man die vier Siegel nicht. Man endet darin, die Inhalte des Geistes als Manifestationen etwas bösen, teuflischen oder schlechten anzusehen. Wenn man das macht, ist man weit von der Wahrheit entfernt. Und der ganze Kern des Buddhismus liegt darin, dass man die Wahrheit versteht. Wenn es eine wahre Beständigkeit in den zusammengesetzten Phänomenen gäbe; wenn es wahre Freuden in den Emotionen gäbe, hätte der Buddha dazu bemerkt, in dem er gesagt hätte: „Bitte haltet sie fest und bewahr diese.“ Aber dank seines großen Mitgefühls, tat er dies nicht, da er für uns wollte, dass wir erkennen, was wahr ist, was wirklich ist.
Wenn man ein klares Verständnis von diesen vier Siegeln als die Basis der eigenen Praxis hat, wird man zufrieden sein, egal was mit einem geschieht. So lange man diese vier als Sicht hat, kann nichts schief gehen. Wer immer diese vier im Herzen oder in der Hand hält und sie kontempliert, ist ein Buddhist. Es ist dann nicht notwendig, dass eine Person einen als Buddhist bezeichnet. Er oder sie durch diese Definition ein Nachfolger des Buddha.

Dzongsar Jamyang Khyentse Rinpoche wurde 1961 in Bhutan geboren und wurde als die zweite Wiedergeburt von Jamyang Khyentse Wangpo, dem Meister aus dem 19. Jhdt. anerkannt. Er studierte mit und wurde von einigen der größten tibetischen Meister des 20. Jhdts. Ermächtigt, darunter von Dilgo Khyentse Rinpoche und von S.H. Dudjom Rinpoche. Dzongsar Khyentse Rinpoche betreut seinen traditionellen Sitz im Dzongsar Kloster in Ost-Tibet genauso wie die jüngst errichteten Studieneinrichtungen in Indien und Bhutan. Er hat auch Meditationszentren in Australien, Nordamerika und dem Fernen Osten gegründet. Neuerdings gewann Dzongsar Khyentse Rinpoche eine entscheidende Auszeichnung für seinen ersten Spielfilm – The Cup (dt., „Das Spiel der Götter“), der unter seinem Namen Khyentse Norbu produziert wurde. Weitere Informationen zu Dzongsar Khyentse Rinpoche und seinen Aktivitäten sind unter www.siddhartaintent.org erhältlich. Dieser Artikel basiert auf einem Gespräch, genannt: „Was Buddhismus ist und was nicht“, das in Sydney (Australien) im April 1999 abgehalten wurde.


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